# taz.de -- Susanne Fischer: Impfen am Scheideweg
       
       > Durch die Hintertür kommt gerade allerlei in Deutschland und verschwindet
       > auch wieder – wie der Stammtisch im Dorf, der über Impfzwang streitet.
       
       Keine Frage, die I-Frage polarisiert. Geimpft oder nicht geimpft?
       Vernünftiges Schlafschaf oder asozialer Trittbrettfahrer? Nützlicher Idiot
       der Pharma-Industrie oder mündiger kritischer Bürger?
       
       Inzwischen kann ich nicht mal mehr in die Dorfpizzeria gehen, ohne dass der
       Nachbartisch implodiert – nicht meinetwegen, nicht wegen Ramazzotti oder
       Sambuca und auch nicht wegen der bedenkenswerten Frage, ob eine Gyros-Pizza
       nicht die fragwürdigste Form kultureller Aneignung seit dem Nudel-Import
       aus China darstellt. Nein, da wo sonst die letzten News des Maschinenrings
       ausgetauscht werden, geht es plötzlich darum, ob Ungeimpfte Nachteile haben
       sollten – haben sie ja sowieso schon, denke ich, denn immerhin sind sie
       nicht gegen Corona geschützt.
       
       Wenn es sogar auf meinem Dorf losgeht, ist es kein Wunder, dass der WDR die
       Impfstrategie „am Scheideweg“ sieht. Die Chefin der US-Seuchenbehörde
       verortet die ganze USA „an einem weiteren Scheideweg in dieser Pandemie“.
       Selbst das biedere Paul-Ehrlich-Institut krönt einen Artikel, in dem
       krankmachende Wortverbindungen vorkommen wie „polybasische
       Furinspaltungsstelle“, mit der lockenden Überschrift
       „SARS-CoV-2-Immunogenität am Scheideweg“, damit überhaupt jemand versucht,
       die Informationen in seine private Furinspaltungsstelle hineinzukriegen.
       
       Der Stammtisch steht derweil am Scheideweg zwischen gepflegt angesäuselt
       und Totalabsturz. Man nimmt einen Scheidebecher nach dem anderen und
       zwinkert dazu schlüpfrig; das heißt, das denken sie da bloß, so am
       Scheideweg zwischen Ex-Dorf-Draufgänger und Greis-to-be; eigentlich wirkt
       es doch eher verzweifelt.
       
       Weil das Bundesinstitut für I-Scheidewege Ehrlich-Institut heißt, glaube
       ich ihm alles sofort, wohingegen „Stiko“ nach hässlichem Piks klingt. Ja,
       „Stiko“ war genau das Geräusch, das die Spritze von sich gab, als sie sich
       tief in meinen Arm bohrte. Es würden sich viel mehr Menschen impfen lassen,
       wenn der Impfstoff in ehrlichen Scheidebechern serviert würde.
       
       Auf der Autobahn geriet ich neulich zwischen zwei Lastwagen der Spedition
       Zufall und der Spedition Schnellecke – also ich wüsste, wem ich mein
       Umzugsgut anvertrauen würde. Genau, dem Paul-Ehrlich-Institut.
       
       Die Autobahn habe ich jetzt durch die Hintertür in diesen Text hineinlaufen
       lassen, weil dieser harmlose Zugang in der politischen Diskussion zurzeit
       noch mehr im Trend liegt als der Scheideweg. Da wir die Hintertür nicht
       abgeschlossen haben, kommt jetzt zur Strafe der Impfzwang hindurchspaziert.
       Jedenfalls fürchten das jene, die auf keinen Fall einen Stiko im Arm dulden
       wollen, aber trotzdem auch künftig auf allen Scheidewegen herumtanzen
       möchten, als gäbe es kein Morgen.
       
       Der Stammtisch war übrigens dafür, Ungeimpften alle Rechte zu entziehen,
       für deren Ausübung eine Impfung empfehlenswert ist. Dann machte er sich
       beschwingt durch die Hintertür davon.
       
       11 Aug 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Fischer
       
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