# taz.de -- Kultur-Stimmen zum Krieg gegen Ukraine: Stoppt die Aggression!
       
       > Seit Mittwochnacht greift Russland die Ukraine an. Hier dokumentieren wir
       > Reaktionen von ukrainischen, russischen und deutschen Künstler:Innen.
       
 (IMG) Bild: Proteste gegen den russischen Angriff auch in Deutschland vor dem Brandenburger Tor, 24.02
       
       ## „Die Ukraine ist europäischer, als es der Westen glaubt“
       
       Die erste Nachricht, die ich heute früh gelesen habe, war von meinem Vater,
       er beruhigte mich und schrieb mir – keine Panik, bei ihnen in Odessa sei
       bisher alles ruhig geblieben, draußen fließe der Verkehr so wie sonst, die
       Supermärkte haben geöffnet. Es zirkulieren viele Falschinformationen im
       Internet. Natürlich steckt genau dahinter auch die Absicht, dass die
       Menschen in der Ukraine in Panik geraten, damit Unruhe einkehrt. Das wird
       aber nicht passieren. Die Bevölkerung tut alles, um gelassen zu bleiben und
       um irgendwie rational denken zu können. Ich persönlich kann den russischen
       Angriff noch nicht fassen, bis zuletzt hatte ich die Hoffnung, dass alles
       nur ein Spiel ist, nur ein Informationskrieg.
       
       Was ich daher vom Westen erwarte, kann ich auch noch nicht exakt
       formulieren. An der Stelle will ich mich bei jedenfalls bei allen Menschen
       bedanken, die mit Herzen und Gedanken bei der Ukraine und den
       Ukrainer:innen sind. Ich höre auch viel aus Russland, wo die Menschen
       angesichts des bewaffneten Konflikts ebenfalls völlig entsetzt sind. Sie
       wollen keinen Krieg und schämen sich sehr für das, was gerade geschieht.
       Ich glaube, es setzt jetzt ein großer Wandel in der russischen Gesellschaft
       ein. Ich kann nicht sagen, ob die Menschen dort mutig genug sind, sofort
       gegen den Krieg aufzustehen, ob es überhaupt möglich ist. Wir werden sehen,
       wie es sich entwickelt.
       
       Wichtig ist mir, dass die Menschen im Westen kapieren, die Ukraine ist sehr
       europäisch, viel europäischer als die Vorstellung, die man im Westen über
       sie hat. Unterschiedliche Kulturen leben seit langem zusammen, Lviv
       erinnert sehr an Wien. Meine Heimatstadt Odessa war immer international und
       tolerant. Verschiedenste Religionen existieren nebeneinander, und niemand
       hat ein Problem damit, die Menschen sind friedlich und respektieren sich
       gegenseitig.
       
       Tamara Lukasheva, geboren 1988 in Odessa, ist Jazzmusikerin. Die Pianistin
       und Sängerin lebt seit 2010 in Köln. Sie spielte unter anderem beim
       Bundesjazzorchester, wirkt als Solistin und nimmt Alben mit
       unterschiedlichen Künstler:Innen auf. Ihr Werk wurde vielfach
       ausgezeichnet, etwa 2021 vom WDR und 2014 beim internationalen „Wettbewerb
       der Jazzsänger“ in Moskau. 
       
       ## „Bombenangriff, 400 Meter von unserem Club entfernt“
       
       Es tut uns leid, wir können gerade nicht ausführlich schreiben, weil wir
       uns inmitten eines Krieges befinden. Unser Club liegt 400 Meter vom
       Stützpunkt der Nationalgarde in Kiew, es gab einen Bombenangriff auf den
       Stützpunkt. Alle Mitglieder unseres Teams hörten Explosionen in
       verschiedenen Teilen der Stadt. Danke für ihre Solidarität, aber es ist zu
       spät für Meinungen.
       
       Statements des Kiewer Technoclubs Closer in einer Mail an die taz.
       
       ## „Wenn es nötig ist, schließe ich mich den Partisanen an“
       
       Jetzt kommt es darauf an, ob unsere Armee in der Lage sein wird, die Russen
       zu stoppen. Ob sie Widerstand leisten und sich der Invasion entgegenstemmen
       kann, ob sie die Euphorie im Kreml abkühlen kann. […] Putin kennt nur zwei
       Lösungen der Krise. Entweder ergeben wir uns und erkennen damit an, dass
       wir zusammen mit den Russen eine Nation sind. Oder er zerstört uns. Wenn es
       nötig ist, schließe ich mich den Partisanen an.
       
       Jurij Andruchowytsch, geboren 1960 in Stanislaw, ist einer der wichtigsten
       ukrainischen Schriftsteller. Viele seine Bücher und Essays sind ins
       Deutsche übersetzt. 
       
