# taz.de -- Spielfilm „Der Sommer mit Anaïs“ auf DVD: Zwischendurch brennt die Küche
       
       > „Der Sommer mit Anaïs“ ist das Regiedebüt der französischen
       > Schauspielerin Charline Bourgeois-Tacquet. Die Komödie ist virtuos und
       > klug.
       
 (IMG) Bild: Die Titelheldin Anaïs (Anaïs Demoustier) rennt durch ihr Leben
       
       Schon in der ersten Einstellung rennt sie, immer muss sie oder will sie
       dringend wohin, zum Termin mit der Vermieterin, ins Kino mit dem Freund
       (oder Ex-Freund, es ist kompliziert und wird noch viel komplizierter),
       meist kommt sie zu spät: Das ist Anaïs, die denselben Vornamen trägt wie
       ihre Darstellerin, Anaïs Demoustier.
       
       Sie ist um die dreißig, schreibt an ihrer Dissertation, die sie allerdings
       nicht mit dem letzten Eifer verfolgt, es gibt zu viel anderes, das sie
       interessiert. Auf das sie zurennt, und manchmal läuft sie davon. Zu viel
       Nähe und Enge verträgt sie nicht, die U-Bahn nicht, Aufzüge nicht, und wenn
       sie in den 16. Stock im Treppenhaus hochhasten muss.
       
       Bei einer solchen Gelegenheit, sie besucht Freunde im Hochhaus, drängt sie
       einem deutlich älteren Herrn ihr Fahrrad auf, er nimmt es, während sie die
       Treppe nimmt, im Aufzug nach oben. Der Herr ist Verleger, und zwar ein
       renommierter, es spielt ihn [1][Denis Podalydès], der seit Jahr und Tag
       eine feste Größe im Pariser Schauspielbetrieb ist, außerdem – nach wie vor
       steht das in französischen Filmabspännen hinter dem Namen – Sociétaire de
       la Comédie-Française, also Mitglied der Trägergesellschaft des
       bedeutendsten Nationaltheaters des Landes, von Molière her berühmt.
       
       Mit ihm, also Daniel, beginnt Anaïs, also im Film, eine Affäre. Oder er mit
       ihr, egal, sie wollen es beide. Nun ist ihre Wohnung, deren Miete sie seit
       zwei Monaten schuldet, schon nicht klein, aber seine ist standesgemäß
       riesig. Natürlich ist er verheiratet beziehungsweise seit zwölf Jahren in
       einer eheähnlichen Beziehung, und zwar mit einer Schriftstellerin, sie
       heißt Emilie und wird von der immer und hier auch wieder sehr großartigen
       Valeria Bruni-Tedeschi gespielt.
       
       Sie taucht erst im zweiten Teil des Films auf, als Anaïs sich in sie, also
       Emilie, sehr entschlossen verliebt. Viel Rennen, viel Drängen, komische
       Szenen, zwischendurch brennt die heimische Küche, peinliche Begegnungen und
       dann eine sehr romantische Begegnung am Strand. Das Ende ist erst sehr
       intensiv, dann bewusst ein bisschen zerflattert, vielleicht mehr Traum als
       real.
       
       ## Das Begehren drängt und rennt
       
       Das alles klingt unfassbar französisch. Und bourgeois, was es auch ist. Das
       Milieu ist sehr weiß, sehr kultur-akademisch, Geldprobleme können nur sehr
       vorübergehende sein, die Eltern haben, versteht sich, ein Anwesen auf dem
       Land. Dieser ausgesprochen enge Rahmen wird so wenig thematisiert, von
       kritisch betrachtet ganz zu schweigen, dass seine Enge den Beteiligten
       vermutlich gar nicht richtig bewusst ist.
       
       Solche Filme werden in Frankreich seit Jahrzehnten gedreht, wenn auch lange
       sehr viel eher von Männern als Frauen: Junge Frauen, ihre Affären, eine
       Abtreibung gibt es auch, fällt aber in eine narrative Ellipse, die Mutter
       hat Krebs, das Begehren drängt und rennt.
       
       Es ist ein Spielfilmdebüt, das will man kaum glauben, so vertraut ist das
       alles, aber auch so virtuos und in seinem engen Rahmen klug und
       überraschend und witzig gemacht. Die Regisseurin Charline Bourgeois-Tacquet
       kennt sich im Milieu bestens aus, hat Literatur studiert, einen ersten Job
       beim renommierten Verlag Grasset gehabt, sich dann aber aufs Schreiben und
       Inszenieren von Filmen verlegt.
       
       Kleine Rollen in Filmen zeugen von ihrer Vernetztheit, seit ein paar Jahren
       ist sie zudem die Lebensgefährtin von Frankreichs zweitberühmtestem
       Schriftsteller Emmanuel Carrère, [2][in dessen eigenem jüngsten Film
       „Ouistreham“] ist sie ganz kurz zu sehen.
       
       Ein Leben, das klingt wie ein französischer Film; ein Film, in dem es
       zugeht wie unter Pariser Regisseurinnen und Literaten. Es hat alles einigen
       Charme. Und dieser Charme hat seine deutlichen Grenzen.
       
       3 Nov 2022
       
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