# taz.de -- Flucht aus der Ukraine: Exodus mit ungewissem Ausgang
       
       > Ein Riss geht durch die ukrainische Gesellschaft. Er trennt die
       > Dagebliebenen von denen, die das Land verlassen haben.
       
 (IMG) Bild: Die einen bleiben, die andere fahren: Abschiedsszene am Bahnhof Odessa, April 2022
       
       Jedes ukrainische Kind liest in der Schule ein Buch, das bei uns als
       Klassiker gilt: „Das Steinkreuz“ von Wassil Stefanik. Es ist eine
       Geschichte über Emigration. Der Hauptheld nimmt Abschied von der
       heimatlichen Erde, bevor er sie für immer verlässt – nach Kanada. Dort
       findet man bis heute die größte ukrainische Diaspora weltweit. Als Kind
       fand ich es schwer vorstellbar, dass so ein Massenexodus einmal unsere
       Realität werden könnte. Heute fliehen Ukrainer vor dem Krieg in alle
       möglichen Länder und schaffen sich vor Ort neue Gemeinschaften. Sie
       unterstützen die Ukraine weiterhin, haben aber häufig nicht mehr vor
       zurückzukehren.
       
       Schon jetzt spürt man wie die Gesellschaft auseinanderdriftet. Es gibt die,
       die das Land verlassen haben und [1][die, die geblieben sind]. Diejenigen,
       die nach Europa geflohen sind, schlagen sich mit einer für uns ungewohnten
       Bürokratie herum und damit, dass vieles aus dem ukrainischen Leben dort
       fast surreal klingt: So sind schnelles Onlinebanking oder Supermärkte, die
       rund um die Uhr geöffnet haben, für Europäer nicht selbstverständlich.
       
       Diejenigen, die geblieben sind, verurteilen oft die Geflüchteten, weil sie
       meinen, dass Kyjiw oder Lwiw schon lange wieder sichere Städte sind und es
       an der Zeit sei zurückzukommen. Ein wichtiger Aspekt: Die meisten
       derjenigen, die die Ukraine verlassen haben, sind Frauen, weil die
       wehrpflichtigen Männer nicht ausreisen können. Und deshalb wird jeder Mann
       mit ukrainischem Pass, egal ob er legal oder illegal ausgereist ist, als
       Verräter betrachtet.
       
       Wir Ukrainer sind mittlerweile über den ganzen Erdball verstreut. Wir haben
       zwar unseren eigenen Staat, aber fahren in andere Städte und Länder, wo wir
       außer mit Hilfsbereitschaft auch mit Diskriminierung konfrontiert werden,
       mit Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen und leider auch mit prorussischen
       Demonstrationen.
       
       Fast alle mir nahestehenden Menschen sind gegangen. Sie sind jetzt in
       Bulgarien, Deutschland, Finnland – und bauen sich dort ein neues Leben auf,
       ohne zu wissen, ob sie irgendwann zurückkommen können. Nur eines kann man
       mit Sicherheit sagen: Kein einziger von ihnen wollte fliehen. [2][Sie haben
       ihr Land nicht auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen].
       
       Sie sind nicht schuld daran, dass die Preise in den Geschäften steigen und
       die europäischen Regierungen ihre Bevölkerung zum Sparen anhalten. Es ist
       nicht den ukrainischen Frauen und Kindern anzulasten, dass es in den
       Städten keine freien Wohnungen gibt, und sie sind auch nicht Schuld daran,
       [3][dass kein billiges russisches Gas mehr durch die Leitungen fließt].
       
       Ich denke, das ist allen klar. Nur nicht denjenigen, die fordern, dass die
       Ukraine Russland zum Fraß vorgeworfen wird und „alles wird wie früher“.
       Aber so wie früher wird es nicht mehr. Wir, die wir Millionen Menschen als
       Flüchtlinge verloren haben, wissen das so gut wie niemand anderes.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter-Stiftung]. 
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [6][edition.fotoTAPETA]
       im September herausgegeben.
       
       21 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
 (DIR) [5] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248
 (DIR) [6] https://www.edition-fototapeta.eu/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Roman Huba
       
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