# taz.de -- Umgang mit Hartz-IV-Bezieherin: „So etwas noch nicht erlebt“
       
       > Das Jobcenter Hochtaunuskreis „vergisst“, einer Hartz-IV-Bezieherin die
       > Heizkosten zu zahlen – obwohl eine Stromsperre droht. Wie kann das sein?
       
 (IMG) Bild: Wenn die Heizung über den Strom läuft, wird es teuer
       
       Frankfurt (Main) taz | Konstantin Seefeldt ist entsetzt. „Ich habe viel mit
       Jobcentern zu tun, aber so eine konsequente Nicht-Reaktion und Unkenntnis,
       das habe ich bisher noch nicht erlebt“, sagt der Mitgründer der Stiftung
       OneWorryLess.
       
       Seefeldt organisiert armen Menschen im Hartz-IV-Bezug normalerweise
       Lebensmittelgutscheine oder Ersatz für die kaputte Wasch- oder
       Kaffeemaschine. Dinge, die sich diese Menschen von den dürftigen 449 Euro
       Hartz IV kaum leisten können. Aber ab und zu hilft er auch mit der
       Bürokratie, wenn er merkt, dass Leistungen vom Jobcenter falsch oder gar
       nicht berechnet werden.
       
       Und diese Fehlberechnungen, die sind kein Einzelfall. In Zahlen: Im Jahr
       2020, also bevor es einige pandemiebedingte Erleichterungen bei der
       Beantragung von Hartz IV gab, wurde gegen 2,3 Prozent aller Bescheide der
       Jobcenter ein Widerspruch eingelegt. Das klingt erst einmal wenig, ist aber
       bei der Summe der verschickten Bescheide doch immens: Es geht um rund
       500.000 Fälle jährlich. Und bei mehr als einem Drittel davon wurden die
       Bescheide nach der Beschwerde tatsächlich geändert.
       
       Und gerade bei der Grundsicherung sind Fehlberechnungen eine heikle Sache:
       Denn Hartz IV und Co. sichern nur das allerunterste finanzielle Minimum ab.
       Sie sind so niedrig, dass selbst das Verfassungsgericht sie als [1][gerade
       noch so grundgesetzkonform einordnet]. Und „die paar Euro“, die dann
       fehlen, können schnell existenzbedrohend werden.
       
       ## Erst Freude, dann Schock
       
       Auch Maria Sanders (Name von der Redaktion geändert) aus Friedrichsdorf im
       Taunus hat das zu spüren bekommen. Eigentlich ist ihre Freude groß, als sie
       im September 2021 endlich wieder eine Wohnung findet. Zuvor hatte die
       46-Jährige eineinhalb Jahre in einem Obdachlosenwohnheim gelebt.„Endlich
       wieder eine eigene Wohnung“, erinnert sich die Bezieherin von Hartz IV
       gegenüber der taz an den Moment, als sie einzieht.
       
       Doch nur wenige Wochen später kommt der Schock: Im November liegt im
       Briefkasten von Maria Sanders die Jahresendabrechnung von ihrem
       Stromversorger – verbunden mit einer ersten Androhung einer Stromsperre.
       
       Das Problem von Sanders: Ihre Heizung läuft über den Strom. Und das frisst
       Unmengen an Geld. Es ist die teuerste aller Heizarten. Rund 65 Euro im
       Monat soll Sanders zunächst für die Stromheizung, den Boiler und den
       normalen Haushaltsstrom zahlen. Geld, das sie nicht hat. Denn von den 449
       Euro Hartz IV gehen bereits 50 Euro für ein Kautionsdarlehen ab. Und ab 100
       Euro Stromschulden konnten Energieversorger bis zum Jahreswechsel 2021/22
       bereits eine Stromsperre verhängen.
       
       Vor allem müsste Sanders den Heizstrom gar nicht zahlen. Denn: Heizkosten
       werden vom Jobcenter übernommen. Wegen der Pandemie ist die Regelung
       aktuell sogar noch weitreichender, das bestätigt auf Anfrage auch die
       Pressestelle der Bundesagentur für Arbeit. „Für laufenden Heizstrom gilt
       aktuell, dass Kosten der Unterkunft und Heizung ohne nähere Prüfung der
       Angemessenheit übernommen werden.“
       
       ## Einfach nur vergessen?
       
       Sprich: Die Heizkosten werden gezahlt, egal wie hoch sie sind. Und weil
       Maria Sanders Heizung über den Strom läuft und es keinen separaten Zähler
       für diesen Heizstrom gibt, müssen eben auch die Stromkosten für den
       Heizstrom übernommen werden.
       
