# taz.de -- Klima-Soziologe über Verhaltensänderung: „Das Glas ist mindestens halb voll“
       
       > Welche Gruppen sind bereit sich angesichts des Klimawandels zu verändern?
       > Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung weiß es.
       
 (IMG) Bild: Folgen des Klimawandels: Viele Pflanzen blühen immer zeitiger – so wie diese Hasel
       
       taz: Herr Reusswig, haben Sie gerade Lust auf Veränderung? 
       
       Fritz Reusswig: Ich würde mal sagen: Es ist ambivalent. Corona begleitet
       uns nun seit Jahren. Man hat schon damit genug zu tun und will nicht noch
       irgendwas zusätzlich machen. Auf der anderen Seite will man ja unbedingt,
       dass sich die Situation verändert.
       
       Ich frage, weil sich ja ganz viel ändern muss, wenn wir unsere guten
       Lebensbedingungen auf der Erde erhalten wollen. Aber wenn ich so in meinen
       Twitter-Feed, in meinem Freundeskreis und in mich selbst reingucke, liegen
       bei vielen am Anfang des [1][dritten Pandemiejahres] die Nerven blank. Ist
       das ein schwieriger Nährboden für das, was kommen muss? 
       
       Auf jeden Fall, das ist ganz schlecht. Und es ist ja leider auch nicht das
       Einzige, was jetzt schwierig ist. Wir haben jetzt auch noch eine akute
       Kriegsgefahr in Europa. Das ist natürlich das, was im
       Aufmerksamkeitshaushalt und im Sorgenhaushalt der Leute an erster Stelle
       rangiert. Das ist ja auch ganz normal. Wenn jemand sagen würde, Krieg ist
       mir egal, ich kümmere mich nur ums Klima, das würde ich auch komisch
       finden.
       
       Sie haben die deutsche Gesellschaft gerade in einer Studie unter die Lupe
       genommen: Wer freut sich denn auf den Wandel in Richtung klimaneutrale
       Welt, wer ist skeptisch? 
       
       Nehmen wir die neue Milieutypologie des auf Milieuforschung spezialisierten
       Sinus-Instituts, dann sehen wir, dass sich in der gesellschaftlichen Mitte
       eine neue Spaltung auftut. Die bezieht sich auch nicht nur auf das Thema
       Klima. Da gibt es eine neue Ausdifferenzierung, ein neues Milieu, nämlich
       das sogenannte nostalgisch-bürgerliche Milieu. Es ist defensiv eingestellt,
       weil es zu viele Zumutungen auf sich zukommen sieht. Man fühlt sich von der
       Politik generell vernachlässigt und sieht im Klimaschutz mehr und mehr eine
       Bedrohung des eigenen Status. Die Aussicht auf Verhaltensänderungen geht
       hier mit Abstiegsängsten einher.
       
       Oft werden [2][ja diejenigen gegen Klimaschutz ins Feld geführt, die wenig
       Geld haben]. Wie sieht das bei denen aus? 
       
       Das ist in erster Linie das sogenannte „prekäre Milieu“, das von sehr
       kleinen Einkommen oder Transferleistungen lebt. Deren Argument ist
       tatsächlich: Für uns ist das zu teuer. Natürlich gibt es auch da Menschen,
       die zum Beispiel versuchen, Bioprodukte bei Aldi zu kaufen. Aber der
       Großteil ist der Meinung, dass Klimaschutz was für die Reichen ist. Man
       muss aber auch sagen: Das sind die Zwangsklimaschützer unserer
       Gesellschaft. Sie haben einen sehr kleinen ökologischen Fußabdruck. Bei den
       wohlhabenden Milieus ist es eher andersherum, die reden viel grüner, als
       sie tatsächlich sind. Aber die politische Unterstützung für Klimaschutz ist
       bei denen eben eher da – zumindest verbal.
       
       Hinter der Ablehnung von Klimaschutz stecken also entweder die Angst vor
       Statusverlust oder handfeste ökonomische Barrieren? 
       
       Nicht nur. Wir beobachten Ablehnung zum Beispiel auch beim sogenannten
       konsum-hedonistischen Milieu. Die haben gar nicht unbedingt viel mehr
       Einkommen als die Prekären, aber eine andere Lebenseinstellung, andere
       Präferenzen und Konsummuster. Die wollen Spaß haben. Sie haben zwar nicht
       viel Geld, wollen sich aber dafür Sachen kaufen oder sparen für einen
       Urlaub auf Mallorca. Deren Einwand gegen Klimaschutz ist: Ihr wollt uns den
       Spaß wegnehmen.
       
       Und nun? 
       
