# taz.de -- Parteitag der englischen Grünen: Jetzt der politische Klimawandel
       
       > Die Green Party von England und Wales wittert Morgenluft. Eine Woche vor
       > der Weltklimakonferenz trifft sie sich zum Jahresparteitag.
       
 (IMG) Bild: Im Versammlungssaal des Grünen-Parteitags. Es gibt auch ein Plenum
       
       Birmingham taz | Menschen mit langen Haaren, Strickpulis und Ansteckern,
       aber auch einige im saloppen Jackett sitzen an Tischen zusammen und
       diskutieren leise: Das ist das gewohnte Bild von Parteitagen der britischen
       Grünen – so auch an diesem Wochenende im mittelenglischen Birmingham, eine
       Woche vor Beginn der Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow.
       
       [1][Die Grünen von England und Wales] – Schottland hat seine eigene grüne
       Partei – machen Schlagzeilen nicht wegen starker Sprüche zur
       Klimakonferenz, sondern wegen ihrer Antwort auf den gegenwärtigen Anstieg
       der Energiepreise, der auch Großbritannien betrifft. Die neue Doppelspitze
       aus Carla Denyer und Adrian Ramsay hat die Gemüter der Nation angeregt mit
       dem Vorschlag, jedem Haushalt 320 Pfund (370 Euro) zu zahlen, finanziert
       durch eine einmalige Besteuerung von 1 Prozent von Hausbesitzer*innen.
       
       „Wir sind verpflichtet klarzustellen, wie unsere Politik die Leben von
       Millionen von Menschen verändern würde, die durch die gestiegenen
       Heizkosten in weitere Armut stürzen könnten“, führt Ramsay aus. Der
       Vorschlag steht in der Tradition der alten grünen Forderung nach einem
       allgemeinen bedingungslosen Grundeinkommen.
       
       Nun weht durch die Parteitagshalle ein Wind des Optimismus. Die Grünen
       legten bei den letzten Kommunalwahlen wieder zu, genau wie in den letzten
       20 Jahren wieder zu. Sie besetzen inzwischen 447 direkt gewählte kommunale
       Sitze in 141 Wahlkreisen. Statistisch hochgerechnet kommen sie auf zehn
       Prozent aller Wähler*innen, behauptet die Parteiführung. Anregung für die
       gute Stimmung bietet der Eintritt der schottischen Schwesterpartei in die
       dortige Regionalregierung. Ein Durchbruch auch in England, wo die Grünen
       nach wie vor nur [2][einen Sitz im Unterhaus] halten, sei greifbar, glaubt
       Denyer.
       
       ## Dynamisches Führungspaar
       
       Das Führungspaar gibt sich dynamisch, jung und professionell. Tatsächlich
       gehören Ramsay und Denyer zu den erfahrensten jüngeren Mitgliedern der
       Grünen. Ramsay ist ein grüner Politveteran: seit 2003 – damals war er nur
       21 Jahre alt – ist er Stadtrat im ostenglischen Norwich. Denyer ist zwar
       erst seit 2015 Stadträtin, aber bei den britischen Parlamentswahlen 2019
       [3][unterlag sie im Wahlkreis Bristol West] nur knapp gegen Labour. Keiner
       Frage weicht sie aus. Brexit? Ein Wiederbeitritt zur EU sei vielleicht eine
       Option für die späte Zukunft, nicht für jetzt, sagt Denyer.
       
       Zentral im Parteiprogramm der Grünen ist derzeit nicht nur der Klimawandel,
       sondern auch die soziale Gerechtigkeit. Wollen sie damit Labour Stimmen
       stehlen? „Nein, das sind und waren unsere eigenen Vorschläge von Anfang
       an“, widerspricht Denyer. Vorschläge wie eine CO2-Steuer oder eine
       Besteuerung von Vielflieger*innen seien mehrheitsfähig, das hätten
       Umfragen gezeigt.
       
       Jetzt, wo auch andere Parteien grüne Politik machen wollen, verstehen es
       die Grünen als ihre Aufgabe, große Versprechen oder halbgare Ankündigungen
       anderer Parteien zu entlarven. Ramsay nennt ein Beispiel: Die Ankündigung
       der konservativen Regierung von 450 Millionen Pfund (etwa 531 Mio Euro) für
       Wärmepumpenanlagen. Dabei handele es sich erstens nur um eine
       Neuetikettierung bereits existierender Maßnahmen, und zweitens sei die
       Summe nicht den tatsächlichen Bedürfnissen angemessen. Denyer glaubt
       dennoch, mit anderen Parteien zusammenarbeiten zu können: Die Tories hätten
       einen guten Anfang gemacht, sagt sie.
       
       ## Transphobie und Antisemitismus
       
       Im Plenum zeigen sich erst einmal andere Herausforderungen. Nach wie vor
       fehlen den Grünen Parteimitglieder aus Minderheitengruppen. Bei einem
       speziellen Treffen der „Greens of Colour“ versammeln sich nicht mehr als
       ein Dutzend Menschen.
       
       Am Rande des Foyers konfrontiert Raphael Hill, 25, ein Mitglied der
       Transcommunity, die Delegierten. „Transleute, inklusive meiner selbst, sind
       Menschen“, hat er auf ein Plakat geschrieben. Es gibt in der Partei einen
       alten Streit um den ehemaligen stellvertretenden Parteivorsitzenden Shahrar
       Ali, dem Transfeindlichkeit vorgeworfen wird, weil er sagt, dass Frauen
       durch zwei X-Chromosome definiert seien. Vor Jahren hatte er sich an
       jüdische Menschen mit den Worten gewandt: „Nur weil ihr die Nettigkeiten
       des Holocausts-Gedenktag observiert, bedeutet es noch lange nicht, dass ihr
       Lektionen aus der Geschichte gelernt habt.“ Hill zieht im Gespräch
       Vergleiche zwischen Transphobie und latentem linken Antisemitismus auch
       unter Grünen.
       
       Doch in der breiteren Öffentlichkeit spielt so etwas kaum eine Rolle. Wie
       kommt es, dass die Grünen auf kommunaler Ebene immer mehr Erfolg haben?
       Michael Welton, 47, Stadtrat und Musiker aus Altrincham in Trafford nahe
       Manchester, und Natalie McVey, 50, aus den Malton Hills im Westen Englands,
       haben beide in den vergangenen zwei Jahren konservative Sitze gekapert. Im
       Gespräch mit der taz betonen sie, es sei ein Ergebnis harter Arbeit, auf
       die Sorgen der Menschen in ihren Wahlkreisen einzugehen.
       
       Dass so viele Menschen bei den Parlamentswahlen 2019 von Labour zu Boris
       Johnsons Tories überliefen, erklärt sich Welton als Protest gegen Labour
       eher als Stimme der Überzeugung für die Tories. Diese Wähler*innen
       würden sich nun zunehmend für Grüne als linke Alternative interessieren.
       
       24 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://vote.greenparty.org.uk/
 (DIR) [2] /Englische-Gruene-in-Brighton/!5016148
 (DIR) [3] /Wahlkampf-in-Grossbritannien/!5646532
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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