# taz.de -- Fußballstar Lilian Thuram als Buchautor: Angst der Herrschenden
       
       > Die rassismuskritische Schrift von Frankreichs Fußballnationalspieler
       > Lilian Thuram ist ein sehr guter Beitrag zu postkolonialen Debatten.
       
 (IMG) Bild: Fußball-Weltmeister und Autor Lilian Thuram präsentiert sein Buch
       
       „Was habt ihr euch denn erhofft, als ihr den Knebel abnahmt, der diese
       schwarzen Münder verschloss? Dass sie Lobgesänge für euch anstimmen
       würden?“, fragt Lilian Thuram mit den Worten Jean-Paul Sartres. Thuram, den
       die meisten als französischen Rekordnationalspieler sowie Welt- und
       Europameister kennen dürften, hat in Frankreich längst eine andere Rolle
       eingenommen.
       
       Er betreibt antirassistische Bildungsarbeit, hat preisgekrönte
       Ausstellungen zum Thema entwickelt, ist mit Ehrendoktorwürden ausgestattet.
       [1][Nun hat Lilian Thuram] ein Buch geschrieben, das sich des Lobgesangs
       auf weiße Herrschaft jedenfalls nicht verdächtig macht; die
       rassismuskritische Schrift „Das weiße Denken“. Und all den weißen
       Leser:innen, die sich davon vielleicht vor den Kopf gestoßen fühlen, teilt
       er mit: Was erwartet ihr denn zu hören, jetzt, wo wir reden dürfen?
       
       „Das weiße Denken“ ist ein großes Werk. Nicht nur „gut für einen
       Fußballer“, wie mancher vielleicht abfällig sagen würde, sondern ein
       hervorragender und detailliert recherchierter Beitrag zu postkolonialen
       Debatten. Thuram konzentriert sich dabei nicht auf die Schwarzen, sondern
       auf die herrschende Klasse, auf die Erfindung des Weißen. Warum, fragt er,
       ist den Schwarzen ihre Hautfarbe ständig bewusst, den Weißen aber nicht?
       Weil diese kaum je als Weiße bezeichnet werden. Sie herrschen, ohne das
       überhaupt so wahrzunehmen. Sie verstehen sich als die Norm. Dabei sei ja
       niemand farblich weiß. Zum Weißen, so Thuram, wird man politisch gemacht.
       „Das weiße Denken ist keine Frage der Pigmentierung der Haut. Es ist
       vielmehr, mindestens seit den Kreuzzügen, eine Art, auf der Welt zu sein.“
       
       Vieles, was in diesem Buch steht, ist nun im antirassistischen Diskurs
       nicht neu. Thuram aber setzt durchaus eigene Akzente. Schonungslos ist die
       detaillierte Schilderung der Kolonialverbrechen, aber auch die zitierte
       Propaganda europäischer Schulbücher noch von 1913, die den Kolonialismus
       als Befreiung von angeblich zuvor versklavten Schwarzen feiern. Thuram
       entlarvt auch kühl die weiße Verteidigung der Kants, Rousseaus und
       Montesquieus, deren Rassismus vermeintlich nur argloser Zeitgeist gewesen
       sei. Er listet zig von deren Zeitgenossen auf, die Rassismus und
       Kolonialismus scharf kritisierten. Und selbst Geächtete wurden. Auch die
       Wahl historischer Helden ist und bleibt eine rassistische.
       
       ## Vorwurf der Selbstisolation
       
       Zuletzt, und dieser Teil dürfte für weiße Leser:innen der
       schmerzhafteste sein, führt der Autor die Analyse in die Gegenwart fort.
       Und zeigt, warum jene Menschen, die durch neokoloniale Verträge und
       militärische Intervention unterdrückt bleiben, durch tägliche Verachtung
       sich selbst verachten und zu einem weißen Gott beten, unten bleiben. Und
       das auch sollen.
       
       Hat das nun mit Sport, mit Fußball zu tun? Kaum – und natürlich doch. Denn
       der ist ja ein Abbild der rassistischen Gesellschaft. Thuram, der als
       Ich-Erzähler präsent ist und durchaus persönlich berichtet, schildert immer
       wieder aus seiner eigenen Karriere. Von [2][rassistischen Beleidigungen im
       Stadion], bei denen der Schiedsrichter dem sich beschwerenden Schwarzen
       Gelb zeigte, und von jenem Trainer, der die Schwarzen Spieler dafür
       kritisierte, immer nur zusammen rumzuhängen.
       
       Im selben Moment saßen auch die weißen Spieler abgesondert zusammen. Die
       kritisierte er nicht. Und Thuram berichtet, was Rassismus mit Menschen
       macht. Wie die Schwarzen Teamkollegen miteinander wetteiferten, wer hellere
       Haut habe. Und unbedingt eine weiße Frau wollten, das Symbol, es zu etwas
       gebracht zu haben – die weiße Maske. Sie hatten die Ideologie der
       Herrschenden übernommen.
       
       „Das weiße Denken“ ist ein wütendes Buch und doch eines, das versöhnende
       Töne anschlägt. Unterdrückung, schreibt Thuram, entmenschliche auch die,
       die oben stehen. „Damit ich meiner Race entkommen kann, müssen die Weißen
       ihrer Race entkommen.“ Dafür müssten sie zuerst verstehen. Dass dies das
       Ziel des Buches ist, steht nicht nur zwischen den Zeilen. Wie groß die
       Widerstände sind, weiß Thuram selbst. Sein ganzes Leben lang in Frankreich,
       schreibt er, habe er gespürt, wie die Weißen Angst vor ihm hatten. Mit
       Achille Mbembe formuliert: „Seine Angst vor mir basiert nicht auf etwas,
       das ich ihm angetan, sondern auf dem, was er mir angetan hat.“ Die Angst
       vor dem Zorn derer, denen der Knebel abgenommen wurde.
       
       21 Mar 2022
       
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