# taz.de -- Regierungswechsel inmitten von Corona: Schuld sind stets die anderen
       
       > Was tun gegen die vierte Coronawelle? In der Bundestagsdebatte zum
       > Infektionsschutzgesetz zeigt die alte Regierung auf die neue – und
       > umgekehrt.
       
 (IMG) Bild: Im Bundestag fand am Donnerstag eine besondere Debatte statt. Ihr Name: Blame Game
       
       Berlin taz | Die Berliner Politik befindet sich mitten in der vierten
       Coronawelle in einem Schwebezustand. Die alte – und geschäftsführende –
       Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) fühlt sich nicht mehr
       zuständig. Und das neue, sich gerade erst formende Ampel-Bündnis unter Olaf
       Scholz (SPD) übernimmt langsam aber sicher die Geschäfte, wirkt dabei aber
       recht unsortiert.
       
       Wie unerfreulich dieser Zustand ist, zeigte sich am Donnerstag in der
       Bundestagsdebatte [1][über das neue Infektionsschutzgesetz]. Es war eine
       Premiere. Erstmals beschlossen SPD, Grüne und FDP ein eigenes Gesetz, und
       gleich ging es ums große Ganze: die eskalierende Corona-Krise. Über weite
       Strecken geriet die Debatte zu einem peinlichen Blame Game, in dem die alte
       Regierung auf die neue zeigte und umgekehrt. Motto: Schuld sind immer die
       anderen.
       
       Für die SPD eröffnet die Ärztin Sabine Dittmar die Debatte – und lobt
       pflichtschuldig das eigene Gesetz. Die Ampel-Parteien erhielten das „hohe
       Schutzniveau“ gegen Corona in Deutschland nicht nur, „wir erhöhen es“, denn
       sie reagierten mit mit den notwendigen und rechtssicheren Maßnahmen auf die
       sehr schwierige Lage.
       
       Dittmar zählt auf, was in Zukunft in der Pandemiebekämpfung möglich sein
       soll: Die Länder könnten Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten
       Bereich erlassen, außerdem gelte 3 G am Arbeitsplatz und im Öffentlichen
       Nah- und Fernverkehr. Ungeimpfte müssen sich also auf Corona testen lassen,
       bevor sie mit dem Bus zum Job fahren.
       
       ## Seitenhieb auf Sachsen und Bayern
       
       Die SPDlerin attackiert unter lauten Zwischenrufen die Union, die in
       Zukunft neben der Linken und der AfD die größte Oppositionsfraktion stellt.
       CDU und CSU ließen sich von ihren Freistaaten treiben, die Spitzenreiter
       bei den Inzidenzen seien, ruft Dittmar. „Corona kennt keine Ländergrenzen
       und keine Parteigrenzen.“ Das ist ein Seitenhieb, der sitzt. Im
       CDU-regierten Sachsen und in Bayern, wo CSU-Ministerpräsident Markus Söder
       schaltet und waltet, schießen die Corona-Zahlen durch die Decke. Dennoch
       spart letzterer nicht mit öffentlichen Ratschlägen für die Ampel.
       
       Die Union konzentriert ihre Attacken im Plenum auf einen wunden Punkt: Das
       neue Gesetz der Ampel lässt die die so genannte epidemische Lage von
       nationaler Tragweite auslaufen. Jene räumte in der Vergangenheit
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Sonderbefugnisse ein – und
       eröffnete den Ländern einen Instrumentenkasten gegen die Pandemie, etwa die
       Anordnung von Lockdowns. Die Länder können in Zukunft trotzdem tätig
       werden. Aber die Ampel nimmt manche Maßnahmen aus dem Instruementenkasten
       heraus – und packt andere neu hinein.
       
       „Sie haben keinen Plan für diese Pandemie“, ruft nichts desto trotz der
       Unions-Abgeordnete Stefan Stracke. Krankenhäuser stießen jetzt schon an
       ihre Grenzen, in manchen Orten gebe es Verlegungen. Operationen würden
       aufgeschoben, Ärzte und Pflegekräfte stießen an ihre Belastungsgrenze. Die
       Union stelle den Antrag, die epidemische Lage zu verlängern, weil sie den
       Ländern flexible und notwendige Maßnahmen an die Hand gebe, sagt Stracke.
       
