# taz.de -- Gutachten Sachverständigenrat Migration: Tragende Rolle im Gesundheitswesen
       
       > Das deutsche Gesundheitswesen braucht Menschen mit Migrationsgeschichte.
       > Schon heute sei dort jede*r sechste im Ausland geboren, zeigen
       > Expert*innen auf.
       
 (IMG) Bild: Altenpflegerin Kraslovske Porici kommt aus Tschechien und unterstützt eine 79jährige beim Frühstück
       
       Berlin taz | Petra Bendels Aussage ist eindeutig: Ohne Eingewanderte
       „stünde das deutsche Gesundheitswesen vor dem Kollaps“, erklärte die
       Vorsitzende des Sachverständigenrats Migration und Integration (SVR). Am
       Montag stellte das Gremium in Berlin [1][sein Jahresgutachten] vor. Unter
       dem Titel „Systemrelevant“ gingen die interdisziplinären Forscher*innen
       in diesem Jahr der Rolle von Migrant*innen und Menschen mit
       Migrationshintergrund nach – sowohl als dringend benötigte Fachkräfte, als
       auch als Patient*innen, die mitunter auf besondere Hürden stoßen.
       
       Unterbesetzte Stationen, nicht einsatzbereite Intensivbetten: Nicht zuletzt
       die Coronapandemie hat gezeigt, wie [2][massiv das Gesundheitswesen vom
       Fachkräftemangel betroffen] ist – aber auch, welche Rolle [3][Zugewanderte]
       und Menschen mit Migrationshintergrund dort spielen. Schon heute, betont
       das SVR-Gutachten, sei jede*r sechste Erwerbstätige in Gesundheits- und
       Pflegeberufen im Ausland geboren, fast ein Viertel hat einen
       Migrationshintergrund. Anders als in anderen systemrelevanten Branchen
       betrifft das nicht in erster [4][Linie prekäre Jobs]: Auch unter den
       Ärzt*innen sei mehr als ein Viertel entweder selbst zugewandert oder das
       Kind von Zugewanderten. 14 Prozent seien Ausländer*innen, vor allem aus
       Syrien und Rumänien.
       
       Der Fachkräftemangel in Deutschland ist groß, nicht zuletzt wegen des
       demografischen Wandels. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass
       Deutschland jährlich etwa 400.000 Zuwander*innen braucht, um den sich
       verschlimmernden [5][Fachkräftemangel] abzubremsen.
       
       ## Mehr Auszubildende aus dem Ausland
       
       Unter anderem im Lichte dessen hatte die Große Koalition im Jahr 2019 das
       Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet. Expert*innen warnten aber
       schon damals, dass dieses nicht ausreiche. Gesundheitsberufe gehören zu den
       reglementierten Berufen – Fachkräfte müssen nachweisen, dass ihre
       Qualifikation deutschen Standards entspricht. Das sei auch wichtig, betont
       der stellvertretende SVR-Vorsitzende Daniel Thym. „Es geht um den Schutz
       von Patientinnen und Patienten“. Trotzdem sei es wichtig, Prozesse zur
       Anerkennung von Qualifikationen zu beschleunigen und zu vereinfachen und
       eventuell nötige Nachqualifizierungen schnell zu ermöglichen, betont der
       SVR.
       
       Auch plädieren die Expert*innen dafür, mehr Auszubildende aus dem
       Ausland zu rekrutieren. So würde man zum einen die bürokratischen
       Anerkennungsverfahren und Nachqualifizierungen umgehen und zum anderen dem
       sogenannten Brain-Drain aus den Herkunftsländern vorbeugen: der Abwanderung
       von auch dort dringend gebrauchtem medizinischen Personal.
       
       In einem Punkt geht der Sachverständigenrat über sein eigentliches
       Arbeitsfeld hinaus: Es sei „unabdingbar, die Arbeitsbedingungen im
       Gesundheitssektor und besonders in der [6][Pflege grundlegend zu
       verbessern“], schreiben die Expert*innen. Nur so ließen sich Fachkräfte
       langfristig halten – und durch Zuwanderung allein sei das Problem ohnehin
       nicht zu lösen. Auch solle der Blick nicht nur auf ausländische Fachkräfte
       gerichtet werden, sondern auch auf das „Potenzial von bereits
       Zugewanderten“, die für Gesundheits- und Pflegeberufe gewonnen werden
       könnten.
       
       ## Kinder von Migrant*innen fallen durchs Raster
       
       Der SVR hat sich Migrant*innen und Menschen mit Migrationshintergrund
       nicht nur als Beschäftigte im Gesundheitsbereich angeschaut, sondern auch
       als Patient*innen. Auch dieses Thema war während der Pandemie in den
       Mittelpunkt gerückt, als es hieß, Migrant*innen hätten ein höheres
       Risiko, sich zu infizieren oder schwere Verläufe zu erleiden.
       
       Die Expert*innen halten fest: „In Deutschland mangelt es an qualitativ
       hochwertigen und aussagekräftigen Daten“, um verlässliche Aussagen zur
       gesundheitlichen Situation dieser Gruppen zu machen. Entweder werde in
       Untersuchungen nur zwischen Deutschen und Ausländer*innen unterschieden
       oder gar nicht. Eingebürgerte oder mit deutscher Staatsangehörigkeit
       geborene Kinder von Migrant*innen fielen so durchs Raster, auch gehe es
       um sehr heterogene Gruppen, die auch entsprechend untersucht werden
       müssten.
       
       An und für sich sei Migrationsgeschichte kein bestimmender Faktor für die
       Gesundheit eines Menschen, so die Sachverständigen. Doch noch immer falle
       das Merkmal „Migrationshintergrund“ statistisch mit einer „ungünstigen
       sozioökonomischen Lage“ zusammen – und diese ist maßgeblich für den
       Gesundheitszustand. So lauteten auch viele Erklärungen in der
       Coronapandemie, dass Menschen mit Migrationsbiografie häufiger als andere
       in prekären Jobs arbeiten, die nicht ins Homeoffice verlegt werden können.
       Deshalb seien sie auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind und in
       könnten den direkten Kontakt zu anderen Menschen nicht vermeiden. „Auch
       Sprachbarrieren und Diskriminierung können den Zugang zum Gesundheitssystem
       behindern“, heißt es im Gutachten.
       
       10 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.svr-migration.de/publikationen/jahresgutachten-2022/
 (DIR) [2] /Fachkraeftemangel-in-der-Pflege/!5853092
 (DIR) [3] /Integration-ukrainischer-Gefluechteter/!5845074
 (DIR) [4] /Reformen-in-der-Pflege/!5825343
 (DIR) [5] /Fachkraeftemangel-in-der-Pflege/!5853092
 (DIR) [6] /Die-These/!5792346
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
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