# taz.de -- Böller-Aus und die Folgen: Schon wieder stille Nacht
       
       > Verkaufsverbot und Böllerverbotszonen sind für viele Menschen ein Segen.
       > Dass sie der Umwelt dienen, ist eher eine urbane Legende.
       
 (IMG) Bild: Das gute alte „Krawumm!“ wird dieses Jahr nicht so oft zu hören sein
       
       Berlin taz | Wenn am Silvesterabend die Datumsanzeige umspringt, darf man
       gespannt sein: Knallt es dieses Jahr überhaupt, und wenn ja, wie lange und
       wie laut? Weil die Bundesländer wie auch jetzt wieder schon beim ersten
       Corona-Jahreswechsel 2020/21 ein Verkaufsverbot für Pyrotechnik erließen,
       dürften viele ihre Reserven längst verballert haben. Ein Effekt, der sicher
       stärker ins Gewicht fällt als das Böllerverbot, das der Senat nun wieder
       für 53 Bereiche der Stadt verhängt hat. Und es gibt auch genügend Gründe,
       ein stilleres Silvester zu begrüßen – nur, dass es ein großer Segen für die
       Umwelt wäre, gehört eher ins Reich der urbanen Legenden.
       
       Gerade beim Thema Feinstaub gilt: Das private Abbrennen von Pyrotechnik
       lässt zwar die Immissionen für ein paar Stunden durch die Decke gehen.
       Danach fallen die Werte aber so schnell wieder ab, dass oft nicht einmal
       der von der EU festgelegte Tagesgrenzwert überschritten wird.
       
       Ablesen lässt sich das ganz konkret an den Daten des „Luftgütemessnetzes“,
       das die Senatsverwaltung für Umwelt betreibt. An einem Dutzend Messstellen,
       die unterschiedliche städtische Umgebungen wie Verkehrsachsen oder
       Wohnviertel repräsentieren, wird unter anderem stündlich die Menge an
       PM-10-Feinstaub in der Luft ermittelt. Diese winzigen Partikel mit einem
       „aerodynamischen Durchmesser“ von weniger als 10 Mikrometern (μm) dringen
       tief in die Lungen, teilweise sogar in die Blutbahn ein und verursachen
       oder begünstigen Erkrankungen.
       
       Dabei gelten folgende Grenzwerte: Maximal 35-mal im Jahr darf das
       Tagesmittel bei mehr als 50 μg pro Kubikmeter Luft liegen, das Jahresmittel
       muss unter 40 µg/m3 bleiben. Letzterer Wert wird seit Jahren
       deutschlandweit eingehalten, und eine 35-Tage-Überschreitung gab es in
       Berlin zuletzt im Jahr 2016. In den Jahren 2019 und 2020 kam keine einzige
       Messstelle auch nur in die Nähe des kritischen Werts, im laufenden Jahr ist
       die Neuköllner Silbersteinstraße mit bislang 22 Tagen über 50 μg/m3
       Spitzenreiter. Das ist ein Erfolg diverser Luftreinhaltungsmaßnahmen – vor
       zehn Jahren sah die Bilanz noch ganz anders aus.
       
       An einer „normalen“ Silvesternacht wie 2018/19 macht die
       PM-10-Emissionskurven um Mitternacht herum einen gewaltigen Satz nach oben
       – der Feinstaubausstoß von Raketen, Knallern, Feuerrädern und Vulkanen ist
       so gewaltig, dass die Spitzen die Grafik nach oben durchstoßen und sich gar
       nicht mehr ablesen lassen. Aus der Datentabelle ergibt sich aber, dass die
       Werte an Hotspots sich bis um den Faktor 40 vervielfachen. Aber das hält
       nicht lange an: An der Frankfurter Allee etwa fiel 2018/19 die um 1 Uhr
       erreichte Feinstaubmenge von 816 μg bis 4 Uhr schon wieder auf 22 μg/m3.
       Die als besonders gefährlich eingestufte ultrafeine Fraktion („PM 2,5“)
       verhält sich dabei entsprechend.
       
       Damals war die Frankfurter Allee dann auch die einzige Messstelle, die den
       50-μg-Tageswert riss, an allen anderen blieben die Mengen unauffällig. Ein
       Jahr später meldeten vier Messstellen leichte Überschreitungen, im letzten
       Jahr dann gar keine. Da lagen die Feinstaub-Stundenspitzen coronabedingt
       aber auch schon deutlich tiefer und erreichten nirgendwo mehr als 260
       μg/m3.
       