       Christoph Schleer und ich haben in unserer Studie für die
       Wissenschaftsplattform Klimaschutz für alle Milieus Ansatzpunkte für
       erfolgreiche Klimapolitik identifiziert. Wichtig ist mir, dass es nicht nur
       um „Verkaufe“ geht. Also, es geht nicht darum zu sagen: Wir haben hier die
       Klimapolitik, wie sie ist, und wir stellen die jetzt einfach ein bisschen
       in ein anderes Licht. Wir müssen die Politik selbst verändern.
       
       Inwiefern? 
       
       Sie haben gerade schon von „handfesten ökonomischen Barrieren“ gesprochen.
       Die kann man ja abbauen. Man muss zum Beispiel an klimaschädliche
       Subventionen ran. Die meisten Leute wissen nicht, dass ihr Steuergeld
       verwendet wird, um Kohle, Atom und Diesel zu fördern, was uns natürlich den
       Umstieg auf erneuerbare Energien erschwert. Diese Subventionen kann man
       dort wegnehmen und woanders hinpacken, damit es nicht für manche zu teuer
       wird. Dazu hat sich die neue Regierung ja auch schon bekannt. Eine soziale
       Ausgestaltung der CO2-Abgabe ist eine weitere wichtige Baustelle. Das
       Nächste wäre die finanzielle Beteiligung an den erneuerbaren Energien. In
       Brandenburg zum Beispiel haben vor allem große Unternehmen Windräder
       gebaut, die ihren Sitz ganz woanders haben.
       
       Das heißt, den ostdeutschen Kommunen entgehen die Gewerbesteuereinnahmen. 
       
       Ja. Dabei braucht gerade der ländliche Raum mehr Mittel für die Kita und
       andere öffentliche Infrastruktur. Wenn es das nicht gibt, muss man sich
       nicht wundern, wenn die Leute sagen: Warum soll ich für so einen Ausbau
       sein?
       
       Geld kann man verhältnismäßig leicht schöpfen, ausschütten oder
       umverteilen, wenn man das will – aber wie klärt man die Spaßfrage? 
       
       Es stimmt, bei den Konsum-Hedonistischen gehen wir davon aus, dass man eher
       wenige erreichen kann, aber wir halten es auch nicht für völlig
       aussichtslos. Wir betonen zum Beispiel die Folgen des Klimawandels. Die
       haben ja schließlich [3][auch ein nicht unerhebliches
       Spaßbremsen-Potenzial.] Auf Mallorca etwa wird es schnell zu heiß und zu
       trocken. Das ist übrigens ein Milieu, das prinzipiell offen ist für Neues.
       Da kann man vielleicht auch mal überlegen: Was sind denn neue Sachen, die
       Spaß machen könnten, bei der ganzen Klimaschutz-Angelegenheit?
       
       Lassen Sie uns auch noch über die reden, die schon bereit sind für den
       Wandel. Die gibt es doch auch, oder? 
       
       Das ist einerseits das postmaterielle Milieu, was ganz stark mit ethischer
       Verantwortung argumentiert. Wenn Sie so wollen, ist das die klassische
       grüne Wählerklientel. Und dann gibt es noch ein komplett neues Milieu, das
       finde ich faszinierend. Das ist das neoökologische Milieu, sehr junge
       Leute, Party und Protest. Das ist das soziale Unterfutter der
       Fridays-for-Future-Generation. Und dann würde ich noch das expeditive
       Milieu dazuzählen, das ist sehr mobil, international stark vernetzt. Die
       sind zwar eigentlich mehr an Kultur und Kunst interessiert als an Klima,
       aber die beeindruckt die globale Perspektive beim Klimaschutz, das
       Nichtprovinzielle.
       
       Ah, sind wir jetzt bei den Wohlhabenden mit den immensen CO2-Emissionen
       angekommen? 
       
       Viele von denen haben einen hohen CO2-Fußabdruck, aber eben auch ein
       schlechtes Gewissen und jede Menge Geld, etwa für grüne Geldanlagen oder
       kommunale Projekte. Und es sind wichtige Influencer in unserer
       Gesellschaft. In letzter Zeit engagiert sich die Kulturszene stark für den
       Klimaschutz, das halte ich für wichtig.
       
       Und wer ist in der Überzahl: die Genervten oder die Antreibenden? 
       
       Interessanterweise machen die bremsenden und die unterstützenden Milieus,
       die ich gerade genannt habe, zusammen jeweils etwa 30 Prozent der deutschen
       Bevölkerung aus. Es hält sich also ungefähr die Waage. Das
       Gesellschaftsglas ist also mindestens halb voll, die Politik muss ihm „nur“
       die richtigen Töne entlocken. Sorry für das schiefe Bild – aber unsere
       Studie befasst sich nun mal mit Resonanz.
       
       20 Feb 2022
       
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