# taz.de -- Lecks an Nord-Stream-Pipelines: Sabotage wahrscheinlich
       
       > Drei Lecks binnen kurzer Zeit an den Nord-Stream-Pipelines 1 und 2. Die
       > Ursachen sind unklar, PolitikerInnen sind sicher: Das kann kein Zufall
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Druckabfall: Röhren der Nord Stream-1-Ostseepipeline in Lubmin
       
       Stockholm taz | „Drei solche Schäden binnen weniger Stunden. Das ist ganz
       selten. Und wir nehmen das natürlich sehr ernst“, erklärte Kristoffer
       Böttzauw, Direktor des für den Gesamtbetrieb der Strom- und
       Gasinfrastruktur in Dänemark verantwortlichen Staatsunternehmens Energinet
       am Dienstagvormittag im dänischen Rundfunk. Die Alarmbereitschaft sei
       deshalb auf die zweithöchste Sicherheitsstufe „orange“ angehoben worden, so
       Böttzauw.
       
       An den Ostsee-Gaspipelines [1][Nord Stream 1 und Nord Stream 2] waren am
       Montagnachmittag und -abend Schäden konstatiert worden, die ein Sprecher
       des Pipelinebetreibers von Nord Stream 1 als „beispiellos“ bezeichnete.
       Zunächst hatte es ein Leck an einem der beiden Nord-Stream-2-Stränge 24
       Kilometer südöstlich der dänischen Ostseeinsel Bornholm gegeben. Einige
       Stunden später meldete dann die schwedische Seefahrtsbehörde rund 70
       Kilometer davon entfernt zwei Lecks nordöstlich von Bornholm bei den beiden
       Pipelines von Nord Stream 1. Eines in der dänischen, das andere in der
       schwedischen Wirtschaftszone, ungefähr sechs Kilometer voneinander
       entfernt, beide in internationalen Gewässern.
       
       Umgehend wurde der Schiffsverkehr aufgefordert, einen Abstand von
       mindestens fünf Seemeilen von den Lecks einzuhalten. Entsprechende Verbote
       gab es auch für den Luftverkehr.
       
       Keine der Pipelines war zum Zeitpunkt des Schadens in Betrieb, so dass die
       Lecks keine Auswirkungen auf die Energieversorgung hatten. Allerdings waren
       alle Rohre mit Gas gefüllt, weshalb es ein Explosionsrisiko gebe, erklärte
       Böttzauw: „Das Gas steigt an die Meeresoberfläche und dann in die
       Atmosphäre. Hält man einen Sicherheitsabstand ein, sehen wir aber
       eigentlich keine große Gefahr“. Nord Stream 2 wurde fertiggestellt, aber
       nie in Betrieb genommen, Ende August hat Russland die Gaslieferungen durch
       Nord Stream 1 komplett eingestellt.
       
       ## Dänische Kampfjets entdecken Blasen im Wasser
       
       Allerdings: Noch könnte „für mehrere Tage“ Gas aus den Lecks austreten, so
       Böttzauw. Taucher könne man so lange nicht hinunterschicken, um sich ein
       Bild von den Schäden zu machen, das sei zu gefährlich. Über mögliche
       Auswirkungen auf die Umwelt könne man noch nichts sagen, sagte der dänische
       Klima- und Energieminister Dan Jørgensen.
       
       Wie die dänische Zeitung Jyllands-Posten unter Berufung auf das dänische
       Militär berichtete, wurde das Leck an Nord Stream 2 am Montag von dänischen
       F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden von Bornholm aus in die Luft geschickt,
       um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem
       Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.
       
       Die Nord-Stream-1-Betreibergesellschaft „Nord Stream AG“, die mehrheitlich
       im Eigentum der russischen Gazprom ist, beließ es zunächst bei einer kurzen
       [2][Pressemitteilung]. „Die Ursachen werden untersucht“, hieß es. Im
       Bereich um Bornholm liegen die Leitungen etwa 70 Meter unter der
       Wasseroberfläche. Laut Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek sind die
       Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer
       Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich
       sei. Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten, betonte indes,
       Russland sei „äußerst besorgt über die Situation“, es müsse eine „sofortige
       Untersuchung“ geben.
       
       Auch für viele Regierungen in Europa scheint klar, dass eine derartige
       Häufung von Problemen kein Zufall sein kann: „Wir sehen deutlich, dass ein
       Sabotogeakt vorliegt“, sagte der polnische Regierungschef Mateusz
       Morawiecki. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen betonte,
       eine zufällige Ursache sei „schwer vorstellbar, wir können Sabotage nicht
       ausschließen“. Dänemarks Marine entsandte eine Fregatte in das betreffende
       Meeresgebiet vor Bornholm, offiziell mit dem Auftrag, der „Schifffahrt zu
       assistieren“. Auch deutsche Behörden äußerten Verdacht auf Sabotage.
       
