# taz.de -- Klimacamp Bremen: Zelten ist gut für die Revolution
       
       > Nach 175 Tagen steht das Klimacamp auf der Kippe. Neue
       > Unterstützer*innen werden gesucht. Eine Nacht vor Ort mit Tee,
       > Gitarrenspiel und einer Bilanz.
       
 (IMG) Bild: Tag 175 im Klimacamp in Bremen. Wie soll es weitergehen – und was kann das Camp noch erreichen?
       
       Bremen taz | „Wir bleiben, bis ihr handelt“, liest ein nächtlicher Passant
       eines der Schilder am Klimacamp vor, leider recht laut. Doch wieder wach.
       Drei Schläge vom Dom, es ist also Viertel vor, vielleicht vor 3 Uhr,
       vielleicht vor 4 Uhr, das Handy zeigt es nicht mehr an – Akku leer. Die
       Socken gegen die Kälte sind schnell gefunden, denn es ist hell im Zelt, die
       ganze Nacht. Rathaus, Dom, Bürgerschaft – die Gebäude ringsum sind
       touristisch interessant und entsprechend gut beleuchtet.
       
       Erstaunlich viele Menschen hört man nachts in der Einkaufszone der Stadt.
       Zwei Leute draußen flüstern und kichern; was machen die da? Können sie
       etwas stehlen im großen Hauptzelt? Das gerettete Brot, die veganen
       Aufstriche? Die Campinglampe oder die Pflanze, die von der Zeltdecke
       hängen? Das Glas mit ein paar 50-Cent-Stücken, für den Toilettengang im
       Parkhaus? Oder den improvisierten Kühlschrank, zwei tönerne Blumentöpfe mit
       einer Sandschicht dazwischen? Eher nicht. Der Dom läutet noch einmal, zur
       vollen Stunde: Es ist vier Uhr, na also. Weiterschlafen.
       
       ## Das Klimacamp braucht mehr Unterstützer*innen
       
       Zelten auf dem Marktplatz fühlt sich seltsam und ungemütlich an in der
       ersten Nacht, für [1][die Aktivist*innen vom Bremer Klimacamp] ist es
       längst Normalität. Seit fast einem halben Jahr halten sie hier die
       Stellung. Doch „Wir bleiben, bis ihr handelt“, genau das ist gar nicht mehr
       so sicher an Tag 174. Shu und Spinne, Paul und Minze, Taumel und Anne und
       wie sie alle heißen überlegen, wie es weitergeht.
       
       Am Montagabend hatte die Gruppe über alle Kanäle noch einen Hilfeaufruf
       abgesetzt. „Wir brauchen JETZT dringend Unterstützung, damit das Klimacamp
       weiterleben kann“, heißt es dort. „Aktuelle Camp-Bewohnis müssen entlastet
       werden.“ Bis Sonntag will man sehen, ob sich Unterstützer*innen
       finden, Menschen, die Schichten übernehmen können. Mindestens drei Menschen
       müssen immer vor Ort sein, damit das Camp als Versammlung durchgeht. Und
       das 24 Stunden am Tag, seit nun 175 Tagen.
       
       Wie viele Supporter*innen es gibt, das ist nicht ganz klar. Jemand sagt,
       es dürften 30 sein, eine andere glaubt an noch ein paar mehr. Viele von
       ihnen helfen im Hintergrund: Menschen, die kochen, Menschen, die ihre
       Duschen zur Verfügung stellen. „Alle sind wichtig“, stellt „Ananas“ im
       Plenum am Dienstagabend klar. „Aber manche sind Bausteine und andere sind
       Säulen“.
       
       ## Einige Aktivist*innen engagieren sich jetzt anderswo
       
       Shu gehört zu den Säulen, tagelang am Stück ist er da, übernimmt eine
       Schicht nach der nächsten. Ähnliches galt für Simon – aber der geht jetzt,
       er will in Westfalen den Steinhausener Wald retten. So wie Arbor, der auch
       so eine Säule war, und jetzt den Wald besetzt. Und so wie Taumel, die
       deshalb bald nur noch halbe Kraft fürs Klimacamp geben kann.
       
       Gründe gibt es mehrere: Da ist zum einen der Steinhausener Wald, der es
       sicher verdient, gerettet zu werden. Im Hintergrund schwebt dazu leise noch
       ein anderer Konflikt: Wer hat was zu sagen im Camp? Haben alle immer genug
       Raum?
       
       Plötzlich jedenfalls gibt es viele leere Schichten, die gefüllt werden
       müssen. Zum Plenum am Dienstag haben ein paar Neue zumindest mal
       vorbeigeschaut, der Hilferuf wurde gesehen. Es könnte noch mal was werden
       mit einer Verlängerung.
       
       Jetzt, am Mittwochabend, ist neben der taz-Journalistin auch Carsten
       erstmals zum Übernachten vorbeigekommen, er ist Hausmeister und bald im
       Vorruhestand, will die Gruppe unterstützen und bringt auch selbst etwas
       „Sehnsucht nach dem gemeinsamen Ziel“ mit. Erst einmal sitzt er am Rande,
       im Hauptzelt, und beobachtet, wie die Camper*innen ihre Zeit gestalten,
       Tee trinken, quatschen.
       
       Draußen ist es schon dunkel, Minze beginnt, Gitarre zu spielen, das klingt
       schöner als die verwischten Fetzen von Orgelmusik aus dem Dom, die
       unablässig herüberschallen. Yassin macht sich ein riesiges Porridge und
       singt [2][zur „Tally me-Banana“-Melodie: „Energie ist wichtig für die
       Revolution.“] Es wirkt vertraut wie ein WG-Abend, ein guter.
       
