# taz.de -- Autor Marius Goldhorn: Einschlafen als Protest
       
       > Mit „Park“ gab er sein Romandebüt. Ein Gespräch mit Marius Goldhorn über
       > das Internet, politische Resignation und seine Hubert-Fichte-Psychose.
       
 (IMG) Bild: Marius Goldhorn mag rechte Winkel und Literatur
       
       Vergangenes Jahr hat Marius Goldhorn sein Debüt mit einem Roman gegeben,
       der ungewollt schon im Titel den neuen Corona-Alltag ankündigte: „Park“
       erzählt vom lethargischen Arnold, der wenig tut, außer nachzudenken, im
       Internet abzuhängen und schließlich eine ehemalige Geliebte in Athen zu
       besuchen.
       
       Nach dem Suhrkamp-Erfolg versucht sich Goldhorn mit Roman zwei nun in einer
       Mischung aus magical thinking und Selbsttransformation; sein Held wird zum
       Krieger und Goldhorn gleich mit, so hofft er. Wir treffen den
       Schriftsteller im Berliner Hansaviertel.
       
       Hier wohnt Marius Goldhorn. „Ich mag die rechten Winkel überall“, sagt er
       lächelnd. In Kreuzberg habe er es irgendwann nicht mehr ausgehalten. „Hier
       kann ich richtig hermit-like wohnen.“
       
       Der einsiedlergleiche Goldhorn ist noch nicht ganz dreißig, zurückhaltend,
       beim Sprechen schließt er manchmal die Augen, wobei die Lider flattern.
       Immer wieder lässt er englische Wörter einfließen. Genauso wie bei seinem
       Romanhelden Arnold ist das einfach Bestandteil seines Idiolekts, Resultat
       vieler im eben größtenteils englischsprachigen Internet verbrachter
       Stunden.
       
       Diese Sprache, das Zusammenleben von online und offline, wurde in den
       Kritiken zu „Park“ wohl am häufigsten thematisiert. Arnold „ist ein wahrer
       Smombie (eine Kontamination aus Smartphone und Zombie) und damit der
       Prototyp einer sich in digitaler Dekadenz wähnenden
       Gegenwartsgesellschaft“, [1][befand etwa der Spiegel]. Und klar, wenn es in
       „Park“ heißt: „Arnold blickte ungefähr eine Minute auf den Chat und wartete
       auf die Sprechblase mit den drei Punkten. Odile tippte nicht“, dann
       offenbart das die literarisch selten beschriebene Symbiose zwischen dem
       Menschen und seiner Sklavenmaschine.
       
       Aber drückt sich darin wirklich eine andersartige Sehnsucht aus als etwa
       beim Warten auf die Postkutsche? Goldhorn hat sich über die Rezeption
       seines Romans gewundert. Die Geschichte sei die gleiche, ob mit oder ohne
       Internet, meint er. „Nur weil es neue mediale Räume gibt, fühlt man ja
       nicht anders.“
       
       ## Dieses alte Antifa-Linkssein
       
       Goldhorn denkt überhaupt sehr viel über Räume nach. „Ein Grundgedanke im
       Roman war, herauszufinden, inwiefern politischer Protest in diesen
       simulierten Räumen online überhaupt möglich ist“, sagt er. Dieses „alte
       Antifa-Linkssein“ passe da nicht so recht hinein. Indirekt drückt Goldhorn
       in „Park“ das ganze Dilemma seiner Generation aus, die sich oft schwertut,
       eine politische Heimat zu finden: zu alt für idealistische
       Fridays-for-Future-Demonstrationen und zu spät geboren für jedwedes
       Nachwirken des protestreichen 20. Jahrhunderts. Trotz aller Apathie ist
       „Park“ daher durchaus als politischer Roman zu verstehen. Auch der Titel
       deutet nicht nur auf phlegmatisches Sonnen hin, sondern spielt auf die
       Rolle an, die diese harmlosen Parks in Protesten einnehmen: der Gezipark
       etwa oder der Park in Athen, zu dem Arnold unterwegs ist, bevor er von den
       Straßenunruhen eingeholt wird.
       
