# taz.de -- Unruhen im Westjordanland: Ein neues Symbol für Tod und Hass
       
       > Beim Anblick eines israelischen Soldaten soll ein Junge im Westjordanland
       > tot umgefallen sein. Der Vorfall schürt die aggressive Stimmung weiter
       > an.
       
 (IMG) Bild: Trauerzug für Rayan Suleiman in Bethlehem am 30. September 2022
       
       Ramallah taz | „Sieben Jahre alt!“, ruft eine junge Frau mit dunkelrotem
       Lippenstift und langen schwarzen Haaren auf der Hauptstraße in Ramallah im
       Westjordanland: „Zu Tode erschreckt!“ Am Ende kommt man im Westjordanland
       in diesen Tagen immer auf Rayan Suleiman zu sprechen, den siebenjährigen
       palästinensischen Jungen, der am Donnerstag in Tuqu, einem
       palästinensischen Dorf in der Nähe von Bethlehem, gestorben ist.
       
       Der Cousin des Jungen, Mohammed Suleiman, erklärte gegenüber dem
       Nachrichtenkanal Al Jazeera, dass Rayan von einem Soldaten gejagt und
       angeschrien wurde. Als er den Soldaten vor sich gesehen habe, sei er vor
       Angst tot umgefallen. Israels Militär weist die Verantwortung zurück. Laut
       einem Armeesprecher habe der israelische Offizier „sehr ruhig“ mit dem
       Vater gesprochen und sei dann gegangen.
       
       Im Westjordanland wurden die Fotos von Rayans leblosem Körper unter einem
       Laken im Krankenhaus über Nacht zu einem neuen Symbol im
       [1][Westjordanland] – in den sozialen Medien und auf der Straße. Eine
       ohnehin angespannte Lage wird noch explosiver.
       
       Seit Anfang des Jahres sind bei [2][einer Reihe von palästinensischen
       Anschlägen] 19 Menschen in Israel getötet wurden. Seitdem macht das
       israelische Militär im Westjordanland Jagd auf Terrorverdächtige. Dabei
       geht es hauptsächlich um Militante des Islamischen Dschihad, der Hamas und
       der Al-Aksa-Märtyrerbrigaden, vor allem in den nördlichen Städten Jenin
       und Nablus. „Operation Wellenbrecher“ hat das Militär die Durchsuchungen
       und Razzien genannt.
       
       ## Stundenlange Schusswechel
       
       Die dortigen Flüchtlingslager werden von Israel als Brutstätten des
       Terrorismus betrachtet. Verzweiflung und Gewaltbereitschaft sind dort
       besonders groß. Tote auf palästinensischer Seite bei Razzien sind an der
       Tagesordnung, es sind Militante wie Zivilist:innen, einige von ihnen sind
       Teenager. Am Tag vor Rayans Tod wurden bei stundenlangen Schusswechseln in
       einem Flüchtlingslager in Jenin 4 Palästinenser:innen getötet und 44
       weitere verletzt.
       
       Was viele besorgt, – Israelis und Palästinenser:innen: Immer mehr junge
       Menschen, die nicht an eine militante Organisation gebunden sind, greifen
       zu den Waffen. Mohammed Alatar, palästinensischer Filmemacher und
       Universitätsdozent aus Ramallah, macht sich vor allem um diese jüngere
       Generation von Palästinenser:innen Sorgen.
       
       ## Keine politische Lösung in Sicht
       
       Es sind diejenigen, die unter der Militärbesatzung aufwachsen und mit dem
       Bau der israelischen Sperranlage im Jahr 2002 auch keine Israelis
       kennenlernen – wenn, dann nur als Soldat:innen an den Checkpoints und
       bei Razzien. Alatar hat an der Uni täglich Kontakt zu ihnen: „Ich habe
       wirklich Angst vor der nächsten Generation, weil nichts mehr einen Sinn für
       sie hat. Nicht das, was wir als Palästinenser tun, nicht das, was Israel
       tut.“
       
       Alatar zeigt aus dem Fenster seiner Wohnung Richtung Norden, wo Nablus und
       Jenin liegen: „Für mich ist es unglaublich, dass so viele dieser Männer,
       die im nördlichen Westjordanland Waffen tragen, unter 20 Jahre alt sind.“
       Die Entmenschlichung durch die Besatzung treibe die jungen Menschen dazu.
       
       Friedensaktivist:innen auf beiden Seiten sind sich einig, dass nur
       eine politische Lösung zu Stabilität führen kann. Doch fast 30 Jahre nach
       dem Oslo-Friedensabkommen ist [3][eine solche in weiter Ferne].
       
       In einem Video des israelischen Militärs von vergangener Woche erklärt
       Armeechef Aviv Kochavi gegenüber hochrangigen Offizieren, er werde
       zusätzliche reguläre und Reservebataillone entsenden, um die „Terrorwelle
       zu brechen“. Seit einigen Monaten sind bei den Razzien im Westjordanland
       auch Drohnen im Einsatz, um Palästinenser:innen mit Langstreckenfeuer
       zu töten, räumte das israelische Militär im Juli ein.
       
       4 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Poppe
       
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