       ## Das Leben am Rathausplatz ist anstrengend
       
       Es gibt auch die andere Seite. Das Anstrengende, das ist, dass kein Feuer
       gemacht werden darf, auch nicht zum Kochen. Das Anstrengende, das sind die
       Kälte und auch der Lärm: Das Plenum am Dienstag wurde alle paar Minuten
       unterbrochen, immer wenn die Straßenbahnen vorbeigerattert sind.
       
       Das Anstrengende ist die Unsicherheit: Walkie-Talkies wurden angeschafft,
       nachdem Betrunkene nachts an den Zelten gerüttelt hatten. Das Anstrengende
       sind die Passant*innen, erzählt Minze, manche mit sexistischen Sprüchen,
       viele mit verärgerten Blicken. Das Anstrengende, das ist auch der
       Mandel-Arsch, der an seinem Stand an Zecken nichts verkaufen wollte.
       
       Das Anstrengende, findet Spinne, sind die cis Männer, auch im Camp, die
       dazwischenquatschen, wenn Frauen was sagen, aber sich zurückhalten, wenn
       sie sexistisch angequtscht werden. Auch interne Konflikte hat es gegeben im
       Camp; an diesem Abend ist das gar nicht mal so leicht vorstellbar, wenn man
       sieht, wie betont achtsam alle miteinander umgehen. Vor einer Umarmung wird
       gefragt, ob sie gewünscht ist. „Wir haben total viel hier gelernt“, sagt
       Paul. „Egal, was wir erreicht haben, das kann uns keiner nehmen.“
       
       ## Die große Frage: Warum weitermachen?
       
       Eine große Gruppe angetrunkener Erstsemester steht vor dem Dom, eine
       Kennenlernrallye. Yassin schnappt sich das Megafon und gibt den Animateur.
       „Ihr habt alle gewonnen“, ruft er, der Rest geht im Jubel unter. Eine
       Studentin kommt rüber zum Zelt. „Richtig nice, was ihr hier macht“, sagt
       sie und meint das ganze Klimacamp. Paul und Ca lächeln freundlich zurück.
       „Die Anerkennung gibt mir nicht so viel“, sagt Paul später auf Nachfrage.
       „Am Anfang hatte ich großen Weltschmerz und war eher wütend auf die, die’s
       toll finden, aber selbst nicht mitmachen“, so der 18-Jährige.
       
       Was genau aber soll es bringen, weiterzumachen mit dem Camp? Die Politik
       drängen, die Ziele des Camps zu erfüllen? „Bremen klimaneutral bis 2032“
       steht auf einem Schild, neben konkreten Wegen dahin. Die Aktivistis winken
       ab. Ein paar Politiker*innen seien vorbeigekommen, alle mit viel Lob
       für die Ziele – und der Versicherung, [3][ihnen seien die Hände gebunden].
       
       Menschen erreichen, das ist schon eher greifbar. „Veränderung kann nur von
       unten kommen“, sagt Paul. Und Taumel macht wieder Pläne für Workshops, für
       mehr Öffentlichkeit. Andererseits: Menschen erreichen um jeden Preis, das
       wollen sie nicht. Ein älterer Mann kommt an und will erklären, warum die
       wahren Probleme in Thailand liegen, nicht in Bremen. Er wird weggeschickt,
       und er bleibt nicht der Einzige. Man muss haushalten mit seinen Kräften.
       
       ## Ein Sinn des Klimacamps ist das Klimacamp selbst
       
       Warum also Klimacamp – und warum weitermachen? „Egal, mit was für
       Vorstellungen du in das Camp kommst“, sagt Yassin, „du kommst bestimmt
       verändert heraus.“ Dann erzählt er wie wichtig es ist, seine Seele zu
       finden, und dann erzählt er, wie er selbst hier gelandet ist. Was er
       erzählt, ist nicht lustig, aber Yassin ist ein guter Erzähler und er will
       unterhalten. Yassin kam vor Monaten hier vorbei. Man hatte ihn
       rausgeworfen, dort wo er lebte, und so lief er durch die Nacht, von
       Polizeiwache zu Polizeiwache, damit man ihm eine Zelle geben möge bis zum
       nächsten Morgen, alles ohne Erfolg.
       
       Dann traf er auf Shu, der vor dem Zelt saß, und sprach ihn an. Bis 5 Uhr
       morgens hätten sie auf den Stufen vom Dom gesessen und geredet, dann kam
       das Angebot, „schlaf doch hier“. Ganz fassen konnte Yassin das Vertrauen
       nicht: „Ich war komplett am Ende, kein Geld, keine Wohnung“, erzählt er.
       „Ganz ehrlich, hätte ich keine Moral gehabt, hätte ich sie abziehen
       können.“ Yassin schüttet Pulver aus einer Dose in seine Tasse mit heißem
       Wasser. „Ohne Cappuccino keine Revolution“, singt er.
       
       Warum also Klimacamp? Für viele im Camp ist das gar keine Frage – ja, was
       denn bitte sonst? „Ich will meine Utopie leben“, sagt Spinne, „gemeinsam
       Ziele verfolgen und gut miteinander umgehen.“ Und: „Wir haben den Auftrag,
       diese Gesellschaft irgendwann neu aufzubauen“, sagt die 21-Jährige. „Hier
       üben und hier zeigen wir schon mal, wie das aussehen kann.“
       
       16 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /100-Tage-Klimacamp-in-Bremen/!5786347
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=Y3-VTt5CMUM
 (DIR) [3] /Bremer-Plaene-fuers-Klima-reichen-nicht/!5625141
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
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