       ## „Wir glauben an den Sieg“
       
       Liebe Freunde in aller Welt, das, was wir befürchtet haben, aber wofür wir
       auch bereit sind, ist eingetreten. Wladimir Putin, der Hitler des 21.
       Jahrhunderts, will unser Land erobern. Ukrainische Städte und das Militär
       geraten unter Beschuss der russischen Armee. Aber wir glauben an unseren
       Sieg, den Sieg des Guten über das Böse, den Sieg des Lichts über die
       Finsternis Russlands, das die ganze Welt zerstören will. Wir glauben an die
       internationale Unterstützung und vor allem an die ukrainische Armee.
       
       Wir werden siegen!
       
       Wir versuchen ruhig zu bleiben und helfen unseren Familien.
       
       Gorban Iryna, Manager der Band DakhaBrakha. Das ist ein Global-Pop-Quartett
       aus Kiew. In der Musik mischt sich Folk mit Punk, HipHop und elektronischen
       Klängen, die Gruppe selbst bezeichnet ihren Sound als „Ethno-Chaos“.
       
       ## „Ich spüre Verzweiflung“
       
       Gestern Abend schrieben mir Freunde aus Kiew: „Wir haben alle unseren
       Notfallkoffer gepackt … Die wichtigen Sachen und Dokumente liegen so
       griffbereit direkt neben dem Bett. Wenn wir uns schlafen legen, tun wir das
       mit dem Gedanken, dass wir nachts wohin laufen müssen. Wir alle wissen
       längst, wo sich der nächste Bunker befindet.“ Trotz all der schlechten
       Nachrichten war für mich selbst Mittwochnacht das Szenario eines russischen
       Angriffs auf Kiew immer noch unvorstellbar.
       
       Und heute, am Donnerstagmorgen, war das die erste Nachricht nach dem
       Aufstehen. Ich kann es nicht fassen! Etwas in mir weigert sich, zu
       begreifen, dass russische Streitkräfte die Ukraine angreifen. Das ist
       dermaßen außerhalb meiner Vorstellungskraft … und das ist jetzt die
       Wirklichkeit. Ich stehe noch unter Schock. Wann ich aus diesem Zustand
       wieder rauskomme, ich habe keine Ahnung. Ich habe keine Worte mehr, ich
       habe keine Argumente mehr. Auch der Großteil meiner Emotionen ist
       verschwunden, was ich spüre ist Fassungslosigkeit, im Grunde ist es
       Verzweiflung.
       
       Artur Solomonow, 45, lebt in Moskau. Er arbeitete lange als
       Theaterkritiker, sein Debütroman „Eine Theatergeschichte“ (2014) wurde
       zum Bestseller in Russland. Sein Stück „Wie wir Josef Stalin beerdigten“
       wurde in sieben Sprachen übersetzt und hat – hoffentlich – am Sonntag, dem
       27. Februar, im „Teatr.doc“ seine Moskauer Premiere. 
       
       ## „Geschichte wird gerade umgeschrieben.“
       
       Wir erleben gerade, was passiert, wenn Geschichte kontinuierlich
       umgeschrieben wird. Bereits vor 15 Jahren sprach der russische Präsident
       von dem Zerfall der Sowjetunion als der größten Katastrophe des 20.
       Jahrhunderts und nun versucht er, diese „Katastrophe“ wieder rückgängig zu
       machen. Der angekündigte Überfall auf die Ukraine ist ein Verstoß gegen das
       Völkerrecht und ein Warnzeichen an den gesamten Westen, nicht nur an die
       ehemaligen Sowjet-Länder. Putin glaubt, er führt einen Krieg gegen eine von
       den USA manipulierte faschistische Regierung (die von einem Juden angeführt
       wird). Letztlich ist anzunehmen, dass er glaubt, er führt auf ukrainischem
       Boden Krieg gegen die USA.
       
       Menschen werden flüchten. Das heißt, wir müssen Platz machen. Wir müssen
       Geld spenden. Wir müssen uns weiterbilden. Masha Gessen und Timothy
       Schneider, Swetlana Alexejewitsch und Karl Schlögel schreiben seit
       Jahrzehnten darüber, wie im russischen Bewusstsein Geschichte umgeschrieben
       wurde. Wenn wir der Ukraine helfen wollen, müssen wir die Situation
       verstehen.
       
       Sasha Marianna Salzmann, geboren 1985 in Wolgograd, ist Dramatikerin,
       Kuratorin und Autorin und lebt in Berlin. Kürzlich erschien ihr Roman „Im
       Menschen muss alles herrlich sein“ (Suhrkamp).
       