       Lustig ist, dass Stracke vor Parteipolitik in der Krise warnt, sie aber
       selbst praktiziert. Denn welche Maßnahmen hat die Union genau im Sinn? Das
       bleibt nebulös, worauf wenig später FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco
       Buschmann hinweist. Mit ätzender Ironie fragt er am Mikrophon, ob die Union
       denn verfassungswidrige Ausgangssperren wolle? Oder den Einzelhandel
       komplett zumachen? Oder ob sie bundesweite Schul- und Hochschulschließungen
       fordere?
       
       ## Berechtigte Fragen an Jens Spahn
       
       Letzteres habe der CDU-Politiker und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst als
       Bestrafung von Menschen bezeichnet, die sich geimpft hätten, sagt FDPler
       Buschmann. Und folgert: In Wahrheit kämpfe die Union nicht gegen Corona.
       „Sie kämpfen gegen eine politische Konstellation, die im Werden begriffen
       ist.“
       
       Aber auch die Ampel-PartnerInnen koffern in Richtun Union.
       Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt formuliert ein paar
       berechtigte Fragen an Jens Spahn. Seit wie vielen Monaten das
       Corona-Kabinett nicht getagt habe, wo denn der große Plan für die
       Booster-Impfungen sei, wo die Strategie für regionale Lockdowns. „Die
       Menschen erwarten, dass wir handeln.“ Gleich zwei Mal reibt Göring-Eckardt
       Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus unter die Nase, dass er sich in der
       Debatte nicht mit einer eigenen Rede zu Wort meldet.
       
       Irgendwann erhebt sich dann der Abgeordnete (und Noch-Minister) Spahn für
       eine Kurzintervention in eigener Sache. Er habe ja der Ampel am 15. Oktober
       drei Wege aufgezeigt, die diese ausgeschlagen habe, sagt er. Sie habe sich
       für einen anderen Weg entschieden, wobei ihr die geschäftsführende
       Regierung – also: er selbst – sogar geholfen habe. Dann müsse die neue
       Koalition aber auch Verantwortung übernehmen und dürfe nicht andere als
       „Punchball“ – also: ihn – nehmen.
       
       Das klingt schon fast so trotzig wie der Spruch, den sich Kinder im
       Sandkasten zurufen: Selber, selber, wie die dummen Kälber! Spahn wirft dann
       aber zum Glück nicht mit einem Schäufelchen, sondern er setzt sich wieder
       hin. Auf der Regierungsbank verfolgt Angela Merkel das Geschehen,
       vermutlich mit ungerührter Miene, genau ist das nicht zu erkennen, weil sie
       einen schwarzen Mundschutz trägt. Daneben sitzt mit ordentlichem
       Sicherheitsabstand Scholz, ihr wahrscheinlicher Nachfolger im Amt.
       
       ## Querdenker-Sound von der Besuchertribüne
       
       Oben auf der Besuchertribüne wiederum sind mehrere AfDler versammelt, die,
       weil sie ihren Impfstatus nicht angeben wollen, nach den Regelungen des
       Bundestages nicht ins Plenum dürfen. Von dort meldet sich der
       AfD-Abgeordnete Martin Sichert mit einer Einlassung zu Wort, die sicher in
       Querdenkerkreisen begeistert geteilt werden wird. Seit Februar seien mehr
       Menschen an den Impfungen gestorben als an Corona, ruft Sichert in
       Verleugnung aller Fakten. Auch hätten sich dreifach Geimpfte wie der
       CDU-Abgeordnete Sepp Müller ebenfalls mit Corona infiziert.
       
       Diese Instrumentalisierung lässt Müller nicht auf sich sitzen, der
       witzigerweise im Plenum direkt unter der Besuchertribüne sitzt, von Sichert
       also nicht gesehen werden kann. Der Christdemokrat steht auf und antwortet,
       dass ihm nach dem positiven Test gottlob nur fünf Tage lang die Nase lief.
       Ein milder Verlauf also, dank der Impfung. Dann erzählt er noch von einem
       Handballfreund, der nach der Krankheit nicht mal mehr die Treppen hochkomme
       – und appelliert unter lautem Beifall an alle, sich impfen zu lassen.
       
       Am Ende beschließt die Ampel das neue Infektionsschutzgesetz. Wenn man sich
       wünschen dürfte, was von dieser Bundestagsdebatte in Erinnerung bliebe,
       dann wären es die paar Sekunden des Abgeordneten Sepp Müller.
       
       18 Nov 2021
       
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