# taz.de -- Micha Brumlik über russischen Faschismus: Der Philosoph hinter Putin
       
       > Alexander Dugin ist der ideologische Großmeister der russischen Neuen
       > Rechten. Er findet seine Anhänger auch im Westen.
       
 (IMG) Bild: Propagandist der „eurasischen Idee“: Alexander Dugin 2014 in Helsinki
       
       Dieser Text erschien erstmals am 4.3.2022 in der taz. Wir haben in aus
       [1][Anlass des Todes von Micha Brumlik] erneut publiziert. 
       
       Um Wladimir Putin ranken sich derzeit viele Fragen: Ist er am Ende nur ein
       durchgeknallter Monoman, dem es bloß noch um sein Bild in der Geschichte
       geht? Oder ein russischer Politiker, der andere angreift, weil er sich
       tatsächlich vor der Macht der Nato fürchtet? Oder vor allem ein völkischer
       Nationalist, wie nicht wenige ost- und mitteleuropäische Politiker?
       Wahrscheinlich könnte hier irgendwo die Wahrheit liegen. Zu berücksichtigen
       ist aber auch, dass Putin einer ausgeklügelten politischen Theorie –
       vielleicht sollte man besser von „Ideologie“ sprechen – folgt.
       
       Nur dem geringsten Teil der hiesigen Öffentlichkeit dürfte der Name eines
       russischen Philosophen bekannt sein, der bis 2014 an der Moskauer
       Lomonossow-Universität lehrte. Dieser 1962 geborene politische Philosoph
       war von 1994 bis 1998 Vorsitzender der dann verbotenen
       nationalbolschewistischen Partei Russlands, aber eben auch beziehungsweise
       gleichwohl ein Freund von Wladimir Putin. Kein Zufall ist es, dass dieser
       Mann zu einem Vordenker der auch deutschen Neuen Rechten wurde: plädiert
       dieser Alexander Dugin doch für eine radikale Umkehr des politischen
       Denkens, für eine „Kehre“, weswegen er immer wieder auf den – auch hier von
       der Neuen Rechten hochgeschätzten – Philosophen Martin Heidegger verweist.
       
       Tatsächlich publizierte Dugin 2011 auf Russisch das Buch „Heidegger: Die
       Möglichkeit der russischen Philosophie“. Über Dugin hat Heideggers Denken
       Eingang in die Ideologie der deutschen Identitären gefunden. Etwa bei
       Publizisten wie Jürgen Elsässer, der früher einmal Redakteur der linken
       Zeitschrift konkret war. Elsässer, seit 2010 Chefredakteur des
       rechtsextremen Monatsmagazins Compact, veröffentlichte bereits 2013 ein
       Interview mit Dugin. Auf die Frage Elsässers, warum er die sogenannte
       „Eurasische Idee“ propagiere, gab Dugin zu Protokoll:
       
       „Weil es sich dabei um ein Konzept handelt, welches den Herausforderungen
       Russlands und der russischen Gesellschaft begegnet. Was sind die
       Alternativen? Es gibt den westlich-liberalen Kosmopolitismus, doch die
       russische Gesellschaft wird diese Idee niemals akzeptieren. Dann gibt es
       den Nationalismus, der sich für das multiethnische Russland ebenfalls nicht
       eignet. Auch der Sozialismus eignet sich nicht als tragendes Ideal für
       Russland, im Prinzip hat er auch in der Vergangenheit dort nie wirklich
       funktioniert. Die eurasische Idee ist daher ein realistisches und
       idealistisches Konzept. Es ist nicht nur irgendeine romantische Idee, es
       ist ein technisches, geopolitisches und strategisches Konzept, welches von
       all jenen Russen unterstützt wird, die verantwortungsbewusst denken.“ 
       
       ## „Eurasische Idee“
       
       Damit hat sich Dugin als ein herausragender Vertreter geopolitischen
       Denkens sowie als Vordenker eines „eurasischen“ – im Gegensatz zum
       „atlantischen“ – Kulturraums positioniert. Dem entspricht die von ihm
       postulierte „Vierte politische Theorie“, die nach Liberalismus, Faschismus
       und Kommunismus am ehesten geeignet sei, das Überleben der Menschheit im
       Zeitalter der Globalisierung zu sichern. Dugins theoretische Gewährsleute
       sind neben Heidegger der französische Begründer der „Nouvelle Droite“,
       Alain de Benoist, sowie der sehr viel weniger bekannte italienische
       Philosoph Julius Evola (1898–1974).
       
       Der faschistische Theoretiker Evola vertrat – kurz gesagt – Folgendes: Nur
       in Rangordnungen erweist sich die Rückbindung einer Gesellschaft an die
       Sphäre des Heiligen. Sowie: Die Entwicklung westlicher Gesellschaften zu
       mehr Freiheit und Gleichheit hat sich seit Sokrates und dem Christentum als
       Verfallsgeschichte des Heiligen, der Ehrfurcht und der Sitten erwiesen.
       
       Gefordert sei eine „Revolte gegen die moderne Welt“, die auf dem Konzept
       der Rasse beruht – wobei aber „Rasse“ eine geistige, keine biologische
       Kategorie darstelle. Aus all dem folgt gleichwohl ein „geistiger“
       Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie die Forderung nach der
       esoterischen Initiation einer neuen Aristokratie.
       
