# taz.de -- Drohungen vor Schleswig-Holstein-Wahl: Angstmacher mit Briefmarke
       
       > Politiker der Linken bekommen dutzendfach Drohungen per Postkarte –
       > und eine tote Ratte. Von der Polizei fühlen sie sich nicht überall
       > gesehen.
       
 (IMG) Bild: Eine tote Ratte samt Drohung wurde der Linken in Schleswig-Holstein in den Postkasten geworfen
       
       Bremen taz | Es ist ganz gut, dass der 30. April vorbei ist, findet Susanne
       Spethmann. Seit kurz vor der Bundestagswahl hat die Linken-Politikerin aus
       [1][Schleswig-Holstein] immer wieder seltsame Postkarten bekommen:
       Irgendjemand hat Zeitungsschnipsel ausgeschnitten und zusammengestellt.
       
       Artikel über Attentate und Amokläufe kleben dort zum Beispiel, neben
       Sprüchen wie „Jetzt gesund bleiben“ oder „Vielen Dank“. Und immer wieder
       taucht in Spethmanns Fall das Datum auf, der 30. 04. „Das ist dein Tag“,
       steht dort. Und: „Kennedy's Witwe.“
       
       Spethmann ist Krankenpflegerin und [2][Spitzenkandidatin] der Linken in
       Schleswig-Holstein. Seit die Landtagswahl näher rückt, werden die
       Postkarten mehr. Jede Woche bekommt sie eine – nicht nur ins Büro des
       Kreisverbands, sondern auch an ihre Privatanschrift. „Nicht so schön“ sei
       es, dass offenbar jemand die Adresse kenne. Sie lacht ein wenig, während
       sie erzählt. Nein, einschüchtern lassen will sie sich nicht. „Man bringt
       natürlich trotzdem seinen Törn durch“, sagt sie. „Aber als es auf den 30.
       04. zuging, war mir schon mulmig zumute.“
       
       Sie ist nicht die einzige Adressatin, beileibe nicht: Fast alle linken
       Direktkandidat*innen für die Wahl in Schleswig-Holstein hätten schon
       solche selbstgebastelten Postkarten bekommen, heißt es in einer
       Pressemitteilung der Linken-Geschäftsstelle.
       
       ## Wirre Karten und eine tote Ratte
       
       Wie ernst soll man die Karten nehmen? Landesgeschäftsführer Daniel Hofmann
       zögert. Wirr wirken sie allemal. „Aber auf jeden Fall hat sich auch jemand
       Mühe gegeben beim Basteln“, meint er. Man könne eine Art Muster erkennen –
       auf vielen Karten sei neben dem Empfänger noch ein zweiter Name angegeben,
       oft der oder die nächste Adressat*in. Am Donnerstag ist wieder mal eine
       Karte in der Geschäftsstelle angekommen: Darauf ein Artikel über [3][das
       Attentat auf Lafontaine], beklebt mit dem Spruch „Laß Blumen sprechen“
       (sic).
       
       Thomas Palm, Kreisvorsitzender der Linken Dithmarschen, hat weniger blumige
       Post bekommen: Mitte Februar wurde eine totgetrampelte Ratte in den
       Postkasten der Geschäftsstelle Dithmarschen gesteckt – dazu ein
       Papierstreifen mit den Worten „euer Vorsitzender“. „Dieser Vorsitzende bin
       ich – und mich hat diese Drohung entsetzt“, so Palm.
       
       Die Polizei hat auf die Drohungen gegen die Landtagskandidat*innen
       der Linken unterschiedlich reagiert. „Die Kripo hat uns zurückgemeldet,
       dass wir die Drohungen ernst nehmen sollen“, sagt Hofmann. „Als kleinen Gag
       in den Müll werfen sollen wir sie jedenfalls nicht.“ Die Kripo in Kiel
       sammelt jetzt Karten – die Chance, dass die Urheber*innen ermittelt
       werden, sei aber gering.
       
       Nicht in allen Polizeistellen im Land wurden die Fälle so ernst genommen.
       In Ostholstein, wo Spethmann als Direktkandidatin antritt, weiß das für
       politische Vorfälle zuständige Kommissariat K5 nichts von Drohungen gegen
       linke Politiker*innen. Eigentlich hätte die aufnehmende Polizeiwache den
       Fall hierhin weitergeben müssen. „Aber vielleicht haben sie dort den
       politischen Hintergrund gar nicht gesehen“, vermutet ein Sprecher der
       Polizei Lübeck.
       
       ## Von der Polizei enttäuscht
       
       „Es hat mich enttäuscht, dass es bei der Polizei so wenig Aufmerksamkeit
       gegeben hat“, sagt Spethmann. „Die haben sich die Postkarten zeigen lassen,
       aber dann kam nichts mehr“. Statt einer Anzeige gegen Unbekannt folgte nur
       ein Vermerk; Es habe, so Spethmann, keine Nachfrage gegeben, wie es ihr
       gehe, keine Nachfrage, ob weiter Karten bei ihr ankämen. „Ich glaube, es
       ist ein bisschen typisch, dass in Deutschland gewartet wird, bis was
       passiert“, sagt sie.
       
       Auch Palm zeigt sich enttäuscht von den Ermittlungen in Heide nach dem Fund
       der toten Ratte. Die zuständige Staatsanwaltschaft Dithmarschen hat das
       Verfahren bereits eingestellt, „da der Tatverantwortliche im Rahmen der
       polizeilichen Ermittlungen nicht ermittelt werden konnte“, schreibt
       Dithmarschens Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rakow. „Aus meiner Sicht macht
       die Staatsanwaltschaft sich das arg leicht mit den Ermittlungen“, meint
       Kreisvorsitzender Palm.
       
       ## Postkarte an Linke im ganzen Land
       
       Spethmann hat auf eigene Faust ein wenig ermittelt: Abgestempelt werden
       alle Karten in Berlin oder in Frankfurt (Oder). Manchmal tauchen auf den
       Postkarten noch weitere Adressen auf – nicht nur von den
       Parteikolleg*innen aus einem anderen Wahlkreis, die dann wenige Tage
       später ähnliche Post bekommen. Sondern auch Adressen von weiter her, von
       Menschen, deren Namen Spethmann noch nie gehört hat.
       
       Von einem dieser Namen hat die Krankenpflegerin eine Telefonnummer
       herausbekommen. Sie gehört einer Frau aus Bayern – beim Anruf zeigte sich,
       so Spethmann: Die Frau hatte vor Jahren ebenfalls für die Linke kandidiert
       und ähnliche Post bekommen; irgendwann nach der Wahl hörte das auf. Jetzt
       taucht ihr Name 700 Kilometer weiter nördlich auf seltsamen Karten auf.
       „Ich finde es gruselig, dass das Ausmaß so extrem ist: selbstgebastelte
       Postkarten von Bayern bis nach Schleswig-Holstein“, sagt Spethmann. „Hier
       bleibt sich jemand offenbar sehr treu.“
       
       6 May 2022
       
       ## LINKS
       
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