       Doch im Jobcenter Hochtaunus ist das offenbar nicht bekannt oder es rutscht
       da einfach durch. Heizkosten werden gar keine gezahlt. Und was das
       Jobcenter Hochtaunus nicht weiß – Frau Sanders weiß das erst recht nicht.
       Bis sie sich an die Stiftung OneWorryLess und Konstantin Seefeldt wendet.
       Als schon das erste Mal gar nichts mehr geht.
       
       Ende Januar schreibt Seefeldt dem Jobcenter Hochtaunus. Er weist auf den
       Fehler hin und bittet, die Stromkosten zu übernehmen. Die alte Sperre aus
       dem November konnte Sanders gerade noch mithilfe der Stiftung abwenden.
       Aber ihr droht schon eine neue. Ihr Versorger, die OVAG, hat ihr da gerade
       mitgeteilt, auf was sich der Abschlag wohl voraussichtlich belaufen wird:
       rund 100 Euro jeden Monat. „Mir war klar, da muss das Jobcenter ran und
       endlich handeln“, sagt Seefeldt.
       
       Doch vom Jobcenter kommt keine Reaktion. Über mehrere Wochen nicht. Und
       das, obwohl in dem ersten Schreiben an das Jobcenter schon die Stromsperre
       erwähnt wird. Seefeldt telefoniert immer wieder der Sachbearbeiterin
       hinterher, niemand geht ran. Der Infoschalter stellt ihn ins Leere durch.
       
       ## Neun E-Mails, keine Antwort
       
       Ein weiterer Brief im April, dieses Mal mit der genauen Abschlagsforderung
       der OVAG. Dazu kommen zwei Einschreiben, zwei Faxe, neun E-Mails – keine
       Antwort. Als die taz Mitte Mai eingeschaltet wird, da droht Sanders in zwei
       Wochen die Stromsperre – das Jobcenter hat immer noch nicht reagiert.
       
       Doch dann Ende Mai die Wende: Ein Schreiben im Briefkasten von Sanders. Und
       wenige Stunden nachdem die taz-Anfrage beim Hochtaunuskreis eingeht, da
       meldet sich die Sachbearbeiterin sogar telefonisch bei ihr. Nach dem
       Telefonat ruft die Jobcentermitarbeiterin beim Energieversorger an,
       erklärt, dass die Behörde einen Teil der Zahlung übernimmt – insgesamt rund
       400 Euro. Die Stromsperre ist damit abgewendet – nur eine Woche, bevor
       Sanders keinen Strom mehr gehabt hätte.
       
       Warum das Jobcenter sich über Wochen nicht gemeldet hat bei Sanders –
       darauf bekommt die taz keine Antwort.
       
       Doch: Die Geschichte ist immer noch nicht zu Ende. Denn das Jobcenter will
       die Zahlung der 400 Euro an den Energieversorger Maria Sanders als Darlehen
       in Rechnung stellen. Jeden Monat 50 Euro. Seefeldt kritisiert das: „Denn
       eigentlich hätte das Jobcenter ja von vornherein die gesamten Stromkosten
       für das Heizen bezahlen müssen. Und die 15 Euro monatlich, die sie künftig
       zahlen wollen für die Heizkosten, „die könnten gerade einmal einen Schrank
       heizen“, sagt Seefeldt.
       
       ## Rechtswidrig, sagt ein Sozialrechtler
       
       Wenn Gerichte zu Fällen bei einer Stromheizung ohne separaten Zähler
       urteilen, dann legen sie oft ein Verhältnis von 80 Prozent Heizung und nur
       20 Prozent Haushaltsstrom zugrunde. So teuer ist Heizstrom. Andere ziehen
       die rund 38 Euro Pauschale für Haushaltsstrom, die in jedem
       Hartz-IV-Regelsatz enthalten ist, von dem Abschlag für Heizstrom ab – und
       überweisen den Rest. Das wären in Sanders Fall rund 60 Euro statt 15 Euro.
       
