# taz.de -- „Zukunftszentrum“ in Sachsen: Mit dem Zukunftszug nach 1989
       
       > Leipzig und Plauen bewerben sich als Standort für ein „Zukunftszentrum
       > für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“. Es geht um viel
       > Geld.
       
 (IMG) Bild: Jugendliche in Ostberlin feiern am 9. November den Mauerfall
       
       Dresden taz | Er wird „Zukunftszug“ genannt, aber er fährt am Donnerstag
       erst einmal in die Vergangenheit. In die der beiden „Heldenstädte“ des
       Revolutionsherbstes 1989 nämlich, von Leipzig aus ins vogtländische
       Plauen, wo [1][die Montagsdemonstrationen] der DDR ihren Ursprung hatten.
       
       Die Mitteldeutsche Regiobahn hat dafür einen ihrer knapp hundert Meter
       langen Züge attraktiv beklebt. Denn der Zug soll für die sächsische
       Doppelbewerbung von Plauen und Leipzig um den Standort des
       „Zukunftszentrums Deutsche Einheit“ fahren. Durch die gesamte
       Bundesrepublik und „bis nach Kiew“, wie Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard
       Jung sagt. Zur Jungfernfahrt sind neben Politikern auch ehemalige
       Bürgerrechtler, Bürger und Schüler eingeladen.
       
       „Wer Geschichte authentisch aufarbeiten will, kann dieses Zentrum nur nach
       Sachsen vergeben“, meinte der Plauener Oberbürgermeister Steffen Zenner bei
       der Vorstellung der Bewerbung in der Sächsischen Staatskanzlei. Zum
       offiziell immer wieder beschworenen, im Land aber kaum noch vernehmbaren
       Sachsenstolz gehört auch das Selbstbild vom Mutterland, das das SED-Regime
       friedlich überwunden habe.
       
       In Plauen und Leipzig wurde schon Wochen vor der ersten Oktoberwoche 1989
       demonstriert. Damals eskalierte die Lage in Dresden wegen der
       durchfahrenden Züge mit Flüchtlingen aus der Prager Botschaft, und der 40.
       Jahrestag der DDR in Berlin wurde von Protesten beherrscht. Der ohne
       Gewalteinsatz verlaufende 9. Oktober in Leipzig geriet dann faktisch zum
       Tag der Kapitulation der DDR-Führung vor 70.000 Demonstranten.
       
       ## Kritik aus der Wissenschaft
       
       Um das sogenannte Zukunftszentrum konkurrieren aber auch Städte wie
       Eisenach oder Frankfurt/Oder. Ende des Jahres will die Bundesregierung eine
       Entscheidung treffen.
       
       Schwieriger noch wird es auf einer zweiten Ebene: Die Städte bewerben sich
       für ein Projekt, dessen Konzept selbst umstritten ist und dessen Resonanz
       in der Bevölkerung keineswegs gesichert erscheint. Das 2008 vom Bundestag
       beschlossene Einheits- und Freiheitsdenkmal für Leipzig ist bis heute nicht
       realisiert, sein Standort wird infrage gestellt. Quälend weit war auch der
       Weg zum Berliner Denkmal „Einheitswippe“, das wahrscheinlich am 3. Oktober
       dieses Jahres eingeweiht werden soll.
       
       Ungeachtet des offenkundig geringen Interesses schlug eine
       Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen brandenburgischen
       Ministerpräsidenten Matthias Platzeck 2019 ein „Zukunftszentrum für
       Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ vor. 220 Millionen Euro
       sollen für einen repräsentativen Neubau in einer ostdeutschen Stadt zur
       Verfügung stehen, weitere 40 Millionen jährlich für den laufenden Betrieb.
       
       Doch im Mai dieses Jahres berichtete die taz über einen [2][kritischen
       Brief von 95 Persönlichkeiten], darunter vielen Wissenschaftlern. Verfasser
       Ilko-Sascha Kowalczuk forderte eine europäische Perspektive des Zentrums
       und keine „deutsche Nabelschau“.
       
       ## Materielle Segnungen winken
       
       [3][Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer] aber erkennt in einem
       solchen Projekt eine „ganz besondere Kraft“, insbesondere die Erinnerung an
       das für den Erfolg 1989 nötige Miteinander betreffend. Der Freistaat
       Sachsen würde „gern die Professuren mitfinanzieren“. Eine ganz besondere
       Anziehungskraft aber würden zweifellos auch die materiellen Segnungen
       ausüben, von denen ein Standort profitierte. Wer das Zentrum bekäme, „kann
       sich sehr, sehr glücklich schätzen“, deutete es Plauens OB Steffen Zenner
       an.
       
       Als Doppelstandort bieten die Sachsen den Matthäikirchhof Leipzig für die
       Wissenschaft und den Neustadtplatz Plauen für die Kultur an. Und doch
       erkennt Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung auch Bedenken an: 33 Jahre
       nach der Wiedervereinigung sei das Bevölkerungsinteresse gering und von
       akuten und aktuelleren Problemen überlagert.
       
       Ministerpräsident Kretschmer und die beiden Städte sind sich aber einig,
       dass es keineswegs nur um akademische Forschung, sondern vor allem um
       lebendigen Austausch und persönliche Geschichten gehen müsse. Das Zentrum
       solle nicht nur retrospektiv angelegt sein, sondern Brücken in die
       Gegenwart schlagen. Revolutionsromantik solle vermieden werden, meinte Jung
       auf Nachfrage. „Die Diskussionskultur bedarf dringend einer Erneuerung“,
       sagte auch Steffen Zenner. Er sprach von einem „Glücksfall deutsche
       Einheit“, die „allerdings nicht für jeden gut gelaufen ist“.
       
       8 Sep 2022
       
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