       ## „Die Welt muss hinschauen!“
       
       Nun ist das schlimmste Szenario für unser Land wahr geworden. Um 5 Uhr
       heute früh haben russische Truppen uns angegriffen, eine breit angelegte
       Offensive in vielen Regionen der Ukraine. Flughäfen, Truppen, Stützpunkte.
       Es ist tatsächlich Krieg. Unsere Armee wehrt heroisch Attacken an allen
       Fronten ab. In Kiew sind die Menschen nicht panisch, jeder glaubt an unsere
       Armee. Wir haben keinen Rückzugsort. Wir rufen die ganze Welt dazu auf,
       hinzugucken, was geschieht, und den Hitler des 21. Jahrhunderts zu stoppen.
       Wir brauchen dringend Unterstützung und Hilfe! Wir werden gewinnen, Ehre
       der Ukraine.
       
       Anton Slepakov ist Musiker des Elektropop-Trios Vagonovozhatye, er lebt in
       der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
       
       ## „Dieser Krieg ist ein Verbrechen“
       
       Es gibt Momente, in denen Worte nur einen Bruchteil der Wut und des
       Schmerzes wiedergeben können, die ich und meine Kollegen und Freunde im
       Moment empfinden. Der Krieg in der Ukraine ist ein Verbrechen. Der 24.
       Februar 2022 ist der Tag einer schrecklichen Tragödie. Das russische
       politische Regime hat den Krieg in der Ukraine begonnen. Die russischen
       Streitkräfte griffen einen Nachbarstaat an, dessen Bevölkerung als
       „brüderlich“ bezeichnet wird. Dieses abscheuliche Verbrechen wird für
       immer eine der schwärzesten Seiten der russischen Geschichte bleiben.
       
       Wladimir Putin und seine Verbündeten leben in einer von ihnen erfundenen
       Welt, aber es sind die Menschen – die Bürger:innen der Ukraine, deren
       Städte gerade bombardiert werden –, die den Preis für diesen Wahnsinn
       zahlen müssen. Wie viele Berliner:innen aus der ehemaligen Sowjetunion
       sind wir durch viele freundschaftliche, verwandtschaftliche und kollegiale
       Beziehungen mit der Ukraine verbunden. Für uns ist das eine persönliche
       Tragödie. Wir bringen unsere Solidarität und Unterstützung für unsere
       ukrainischen Freunde und Kollegen zum Ausdruck. Ihnen und allen
       Bürger:innen wünsche ich Kraft und Stärke! Frieden für die Ukraine!
       Stoppt die Aggression!
       
       Elena Stein ist Soziologin und Leiterin des Center for Independent Social
       Research e. V. Berlin. 
       
       „Schwere Zeiten“ 
       
       Heute ist kein einfacher Tag – und es stehen uns noch schwere Zeiten bevor.
       Der Mittwochmorgen begann bei mir mit einem Anruf einer Freundin, die
       fragte: Hörst du es? Ich habe mitgehört und habe genau gehört, von was sie
       sprach. Als erstes kam mir in den Sinn – bloß keine Panik schieben und
       Informationen suchen. Ich wünsche mir, dass es in den Köpfen der anderen
       Menschen auch so abläuft. Dann bin ich einkaufen gegangen. Auf dem Weg habe
       ich die Schlangen vor den Geldautomaten und der Apotheke gesehen. Ich
       möchte, dass die Menschen verstehen, wenn du viel Bargeld hast, bist du
       auch eine leichte Beute. Man sollte jetzt nicht überstürzt handeln.
       
       Im Laden standen die Leute auch in der Schlange – die Leute haben einfach
       alles gekauft. Das ist die Angst – ich verstehe. Nur…Ich habe viel mit den
       Leuten gesprochen, die in der Ostukraine stationiert waren. Die haben das
       überlebt – und sie raten uns: nicht in Panik geraten und die Informationen,
       die man bekommt, unbedingt überprüfen. Geht den Fake-News nicht auf den
       Leim! Ich höre auf die Anweisungen, die vom Präsidenten kommen sowie vom
       Oberkommandierenden der Armee und vom Kiewer Bürgermeister. Gerade jetzt
       sollen wir auf die Regierenden des Landes hören.Wichtig: vergessen wir
       nicht, dass wir eine Armee haben, die stark ist. Wir müssen an diese Armee
       glauben. Wenn ihr für die Stiftung @safelife.in.ua spendet, könnt ihr
       unserer Armee helfen.Bleibt mit denen, die euch wichtig sind, in Kontakt,
       vermeidet Panik! Die Ukraine bleibt bestehen!
       
       Die Rapperin Alyona Alyona alias Alyona Olehivna Savranenko kommt aus einem
       Dorf nahe Kiew. Die 30-Jährige wurde 2018 mit dem Song „Рибки“ zum Star. 
       
       Aufgezeichnet von Julian Weber, Jens Uthoff, Uwe Rada, Tania Martini, Katja
       Kollmann und Dirk Knipphals
       
       24 Feb 2022
       
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