# taz.de -- Rassismus im Stadion: Zwischen Pest und Corona
       
       > Endlich wieder ins Weserstadion und sich mit den anderen Fans über
       > Werders Tore in die Arme fallen! Aber welche Gesänge muss man sich da
       > anhören?
       
 (IMG) Bild: Nein, diese Menschen können gar keine Rassisten sein
       
       Nach zwei Jahren Coronapause darf ich endlich wieder ins Weserstadion. Ich
       nehme meine schicke Pudelmütze, meine FFP2-Maske, meine grün-weiße Fahne
       und mache mich auf den Weg.
       
       Während ich im Weser-Stadion meinen Platz suche, werde ich von den Fans
       fast erdrückt. Wegen der zwei Meter großen Gorillas direkt vor mir bekomme
       ich vom Spiel überhaupt nichts mit. Aber das ist zweitrangig, dabei sein
       ist alles. Man gönnt sich ja während der Pandemie sonst nichts.
       
       Plötzlich: ein Erdbeben, dass das Stadion erzittern lässt. Ein Tor für
       Werder! Alle Menschen um mich herum umarmen und küssen sich. Ob alt oder
       jung, ob Mann oder Frau, ob mit oder ohne Mundschutz, ja, selbst ob
       Deutscher oder Ausländer! Nach all den Jahren der Einsamkeit umarmt mich
       wieder jemand! Es ist sogar ein Deutscher. Mit blonden Haaren, blauen
       Augen, Bierbauch und einer Dose Bier in der Hand. Oh, wie gut das tut! Oh,
       Allah, ich danke dir, dass du mir einen Deutschen geschickt hast, um mich
       zu umarmen!
       
       Ich habe immer gesagt: Man soll sich als Ausländer nicht abkapseln. Im
       Überschwang der Gefühle umklammere ich den Dicken, der mich vorhin herzhaft
       umarmt hat, und brülle ihm ins Ohr: „Wööööördaa, Wöööööördaa!“
       
       „Lass mich los, du Blödmann! Siehst du nicht, was unsere Abwehr plötzlich
       für ’nen Mist spielt?“
       
       ## Beim Sport gibt es keine Vorurteile
       
       Ich verschweige ihm, dass mich das Spiel nicht mehr interessiert. Ich bin
       überglücklich, dass ich nach all den Jahren endlich vollwertiges Mitglied
       der deutschen Gesellschaft bin! Bei uns in der Türkei beten die Menschen,
       damit es regnet. Hier bete ich, dass ein Tor fällt, damit ich meine
       deutschen Kumpels umarmen kann. Vielleicht liegt es daran, dass ich im
       Freien bete, Allah jedenfalls erhört mich sofort.
       
       Tor für Werder. Voller Freude küsse ich den Glatzkopf neben mir.
       
       „Wööördaa, Wööördaaa! So ein Tag, so wunderschöön wie heuuutee!“
       
       Gleich morgen melde ich mich als Mitglied bei einem Sportverein an. Beim
       Sport gibt es keine Vorurteile. Da zählt nur die Leistung. Und lauter als
       ich kann keiner „Wööööördaaa“ schreien. Die deutschen Zuschauer um mich
       herum klatschen rhythmisch in die Hände, stampfen mit den Stiefeln und
       brüllen:
       
       „Aus-Länder Raaaauusss!“
       
       ## Nein, das sind keine Rassisten
       
       Aber warum? Ist sicherlich Ausrutscher gewesen. Also, nicht, dass man jetzt
       denkt, diese jungen Männer seien Ausländerfeinde. Geht gar nicht.
       Schließlich haben sie mich gerade noch herzlich umarmt und geküsst.
       
       „Aus-Länder Raaaauuss!“
       
       Das sind gute Menschen. Das sehe ich sofort. Alles Sportler, die haben
       keine Vorurteile. Nein, das sind keine Rassisten.
       
       „Aus-Länder Raaaauuss!“
       
       Na, und wenn schon. Ich werde nie vergessen, wie diese Menschen mich eben
       umarmt und geküsst haben.
       
       „Aus-Länder Raaaauusss! Aus-Länder Raaaauusss!“
       
       Ich hätte wohl lieber zu Hause bleiben sollen! Bei Allah, habe ich nur die
       Wahl zwischen Pest und Corona?!
       
       19 Mar 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Osman Engin
       
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