# taz.de -- Vetternwirtschaft in Griechenland: Die Apparatschiks von Athen
       
       > Regierungschef Mitsotakis hat eine wahre Industrie der Staatsbediensteten
       > errichtet. Noch nie gab es so viele sogenannte Metakliti wie heute.
       
 (IMG) Bild: Grigoris Psarianos vor dem alten Parlament in Athen
       
       Athen taz | In Griechenland ist Grigoris Psarianos, 67, graue Haare,
       Vollbart, stets legeres Outfit, bekannt wie ein bunter Hund. Psarianos ist
       Journalist, Radioproduzent und Texter. Sein Markenzeichen: seine freche
       Schnauze. Mitunter verbrennt er sich die Zunge. Sogar Vorwürfen, seine
       Wortwahl sei sexistisch, sah er sich ausgesetzt.
       
       Psarianos ist auch Politiker. Parteien hat er politisch gefühlt so häufig
       gewechselt wie andere ihr Unterhemd. In den Jahren 2007 und 2009 wurde er
       mit [1][der damals kleinen radikallinken Oppositionspartei Syriza] ins
       griechische Parlament gewählt, 2012 mit der gemäßigteren Regierungspartei
       Demokratische Linke (Dimar) und 2015 mit der liberalen Fluss-Partei
       (Potami) aus der politischen Mitte.
       
       Im Juli 2019 trat er für die konservative Nea Dimokratia (ND) an. Er wolle
       dem ND-Chef Kyriakos Mitsotakis helfen, den damaligen linken Regierungschef
       Alexis Tsipras aus dem Amt zu jagen. Mitsotakis, ein Wirtschaftsliberaler,
       werde den aufgeblähten Staatsapparat endlich entschlacken, beteuerte
       Psarianos. Unverzüglich. Die ND feierte einen Wahltriumph. Doch Psarianos
       scheiterte krachend in seinem Athener Wahlkreis. Da war er schon 64 Jahre
       alt.
       
       Doch wer glaubte, Psarianos würde hernach als einfacher Bürger seinem
       Lieblingspremier zusehen, wie dieser im Eiltempo den hellenischen Staat
       verschlankt, irrte gewaltig. Psarianos kam schließlich doch noch unter: Im
       Dezember 2020 heuerte ihn der Vizepräsident der Mitsotakis-Regierung, der
       ehemalige oberste Richter Panagiotis Pikramenos, an. Fortan darf Psarianos
       in dessen Büro als Mitarbeiter fungieren. Psarianos brauchte keine
       Bewerbung schreiben. Die gut dotierte Stelle bekam er ohne Ausschreibung.
       Gewünschte Qualifikationen: keine. Die Regierung Mitsotakis beschaffte ihm
       den Job. Einfach so.
       
       ## Qualifikation? Egal
       
       Psarianos ist ein sogenannter Metaklitos. Das ist in Hellas ein
       Staatsangestellter, der der regierenden Partei nahesteht. So lange diese
       regiert, bleibt er ein Staatsangestellter. Verliert die Partei die Macht,
       verliert auch er seinen Staatsjob. Eigentlich sind die Metakliti eine pure
       Verschwendung: Denn Griechenland hat fast 600.000 Beamte bei gut 10
       Millionen Einwohnern.
       
       Die Arbeitsstellen gehen mit einem für griechische Verhältnisse üppigen
       Gehalt plus Sonderzulagen einher – deutlich mehr als Privatangestellte
       verdienen. Den Traumjob erhalten vorzugsweise Verwandte von Amtsträgern
       oder Parteisoldaten jeglicher beruflicher Couleur. Leistung und
       Qualifikation? Egal. Nur Loyalität und Nähe zur Macht zählt. Eine Kultur
       der Mittelmäßigkeit.
       
       Mitsotakis, selbst Spross einer alten Politdynastie, hat seit seinem
       Wahlsieg nach bewährtem Muster eine wahre Industrie der Metakliti
       errichtet. Ob in seinem Amtssitz oder anderswo: Überall, wo Staatsgelder
       fließen, hat er für Heerscharen treuer Gefolgsleute Jobs geschaffen.
       Mitsotakis setzt neue Maßstäbe: Noch nie gab es in Griechenland so viele
       Metakliti wie heute. Mitsotakis ist schlimmer als all seine Vorgänger, noch
       viel schlimmer als Tsipras, der selbst ein System der Vetternwirtschaft
       installiert hatte.
       
