# taz.de -- Fußball-EM der Einsamkeit: Kellerkind vor Bildschirm
       
       > Bei Großturnieren können Journalist:innen zu Eremiten werden. Und
       > zwar solche zwischen Plastikschalen mit Essensresten und verstreuten
       > Klamotten.
       
 (IMG) Bild: Fußball und Ernährung: Für die Zuschauenden soll es möglichst schnell gehen
       
       Gestern habe ich mich kurz aus meiner Routine bewegt. Ich bin in einen
       anderen Imbiss gegangen als sonst. Nach reiflicher Überlegung, ob es die
       zehn Minuten Fußweg wirklich wert sind, habe ich Neuland betreten. Dort
       habe ich dann leider erfahren, dass der Laden erst um 17 Uhr aufmacht. Zur
       Anstoßzeit. Zu blöd.
       
       Mein [1][EM-Leben in Brentford] ist die Hochleistungsform des
       Murmeltiertags, eingerahmt von gleichen Aufstehzeiten morgens und gleichen
       Anstoßzeiten abends. Zwischen der Arbeit gehe ich ins Kebab-Haus gegenüber
       wie immer, das Menü kenne ich schon auswendig. Davor gehe ich einkaufen, in
       denselben Supermarkt wie immer, vier Minuten zu Fuß entfernt. Was ich dort
       kaufe, meist dasselbe wie immer, lässt sich sofort essen, kochen dauert mir
       hier entschieden zu lange.
       
       Wie Sportjournalist:innen bei Turnieren leben? Ich schätze, wie Gamer.
       Eremiten vor dem Bildschirm, in einem Zimmer hinter zugezogenen Vorhängen,
       klickend von 7 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts, zwischen leeren
       Cornflakes-Packungen, Plastikschalen mit Essensresten und verstreuten
       Klamottenhaufen. Zumindest ich und hier in Brentford.
       
       Ich weiß nun persönlich, dass die meisten Gamer:innen doch etwas mehr
       Tageslicht sehen, also ist es vielleicht umgekehrt, einige Gamer:innen
       leben wie Sportjournalist:innen. An manchen Tagen überlege ich sehr
       ernsthaft, ob das Schoko-Muffin und die Chipstüte, die es kostenlos bei der
       Uefa gibt, mir ersparen, ein Abendessen schnippeln zu müssen. Oft ist das
       Resultat positiv.
       
       Und ja, die Uefa ist eine Sportorganisation, auch wenn man das der
       Verpflegung nicht anmerkt. Diese Kellerkind-Attitüde ist mir an mir selbst
       neu. [2][In Aserbaidschan, Nordmazedonien, Nizza, eigentlich überall rannte
       ich zwischen der Arbeit in die Welt.] Alles war voll von Begegnungen,
       Einladungen und Fremde, Aufregung, Adrenalin. Aber das hier ist halt ein
       Vorort von London, hier sieht es nicht anders aus als in Berlin-Tempelhof.
       Jedenfalls ähnlich. Die Airbnbs, selbst die billigsten, vermieten in
       England die Reichen. Die schließen die Tür auf, zeigen die Küche und sind
       dann wieder weg.
       
       Meine einzige Interaktion mit den Einheimischen besteht darin, den ganzen
       Tag der lokalen Kita zu lauschen. „Kein Sonnenhut, kein Garten, Ryan!“ So
       sieht’s aus. Ohne Maske kein Stadion, das gehört derweil der Vergangenheit
       an. Wurde beim letzten Turnier noch streng auf Corona getestet und
       kontrolliert, muss jetzt nur noch bei der Pressekonferenz Maske getragen
       werden. Wo keine Pflicht herrscht, tut’s keiner, da sind wir seit Ryan
       nicht viel weitergekommen. [3][Ein Gutes hatten die Tests, oft lief man
       durch die halbe Stadt, lernte abgelegene Winkel kennen.]
       
       In Brentford gibt’s also auch kein Corona-Test-Sightseeing. Vielleicht muss
       ich doch mal in diesen anderen Imbiss gehen. Eines Tages. Aber vielleicht
       auch nicht, ich fahre schließlich Samstag schon nach Milton Keynes. Das ist
       ja wohl Bewegung genug.
       
       15 Jul 2022
       
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