       ## 1 x nach Bonn = 20.000 Raketen
       
       Auf solche Zahlen berufen sich natürlich auch die Pyrotechnik-Produzenten.
       Zudem hat ein Hersteller in Oberfranken anhand von Daten des
       Umweltbundesamts vorgerechnet, dass auch der CO2-Ausstoß des
       Silvesterfeuerwerks mit 0,0003 Prozent aller deutschen
       Kohlendioxidemissionen vernachlässigbar sei. Sein griffiger Vergleich: Bei
       einer einzigen Autofahrt von Bonn nach Berlin werde so viel CO2 in die Luft
       gepustet wie beim Abbrennen von 20.000 Raketen.
       
       Der Verband der Pyrotechnischen Industrie (VPI), der die Branche mit 3.000
       Beschäftigten in Deutschland jetzt vor dem endgültigen Aus sieht, will im
       Übrigen auch nicht an eine Überlastung der Krankenhäuser glauben, weil sich
       Menschen mit Feuerwerk verletzen. „Noch immer fehlen valide Daten, mit
       denen sich plausibilisieren ließe, dass ein signifikanter Teil der
       Verletzungen in der Silvesternacht durch zugelassenes Feuerwerk entsteht“,
       teilt der VPI etwas umständlich mit. „Für den deutschen Markt zugelassenes
       Silvesterfeuerwerk unterliegt strengen gesetzlichen Vorgaben, wodurch
       ernsthafte Verletzungen praktisch auszuschließen sind.“
       
       Tatsächlich waren laut dem Vivantes-Konzern beim Jahreswechsel 2019/20 nur
       rund 5 Prozent der Notfälle in den Berliner Rettungsstellen einer
       Feuerwerksverletzung geschuldet. Ein weitaus häufigerer Grund, der mit dem
       Datum zu tun hat, sei der Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen. Für
       den VPI ist außerdem klar: Darf in Deutschland kein hier zugelassenes
       Feuerwerk verkauft werden (von kleinen Tischfontänen und Wunderkerzen
       einmal abgesehen), sickert massenweise Material aus dem benachbarten
       Ausland ein. Darunter auch Pyrotechnik einer Gefährdungsklasse, die hier
       gar nicht frei erhältlich wäre und tatsächlich für schlimme Verletzungen
       sorgen könne.
       
       Theoretisch hat allerdings der Zoll ein Auge auf diesen Pyrotechnik-Import:
       „Das Verbringen von Feuerwerkskörpern aus anderen Mitgliedstaaten ist
       grundsätzlich nur zulässig“, wenn sie „von einer nach EU-Recht zugelassenen
       Prüfstelle konformitätsbewertet“ seien, teilt der Sprecher der
       Generalzolldirektion, Florian Richter, auf taz-Anfrage mit. Auch dürften
       „Feuerwerkskörper der Kategorie F3 und F4“ nur mit „besonderer behördlicher
       Erlaubnis“ eingeführt werden, für den Transport seien auch
       „gefahrgutrechtliche Vorschriften zu beachten“.
       
       ## Hände weg von Fälschungen
       
       Zuwiderhandlung sei strafbar, so Richter, auch für den Fall, dass die
       Kennzeichnung der im guten Glauben erworbenen Knaller gefälscht sei, und
       ebenfalls beim Bestellen über Onlineshops. Der Zoll unterstütze die Polizei
       bei der Überwachung der Einfuhr „explosionsgefährlicher Stoffe“. Wie die
       Berliner Polizei selbst die Lage in puncto Import einschätzt, wollte sie
       auf taz-Anfrage übrigens nicht mitteilen.
       
       Trotzdem: Für sehr viele Menschen und Tiere ist das Ausbleiben des großen
       Knallens ein Segen – zumal es in Städten wie Berlin teilweise zur
       aggressivem Quasisportart geworden ist. Deshalb hat auch die Deutsche
       Umwelthilfe (DUH) die Bundesregierung aufgefordert, per Änderung der
       Sprengstoffverordnung „die archaische Böllerei ein für alle Mal zu
       beenden“. Die DUH setzt sich schon länger für ein grundsätzliches
       Verkaufsverbot ein. Geschäftsführer Jürgen Resch spricht nun von einer
       „Chance für neue Bräuche“, ihm schwebt sogar selbst der Verzicht auf
       organisierte Großfeuerwerke vor: Für die Zeit nach Corona empfehle er den
       Kommunen „kreative Licht- und Lasershows oder gar eine Drohnenshow“.
       
       27 Dec 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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