# taz.de -- Zwischen Konfliktpartei und Vermittler: Moskaus doppeltes Spiel
       
       > Gegen die Ukraine zieht Russland seine Truppen zusammen, zwischen
       > Armenien und Aserbaidschan vermittelt es. Dahinter steckt eine Strategie.
       
 (IMG) Bild: Zeremonie russischer Friedenstruppen für ein Jahr Waffenruhe in Aserbaidschan (10.11.2021)
       
       Moskau taz | Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – für den russischen
       Präsidenten Wladimir Putin die „größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ –
       haben sich ihre Nachfolgestaaten unterschiedlich entwickelt. Aus dem
       Einfluss Russlands, ob freiwillig oder aufgezwungen, können sich einige von
       ihnen bis heute nicht befreien. Das nutzt der Kreml aus, um durch seine
       „besonderen Interessensphären“ sein geopolitisches Gewicht zu stärken und
       dadurch sein immer noch wichtigstes Ziel zu verfolgen: mit den USA auf
       Augenhöhe wahrgenommen zu werden.
       
       Belarus, die Ukraine, Aserbaidschan, Armenien: Die Sorgen bei den
       westlichen Regierungen sind derzeit wieder groß. Dass der Westen das
       russische Bedrohungsszenario vor allem in der Ukraine als solches
       wahrnimmt, kommt Moskau zupass. Denn es setzt seit jeher auf Angst, um sich
       dadurch Respekt zu verschaffen. Wenn sich die Konflikte zuspitzen, bietet
       sich Russland, oft gleichzeitig auch Konfliktpartei, gern als Vermittler an
       und hat damit eine schwer zu durchschauende Doppelrolle.
       
       Während sich der Kreml schleichend den Osten der Ukraine einverleibt und
       Fakten schafft, ganz ohne die Truppen, die es – wie bereits im Frühjahr –
       an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht, vermittelt es ein Jahr nach dem
       aserbaidschanisch-armenischen Krieg nach einem Hilferuf der Armenier einen
       Waffenstillstand zwischen Baku und Jerewan. Russland ist Schutzmacht in
       Bergkarabach, seine 2.000 Soldaten sollen die neu gezogene Kontaktlinie
       kontrollieren. [1][Russische Friedenstruppen in Armenien] sind ein
       Instrument Moskaus, um seinen regionalen Einfluss zu festigen.
       
       Weil der Kreml seiner eigenen Bevölkerung wenig Angebote machen kann,
       pflegt die Machtelite die erprobten Mythen: Das Übel kommt aus dem Westen,
       Russland ist gezwungen, sich vor seinen Feinden zu schützen. Dadurch
       maskiert die Führung die inneren Konflikte im Land, den Bruch in der
       Gesellschaft, die täglichen Kämpfe zwischen Konservativen und Liberalen.
       Putin verfolgt seine Innen- wie Außenpolitik nach der künstlich
       erschaffenen Formel: „Wir sind nach innen geeint und von außen höchst
       bedroht“.
       
       ## Stetige Drohgebärden in Richtung Kiew
       
       Einer, der sich ebenfalls mit solchen Mitteln an der Macht zu halten
       versucht, ist Alexander Lukaschenko, der Diktator, der an der
       [2][EU-Ostgrenze derzeit ein perfides Machtspiel mit Geflüchteten
       inszeniert] – mit Hilfe aus Moskau, weil Moskau den Machthaber in Minsk
       hält – um Belarus noch näher an sich zu binden. Selbstredend zu russischen
       Bedingungen. Lukaschenko sieht sein Land als Pufferzone für mögliche
       Angriffe aus dem Westen gegen Russland. Die Krise vor den Toren Europas
       liegt auch im Interesse des Kremls: Er kann die europäische Uneinigkeit
       geradezu exemplarisch vorführen – und bietet sich auch hier als möglicher
       Vermittler an. Währenddessen droht Lukaschenko mit Russland als Atommacht.
       Einerseits bekräftigt er damit die russische Bedrohung für den Westen,
       andererseits zeigt er dadurch auch, wie völlig abhängig sein Regime von
       Moskau ist.
       
       Die größte Angst der russischen Führung ist der Verlust des Einflusses auf
       Gebiete, die sie als kulturell nah oder gar gleich ansieht. Darin mündet
       auch die Enttäuschung des Kremls über den Weg der Ukraine, immer mehr
       Verbindungen mit dem Westen eingehen zu wollen. Dafür bestraft sie Kiew mit
       dem Einsatz ihrer Militärstärke und den stetigen Drohgebärden. Gespräche
       mit seinem westlichen Nachbarn hält Moskau für überflüssig. Dmitri
       Medwedew, der einstige Präsident des Landes und jetzige Vizechef im
       russischen Sicherheitsrat, hatte erst im Oktober in seinem programmatischen
       Artikel die ukrainische Führung als wurzellos und unselbstständig
       bezeichnet. Putin hatte der Ukraine bereits zuvor in einem historischen
       Essay faktisch die Staatlichkeit abgesprochen. Es sei der Westen, der das
       Land als eine Art „Anti-Russland“ regiere.
       
       In russischen Militärkreisen ist die Angst, von der Nato angegriffen zu
       werden, tatsächlich real. So hat Moskau seine Truppenstärke nach dem
       gemeinsamen militärischen Großmanöver Sapad („Westen“) zwischen Russland
       und Belarus im September offenbar nur noch erhöht. Die „Auffälligkeiten“
       bei den Truppenbewegungen stützen sich vor allem auf Satellitenaufnahmen
       und Videos, die russische Militärzüge und mit Panzern und Raketen beladene
       Lastwagenkonvois zeigen, und die seit Wochen in den sozialen Netzwerken
       kursieren. Der Kreml agiert dabei intransparent und lässt von Kremlsprecher
       Dmitri Peskow verlautbaren: „Militärbewegungen auf dem Gebiet der
       Russischen Föderation sind ausschließlich unsere Sache“.
       
       Doch Moskau weiß auch ohne militärisches Eingreifen, wie es die
       Separatistengebiete im Osten der Ukraine an sich bindet: Es verteilt dort
       russische Pässe, es führt Rubel als Währung ein, es erlaubt nun auch den
       freien Import von Waren aus dem Donbass.
       
       17 Nov 2021
       
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