       Im Juli 2019, vor Mitsotakis’ Amtsbeginn, gab es 1.710 Metakliti. Ende
       Oktober 2021 hatte die Regierung Mitsotakis 3.138. Hinzu kommen 1.641
       Präsidenten und Mitglieder in Vorständen einer Unzahl juristischer Personen
       wie halbstaatlichen Firmen. Ferner zählen 14.957 sogenannte Sonderfälle zu
       den Apparatschiks der mit Steuergeldern bezahlten ND-Nomenklatura.
       
       Die Mitsotakis-Armee verdient zudem immer besser. Die Regierung Mitsotakis
       erhöhte die Bezüge der Metakliti prompt um 65 bis 70 Prozent. Dem chronisch
       klammen hellenischen Fiskus kosten sie jährlich rund 65 Millionen Euro.
       Allein die engsten Mitarbeiter von Mitsotakis schlagen mit 16,5 Millionen
       Euro zu Buche.
       
       ## Regierungspartei ist hochverschuldet
       
       Dabei hatte Mitsotakis die unsägliche Praxis der Einstellung der Metakliti
       in der Opposition noch aufs Schärfste verurteilt: „30.000 Menschen haben im
       Privatsektor ihren Job verloren, aber die Regierenden scheren sich nicht um
       sie! Die Einzigen, denen es gut geht, sind die parteilichen Metakliti, die
       die Regierung eingestellt hat!“, polterte er 2017. Schnee von gestern.
       
       Auch im Kampf gegen die Korruption bekleckert sich Mitsotakis nicht mit
       Ruhm. Laut der angesehenen Athener Wirtschaftszeitung Naftemporiki belief
       sich der Wert der vom Januar 2020 bis Juni 2021 vergebenen Staatsaufträge
       an den Privatsektor auf 13,55 Milliarden Euro – so viel wie seit 2010 nicht
       mehr. Von den insgesamt 305.656 Staatsaufträgen in diesen 18 Monaten
       entfielen jedoch 65 Prozent auf öffentliche Aufträge per Direktvergabe,
       laut Naftemporiki ein „dunkler Fleck“. Die Staatsaufträge vergaben die
       Ministerien und andere öffentliche Träger ohne Ausschreibungen an bestimmte
       Privatfirmen – im Kampf gegen die Korruption unstrittig ein
       Offenbarungseid.
       
       Apropos Ministerien: Zuletzt blähte Mitsotakis seine Regierung weiter auf.
       Sie zählt derweil insgesamt 59 Staatsminister, Minister, Vizeminister sowie
       stellvertretende Minister. So viele hatte noch keine Regierung in Athen
       seit dem Ende der Obristendiktatur im Jahr 1974, die vielen
       Generalsekretäre in den 19 Ministerien noch gar nicht inbegriffen.
       
       Dass die ND mit Schulden von 353.906.007,38 Euro (Stand: 2020)
       unangefochten Europas am höchsten verschuldete Partei ist, ist einem echten
       Metaklitos ebenso egal. Das gilt auch dafür, dass die ND-Schulden in der
       Zeit von Mitsotakis’ Parteivorsitz ab Anfang 2016 um 142 Millionen Euro
       gewachsen sind und die ND sagenhafte 170 Jahre brauchen wird, um ihre
       gesamten Schulden abzustottern.
       
       Grigoris Psarianos, der gescheiterte Parlamentskandidat und jetzige
       Regierungsmitarbeiter, hatte im Jahr 2016 als Abgeordneter in einer
       Parlamentsanfrage an die damalige Syriza-Regierung wissen wollen, „wie
       viele Metakliti es gebe“ und „was die Staatsjobber auf Widerruf den
       griechischen Steuerzahler kosten“. Mittlerweile ist er selbst Teil dieses
       Systems.
       
       30 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Syriza/!t5011009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ferry Batzoglou
       
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