       Bei alledem tritt Dugin mit seiner Übernahme der Gedanken Evolas nicht etwa
       für einen völkischen Ethnopluralismus ein, sondern für ein antiliberales,
       autoritäres sowie neoimperiales Großraumdenken, das seiner Überzeugung nach
       alleine die Menschheit noch retten könne. So stellt er in seinem 2017
       verfassten „Manifesto for a global revolutionary Alliance“ fest, dass die
       Phase des Kapitalismus an ihre natürliche Grenze gestoßen, die natürlichen
       Ressourcen erschöpft seien und [2][dass der westlich-liberale,
       kosmopolitische Lebensstil] sowie die Kälte des Internets zum Zerbrechen
       aller gesellschaftlichen Bindungen geführt haben – womit auch das
       herkömmliche Verständnis von Individualität und Individuen zerstört sei:
       
       „Nie zuvor wurde der Individualismus so verherrlicht, während gleichzeitig
       die Menschen auf der ganzen Welt sich in ihrem Verhalten, ihren
       Gewohnheiten, ihrem Aussehen, ihren Techniken und ihrem Geschmack so
       ähnlich waren. Im Streben nach individualistischen ‚Menschenrechten‘ hat
       sich die Menschheit selbst verloren. Bald wird der Mensch durch das
       Posthumane ersetzt: ein mutierter, geklonter Android.“ 
       
       ## Im Geiste Evolas
       
       Zudem führten Globalisierung und „Global Governance“ zum Ende von Völkern
       und Nationen, zur angeblichen Zerstörung eines gehaltvollen Wissens
       zugunsten einer von den Medien erschaffenen „Realität“, sowie zum Ende
       eines jeden Fortschritts, der seinen Namen verdiene. Daher sei bei
       Weiterentwicklung der jetzigen Zustände [3][nichts anderes als eine
       apokalyptische Katastrophe zu erwarten].
       
       Alle Phänomene deuten nach Dugin auf [4][das Ende eines langen historischen
       Zyklus], eines Zyklus, der im Geiste Evolas durch Aufstieg und Niedergang
       der westlichen Welt seit der Antike, spätestens seit der Renaissance
       gekennzeichnet sei. Am Ende dieses Zyklus, so Dugin, stehe der Selbstmord
       der menschlichen Gattung.
       
       Eine Rettung sei möglich, aber nur durch eine radikale Umkehr, eine
       grundlegende Neubesinnung auf andere Kategorien des Denkens, durch eine
       Besinnung, die schließlich zur Bildung politischer Formationen führe, die
       den Niedergang des Westens und der USA so beschleunigen könne, dass
       wenigstens deren Völker ihren Niedergang überleben würden: als
       raumgebundene Völker ohne wechselseitigen Führungsanspruch.
       
       Was nicht zuletzt für den asiatischen Kontinent bedeutsam sei. Über all das
       hinaus ist Dugin der Theoretiker – oder man sollte besser sagen: der
       Ideologe – einer neuen imperialen Weltordnung, zumal mit Blick auf China.
       Gegen das seiner Auffassung nach „unipolare“ Weltsystem nach Ende der
       Sowjetunion wirbt er für ein multipolares Weltsystem mit mindestens vier
       Pfeilern: des (nordamerikanischen) Westens, Europas, Chinas und eben
       Eurasiens. Konsequent übernimmt er dazu das chinesische Konzept des
       „Tianxia“, das so viel wie eine planetarische Gemeinschaft unter dem
       Himmel, aber auch – in gegebenen Grenzen – unter chinesischer Vorherrschaft
       bezeichnet.
       
       ## Russen und Chinesen
       
       Dugins Konzept läuft darauf hinaus, den asiatischen Kontinent in zwei
       Einflusssphären – eine im weitesten Sinne russische und eine chinesische –
       aufzuteilen. Fragt man mit Blick auf Asien zudem, wie Dugin die indische
       Union beurteilt, so sticht hervor, dass er die indische Kultur als eine dem
       westlichen, liberalen Modell strikt entgegengesetzte Kultur und
       Zivilisation ansieht.
       
       Gehe es doch Indien seit Gandhi um eine Modernisierung ohne Verwestlichung.
       Was das indes stark verwestlichte Japan betrifft, so votiert Dugin für
       engere Beziehungen zwischen Russland und Japan, mit dem möglichen
       Lockmittel, Japan die zu Russland gehörende nordostasiatische Inselgruppe
       der Kurilen zu überlassen.
       
       Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine ist es höchste Zeit,
       Wladimir Putin als einen Revolutionär im Geiste des rechtsextremen Dugin zu
       begreifen. Auf den letzten Seiten seines Buches „Eurasian Mission – An
       Introduction to Neo-Eurasianism“ antwortet Dugin 2014 auf die Frage nach
       seiner Haltung zu Wladimir Putin, dem er wegen zeitweiliger liberaler
       Anwandlungen durchaus kritisch gegenüber stand:
       
       „Wenn er an die Macht zurückkehrt, wird er gezwungen sein, zu seiner
       früheren anti-westlichen Politik zurückzukehren, weil unsere Gesellschaft
       von Natur aus anti-westlich ist. Russland hat eine lange Tradition der
       Rebellion gegen ausländische Invasoren und der Hilfe für andere, die sich
       gegen Ungerechtigkeit wehren, und das russische Volk sieht die Welt durch
       diese Brille. Es wird sich nicht mit einem Herrscher zufrieden geben, der
       nicht im Einklang mit dieser Tradition regiert.“ 
       
       Diese vor acht Jahren abgegebene Prognose hat sich mit Blick auf Putin und
       nun dem Krieg gegen die Ukraine bis zum heutigen Tage bewahrheitet.
       
       11 Nov 2025
       
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