# taz.de -- Russland-Ukraine-Konflikt: Was weißt du vom Krieg, mein Kind?
       
       > Wie so viele junge Menschen in Deutschland wuchs unsere Autorin im
       > Frieden auf. Nun sieht sie, wie Nationalismus glücklich aufpoliert wird.
       
 (IMG) Bild: Ein Kuscheltier zwischen Trümmern nach einem Raketenangriff auf ein Haus in Kiew am 26. Februar
       
       Was weißt du schon vom Krieg, mein Kind? Du bist: In eine Zeit und einen
       Ort des Friedens hineingeboren, oder mindestens in die Abwesenheit von
       Krieg. Was für ein unfassbares Glück. Deine Großmütter haben vom Krieg
       erzählt und dann ein Märchen vorgelesen. Dein Kontinent ist eine Festung,
       dein Pass wie ein Freifahrtschein. Von hier aus: Gute Aussichten – auf den
       Rest der Welt, und für dein Leben. Du hast gehört, dass das unfair ist, du
       hast das sogar gespürt. Aber dann hast du gelernt, mit den Schultern zu
       zucken. Betroffen den Kopf zu schütteln und zu sagen: Die Welt ist eben
       ungerecht.
       
       Du weißt nichts vom Krieg. Und doch siehst du alles. Du siehst: Männer, ja,
       vor allem Männer, mit einer absurden Faszination für Kriegsführung, sie
       teilen das Video eines Traktors, der einen Panzer davonzieht, und Hände,
       die Munition fetten. Du siehst: Das Foto der weinenden Julia, in einem
       Lastwagen sitzend, ein Sturmgewehr zwischen die Knie geklemmt. Du siehst
       Angst, Mut und Widerstand. Leute, die sehnsüchtig auf die Auferstehung
       eines Helden warten. [1][Hunderttausende, die für den Frieden auf die
       Straße gehen].
       
       Und welche, die jetzt ihre Chance sehen, in eine Welt zurückzufallen, die
       wir mit so vielen Kräften zu überwinden versuchen. Sie polieren glücklich
       ihre alten Spielfiguren: Nationalismus, Konservatismus, Patriarchat. West
       und Ost, Schwarz und Weiß, eine vermeintlich „zivilisierte“ Welt und ihr
       „unzivilisiertes“ Gegenüber. Und über allem siehst du grüne Kurven nach
       oben schießen, bei Heckler & Koch oder Rheinmetall.
       
       Du weißt nichts vom Krieg, dafür haben wir dir beigebracht, dass Krieg
       etwas ist, das in Geschichtsbüchern steht, und dass Dinge in
       Geschichtsbüchern bereits zu den Akten gelegt wurden. Wenn du fragst, warum
       es dann heute noch Nazis gibt, Faschismus und Kolonialismus, dann üben wir
       uns im Schulterzucken.
       
       ## Die meisten verlieren, niemand gewinnt
       
       Du weißt nichts vom Krieg, und doch alles: Die meisten verlieren, niemand
       gewinnt, viele bereichern sich. Im Kapitalismus ist auch Krieg ein
       Geschäftsmodell. Und Sprache wird leise zwischen Feuern verschoben: Es
       werden „Vaterländer verteidigt“, und „Nationalhelden“ erschaffen, und aus
       Menschen auf der Flucht „Flüchtlingswellen“ gemacht. An Grenzen und in
       Talkshows wird aufs Neue verhandelt, was niemals verhandelbar ist,
       angetastet, was unantastbar sein muss. Du weißt: Von deiner Festung aus
       interessiert nicht jeder Krieg gleich und auch nicht jedes Leben.
       
       Du wünschtest, niemand müsste etwas wissen vom Krieg. Das ist naiv, aber so
       sollen Wünsche sein. Sie sind schwer zu verteidigen in diesen Zeiten, vor
       anderen und vor dir selbst. Genau wie diese Gewissheiten: Aus Gewalt wächst
       kein Frieden, [2][Aufrüstung schafft keine Sicherheit], was nötig ist, ist
       nicht gleich gut. Was du tust und sagst, ist nicht egal, und was du nicht
       tust und nicht sagst, auch nicht. Du weißt nichts vom Krieg, mein Kind.
       Gerade deshalb musst du besonders wachsam sein.
       
       1 Mar 2022
       
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