       Der Sozialrechtsexperte Harald Thomé erklärt gegenüber der taz sogar: „Das
       Jobcenter ist von Amts wegen verpflichtet, die tatsächlichen Heizkosten zu
       ermitteln.“ Sprich: Es hätte von sich aus aktiv werden müssen, wenn es um
       das Thema Heizkosten geht.
       
       Im Minimalfall, sagt Thomé, hätte das Jobcenter Sanders verpflichten
       müssen, ein Heizprotokoll zu führen. „Damit man dann immerhin annähernd die
       echten Werte ermitteln kann“, sagt der Sozialrechtler. „Eine Aufstellung
       einfach ins Blaue hinein ist dagegen rechtswidrig.“ Doch genau das ist bei
       Sanders geschehen.
       
       Knapp heißt es aus dem Jobcenter Hochtaunus gegenüber der taz: „Solange
       Heizstrom und anderer Haushaltsstrom zählertechnisch nicht getrennt werden
       können, muss das Jobcenter die gesetzlich fixierten Abschläge in den Ansatz
       bringen.“ Welche gesetzlich fixierten Abschläge damit gemeint sind, bleibt
       offen. Denn fixierte Abschläge für Heizstrom, die gibt es eben nicht.
       Außerdem teilt man mit, man habe eine „andere Rechtsauffassung“.
       
       ## Darlehen abstottern
       
       Für Sanders heißt das: Sie soll nun 50 Euro Darlehen für Strom, 50 Euro für
       ihre Kaution jeden Monat beim Jobcenter abstottern. Dazu ihre verbleibenden
       rund 85 Euro für den Energieversorger. Und von den rund 250 Euro, die ihr
       dann noch bleiben, muss Sanders noch Warmwasser sowie Fixkosten wie
       Internet, Telefon und Versicherungen zahlen. Es bleibt ein kleiner Rest für
       alle anderen Ausgaben des täglichen Bedarfs.
       
       „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Konstantin Seefeldt. Wenn er
       sich im Namen der OneWorryLess-Stiftung einschalte, klärten sich selbst
       verfahrene Fälle in der Regel binnen Tagen. Er will Widerspruch einlegen
       und zur Not klagen. „So nimmt das Jobcenter die nächste drohende
       Stromsperre in Kauf.“
       
       Auch die Hartz-IV-Kritikerin Inge Hannemann, die selbst lange in einem
       Jobcenter gearbeitet hat, ist verärgert: „Bei aktuellen Notlagen, wie einer
       Stromsperre, muss es eine erreichbare Ansprechperson geben.“ Es könne
       „nicht sein, dass Menschen in so einer Lage alleine gelassen werden“. Dass
       das Jobcenter Hochtaunus monatelang abtaucht, nennt sie „ein Unding“.
       
       Doch seit Beginn der Pandemie sind viele Jobcenter sehr schlecht zu
       erreichen, kritisiert Hannemann. „Es kam ganz auf die Region an. Bei
       einigen lief es gut, bei anderen war die telefonische Erreichbarkeit noch
       schlechter als sonst.“ Und das, obwohl die Beschäftigten verpflichtet
       worden seien, ihre Telefone ins Homeoffice umzuleiten, sagt Hannemann.
       
       ## Kein Problembewusstsein
       
       Sie kritisiert: „Bei der Berechnung der Grundsicherung so wesentliche
       Fehler zu machen, das darf einfach nicht sein.“ Das Personal müsse so
       geschult sein, dass so etwas nicht vorkomme. Doch das eigentliche
       Grundproblem, das sieht sie noch woanders: „Die Grundsicherung ist so
       kleingerechnet, dass wenn dort nur eine Kleinigkeit zu wenig überwiesen
       wird, das sofort existenziell wird für Betroffene.“ Die Regelsätze seien
       auch ohne Fehler zu niedrig.
       
       Aus dem Bundesarbeitsministerium heißt es, man habe keinerlei Erkenntnisse
       dazu, dass erhebliche Fehlkalkulationen wie bei Sanders oft vorkommen. Aber
       müsste man dann nicht zumindest für mehr Schulungen sorgen? Die Frage wird
       indirekt verneint: Ob und wie ein Jobcenter die Mitarbeitenden weiterbilde
       und qualifiziere, sei Sache der örtlichen Geschäftsführungen, heißt es.
       
       20 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Bundesverfassungsgericht-zu-Hartz-IV-/!5855313
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alina Leimbach
       
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