# taz.de -- Kinotipp der Woche: Das große Verpassen
       
       > Das 12. Litauische Filmfestival präsentiert die ganze Bandbreite der
       > Themen im litauischen Kinos. Es geht von Angstattacken bis zur
       > Klimadystopie.
       
 (IMG) Bild: Szene aus „Runner“ (R: Andrius Blaževičius, 2021)
       
       Der Morgen walzt über Maria hinweg. Vystas, ihr Freund, ist nach einem
       psychotischen Schub verschwunden, er postet ein Foto mit einer Gruppe
       junger Frauen und bei Maria klopft eine Nachbarin und beschwert sich, dass
       der Freund die Haustür kaputt gemacht hat.
       
       Die junge Frau macht sich auf die Suche, klappert Lieblingsplätze und
       Freunde ab, aber immer wieder verpassen sich die beiden knapp. Maria rennt
       und rennt und rennt. Inmitten all der Sorgen um Vystas ist Marias Arm
       plötzlich taub, lässt sich nicht mehr bewegen.
       
       „Begikė“ („Runner“) ist ein Lauf gegen die Zeit, um Vystas zu schützen,
       auch wenn der nicht beschützt werden will. Der litauische Regisseur Andrius
       Blaževičius hat seinen atemlosen Film mit einem pulsierenden elektronischen
       Soundtrack unterlegt. „Runner“ ist einer von fünf Langfilmen, die das 12.
       Litauische Filmfestival von Mittwoch an präsentiert.
       
       Zur Eröffnung läuft Laurynas Bareišas „Piligrimai“ („Pilgrims“). Indre und
       Paulius, zwei Jugendfreunde, die sich länger nicht gesehen haben, gehen auf
       Reisen. Die beiden fahren in die Stadt, in der vier Jahre zuvor Paulius’
       Bruder und Indres Freund entführt und ermordet wurden.
       
       Sie besuchen Orte, rekonstruieren Abläufe, sprechen mit Zeugen von damals.
       Außer ihnen beiden haben die wenigsten das Bedürfnis, sich an die
       Ereignisse zu erinnern. Vor allem Paulius wird zunehmend aggressiv
       gegenüber den Zeugen. Doch letztlich werden Paulius und Indre immer wieder
       auf ihren eigenen Umgang mit den Ereignissen zurückgeworfen.
       
       Neben den fünf Langfilmen präsentiert das Festival zwei Kurzfilmprogramme
       mit litauischen Filmen und eines mit ukrainischen. Als Special läuft ein
       Programm mit Filmen des amerikanischen Experimentalfilmers Jonas Mekas, der
       in Litauen geboren wurde.
       
       „Williamsburg“ beginnt mit einem klassischen Filmtrick: Filmemacher mit
       Tuch in der Hand, Schnitt, Filmemacher hält statt Tuch Flasche in der Hand.
       Es folgen Straßenszenen, Regen tropft auf Straßen, Menschen spielen
       Akkordeon, Jahreszeiten vergehen. Mekas’ Film dokumentiert auch das
       litauische Exil in dem New Yorker Stadtteil in den 1950ern. In Aufnahmen
       aus den 1970er Jahren hat der Stadtteil sich bereits erkennbar gewandelt.
       
       „Quartet“ von 1992 verarbeitet Aufnahmen von Mitte der 1970er Jahren.
       Wieder Straßenszenen, dieses Mal aber auch Landschaftsaufnahmen unterlegt
       mit Jazz und einem Off-Kommentar. Mekas’ Filme öffnen wie beiläufig die
       Welt, die den Filmemacher umgab, als er in den USA angekommen war.
       
       Das Litauische Filmfestival in Berlin ist auch in diesem Jahr wieder eine
       Gelegenheit, einen Überblick über die zeitgenössische Produktionslandschaft
       in Litauen zu bekommen. Die Bandbreite von Kriegsfilmfantasie („The Flood
       Won’t Come“) über Angstattacken („I am Fine, Thanks“) und Klimadistopie
       („Vesper“) bis zur Suche nach dem Partner in „Runner“ und der
       Selbstkonfrontation mit Traumata in „Pilgrims“ ist eindrucksvoll.
       
       2 Nov 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Tietke
       
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