       ## Zufall unwahrscheinlich
       
       Über mögliche Ursachen des Lecks wollte Energinet-Direktor Böttzauw indes
       nicht spekulieren. Es könnten „unterschiedliche Dinge sein, beispielsweise
       durch den Schiffsverkehr, es kann ein Konstruktionsfehler sein oder eben
       eine bewusste Handlung“. „Theoretisch kann der Anker eines Schiffs dafür
       verantwortlich sein“, sagte Tomas Kåberger, Professor für Energiewirtschaft
       an Göteborgs Technischer Hochschule Chalmers: Dass aber gleich mehrere
       Leitungen durch ein zufälliges Ereignis gleichzeitig beschädigt werden, sei
       völlig unwahrscheinlich.
       
       Niklas Rossbach, sicherheitspolitischer Experte beim schwedischen
       Verteidigungsforschungsinstitut FOI, sieht das ähnlich. Natürlich könne es
       beispielsweise auch ein Konstruktionsfehler sein, aber Sabotage sei
       jedenfalls nicht auszuschließen. Man könne sich dann verschiedene Szenarien
       vorstellen. Es könne sich um einen gegen Russland gerichteten Angriff
       handeln oder Russland selbst könne Verursacher sein, um sich als Opfer
       einer solchen Sabotage darstellen zu können.
       
       Der dänische Militäranalytiker Anders Puck Nielsen meinte, die nun
       aufgetretenen Schäden könnten ein Argument für Moskau sein, eine erneute
       Inbetriebnahme von Nord Stream 1 nicht nur zu verschieben, sondern erst
       einmal ganz auszuschließen. Dauern wird es auf jeden Fall. Die Nord Stream
       AG teilte laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax mit, dass es
       nicht möglich sei, „einen Zeitrahmen für die Wiederherstellung der
       Gasinfrastruktur abzuschätzen“.
       
       Indes haben Regierungsvertreter aus Polen, Dänemark und Norwegen die neue
       Ostsee-Pipeline Baltic Pipe eröffnet. Durch sie soll Erdgas aus Norwegen
       über Dänemark nach Polen fließen. „Die Ära der russischen Vorherrschaft
       beim Thema Gas geht zu Ende – eine Ära, die von Erpressung, Drohungen und
       Zwang geprägt war“, sagte Polens Premier Morawiecki bei der symbolischen
       Einweihung der Kompressorstation von Baltic Pipe in Goleniow nahe der
       polnischen Hafenstadt Stettin.
       
       ## Neue Pipeline eingeweiht
       
       „Dieser Tag markiert einen entscheidenden geopolitischen Schritt für uns
       alle“, sagte auch die dänische Ministerpräsidentin Frederiksen. Norwegens
       Öl- und Energieminister Terje Aasland betonte, Russlands Präsident Wladimir
       Putin wolle den Westen spalten, aber dies gelinge ihm nicht.
       
       Die Baltic Pipe ist ein rund 900 Kilometer langer Abzweig von der bereits
       bestehenden Trasse Europipe II, die von Norwegen durch die Nordsee nach
       Niedersachsen führt. Durch die Baltic Pipe kann künftig norwegisches Erdgas
       auch nach Osten transportiert werden.
       
       Die Leitung schließt westlich von Dänemark in der Nordsee an die bestehende
       Pipeline an, sie führt dann zum dänischen Festland und weiter durch die
       Ostsee nach Polen. Die Baukosten für das Projekt belaufen sich auf 1,6
       Milliarden Euro. Den größten Teil davon haben der polnische
       Netzwerkbetreiber Gaz-System sowie das staatliche dänische Unternehmen
       Energinet beigetragen. Energinet ist in Dänemark für den Gesamtbetrieb des
       Strom- und Gassystems verantwortlich. Aus EU-Mitteln wurde Baltic Pipe mit
       250 Millionen Euro gefördert.
       
       Ab dem 1. Oktober soll Gas durch die Leitung fließen. Der polnische
       Gasbetreiber PGNiG rechnet damit, dass im kommenden Jahr mindestens 6,5
       Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Polen fließen werden. Im darauffolgenden
       Jahr sollen es 7,5 Milliarden Kubikmeter sein.
       
       27 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Scholz-Reise-auf-die-arabische-Halbinsel/!5883590
 (DIR) [2] https://www.nord-stream.com/press-info/press-releases/pressure-drop-on-both-strings-of-the-gas-pipeline-526/
       
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