# taz.de -- Die Wahrheit: Kettensägenmassaker in Treptow
       
       > Videotheken sind der letzte Ort des filmischen Horrors. Sie sind selten
       > geworden, aber nur dort kann ein Sammler seine Gelüste befriedigen.
       
 (IMG) Bild: 2G bis in den letzten Winkel Deutschlands – so die Devise des Chefmobilitätsbeauftragten der Ampel
       
       Neulich trieb Leatherface mal wieder sein Unwesen im Treptower Park. Dachte
       ich zumindest, als ich den vertrauten Klang der Kettensäge durch die
       Berliner Luft vernahm. Doch statt des ledrigen Mordgesellen aus dem alten
       texanischen Videothekenschocker „Kettensägenmassaker“ stapfte da nur ein
       Mitarbeiter des Berliner Grünflächenamts durchs Unterholz und fällte eine
       morsche Platane.
       
       Jeder seriöse Horrorfilmfan kennt solche Situationen. Da werden nette
       Krankenhausclowns zu blutrünstigen Pennywise-Monstern wie in Stephen Kings
       „Es“, und bei Rasenmähern denkt man an die geschredderten Zombie-Horden in
       „Braindead“. Der Ort, aus dem der Stoff stammte, war die Videothek.
       
       Pünktlich zum 18. Geburtstag riss ich die Glastür der einsturzgefährdeten
       örtlichen Videothek auf und wühlte mich durch das riesige Angebot. Da waren
       Horrorfilme, so weit die Säge reichte: „From Dusk till Dawn“, „Re-Animator“
       und „Dawn of the Dead“ warteten auf eine ausschließlich männliche
       Kundschaft. Kurz darauf schloss die Videothek, und das große Sammeln
       begann.
       
       Andere horten Bücher oder Platten, ich sammle Filme, am liebsten jene mit
       einem schönen Achtziger-Jahre-Cover. Für manche Sammler sind sie eine
       richtige Geldanlage. Für die Spezialedition von „Freitag der 13.“ zahlen
       ein paar Verrückte sogar bis zu 450 Euro. Viele der alten Streifen gibt es
       bei keinem Streaming-Anbieter, da sich entweder niemand für sie
       interessiert oder weil sie in Deutschland „verboten“ sind.
       
       In den Achtzigern schienen Horrorfilme für Jugendschützer und
       Strafverfolgungsbehörden der Leibhaftige zu sein. Als die Videokassette
       damals ihren Siegeszug antrat und selbst Dreijährige [1][das VHS-Tape von
       „Tanz der Teufel“] fachkundig in den Rekorder schoben und anschließend
       Randale auf dem Schulhof machten, schlugen Sittenwächter und das ZDF Alarm.
       So ziemlich jeder Horrorfilm verschwand im Giftschrank. Wer die Tapes
       trotzdem bewirbt oder verkauft, kann bei manchen sogar heute noch im Knast
       landen.
       
       Mal wieder sind es die Österreicher, die den Lauf der deutschen Geschichte
       maßgeblich beeinflussen. Bei unseren Nachbarn sieht man es nicht so eng mit
       den Altersfreigaben. Und so gibt es Händler, die sich auf die
       bedauernswerte deutsche Kundschaft spezialisiert haben und mit
       Sonderangeboten locken, die mein Konto ordentlich schröpfen und die es
       eigentlich auch hierzulande in Videotheken geben müsste.
       
       Wie in jener an der Greifswalder Straße in Berlins Schockerortsteil Nummer
       eins Prenzlauer Berg. Seit Jahren werden die Transparente an der
       Glasfassade immer größer, in dicken Lettern blutrot an die Scheiben
       geschmiert: „Alles muss raus!!“. Das Horrorfilmangebot war mager, aber dann
       stand da diese lebensgroße Leatherface-Statue für ’nen Hunni, den wir nun
       als Vogelscheuche fürs Gemüsebeet nutzen. Seitdem schaut Leathi sehnsüchtig
       auf die Säge des Grünflächenmitarbeiters.
       
       5 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://youtu.be/nMy-NryQN2c
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Denis Gießler
       
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