       Fast schon zwanghaft liest Arnold zudem vor dem Einschlafen Artikel über
       Kriege und Konflikte. Die Fokussierung aufs eigene Leben ist daher auch
       Ausdruck politischer Hilflosigkeit angesichts einer Immer-gleich-Welt.
       „Einschlafen als Protest finde ich eine sehr spannende Idee“, sagt
       Goldhorn.
       
       Der Schriftsteller ist 1991 in Koblenz geboren. Über seine Jugend gebe es
       nicht so viel zu erzählen, meint er, „außer, dass es mich stark geprägt
       hat, von unserer Wohnung immer auf den Parkplatz mit den Reisebussen der
       Rheintouristen zu schauen“. Man könnte Goldhorn, wenn man wollte, als
       symptomatisch für seine Generation verbuchen: ein melancholischer
       Langzeitstudent, ein Digital Native. „Dabei ist das Internet nicht gut oder
       schlecht, aber es ist ein großer Teil des Problems“, meint er und bezieht
       sich dabei vor allem auf die Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken. „Was
       ich mir wünsche, ist, von Leuten umgeben zu sein, die Gutes tun, ohne davon
       zu berichten.“
       
       Goldhorn wie Arnold kann man sich online gut als Taucher vorstellen, der
       von einem Meer aus Texten, Bildern und Videos verschluckt wird und
       schließlich mit kruden Fundstücken zurück an die Oberfläche kommt. Dass
       diese Fundstücke sich anschließend im Kopf mit Eindrücken aus der Welt der
       Hochkultur vermischen, daraus könne Produktives entstehen, weiß Goldhorn.
       Auch Arnold denkt quasi gleichzeitig über Plastiksouvenirs und Fernando
       Pessoa nach, [2][während er „Green“ von Hiroshi Yoshimura hört]. Cultural
       overload.
       
       „Ich arbeite beim Schreiben viel mit Fremdtext“, sagt Goldhorn. Auch im
       Gespräch existiert Literatur bei ihm selbstverständlich immer nebenher mit.
       Goldhorn begeistert sich für die radikal altruistische Simone Weil,
       zitiert Autor:innen, als seien es Bekannte. „Und ich lese schon sehr,
       sehr gerne Theorie“, sagt Goldhorn, der letzthin in seinem Gedichtband
       „YIN“ die Überschneidungen zwischen Daoismus und Anarchismus verhandelt
       hat. Er habe lange eine Art [3][Hubert-Fichte-Psychose] gehabt, meint er.
       „Ich hatte den Eindruck, alle meine Gedanken hat Fichte auch schon gedacht.
       Die größte Aufgabe, die ich habe, ist, mit meinem Schreiben von Fichte
       loszukommen.“
       
       ## Kontaktaufnahme mit sich selbst
       
       „Park“ war eigentlich als Übung gedacht, meint Goldhorn, der zweite Roman
       würde dann vielleicht publiziert, so hatte er gehofft. Dass das Buch sich
       so gut verkaufe, dass er davon leben könne, liege zudem vor allem daran,
       „dass es als Taschenbuch herausgebracht wurde und man keine 22 Euro zahlen
       muss“, meint er. In „Park“ habe er ja letztlich nur sein Leben
       aufgezeichnet, das „eher langweilige Leben eines Autors“. „Ich habe aber
       auch gar kein Interesse daran, mir irgendeinen Plot auszudenken“, räumt er
       ein. „Mir Gedanken über die Beziehungen zwischen Menschen zu machen und das
       dann konzeptuell abzubilden, damit fühle ich mich extrem wohl.“
       
       Das Schreiben versteht er als Kontaktaufnahme mit sich selbst. „Leben und
       Schreiben verläuft sich ineinander“, erklärt er gestikulierend. „Wenn ich
       etwas erlebe, bricht sich das im Ich und im Schreiben, bricht sich das dann
       noch mal im Er.“
       
       Ob das Konzept auch andersherum funktioniert, dass das Schreiben also auch
       ins Leben hineinsickern kann, das probiert Goldhorn gerade aus. „Ich glaube
       schon an magical thinking, und ich kann nicht immer traurig zu Hause
       sein“, sagt er. „Es reicht nicht aus, nur Symptom oder Opfer seiner Epoche
       zu sein.“
       
       Sein nächster Arnold soll daher dessen Kontrapunkt sein, nicht mehr
       lethargisch, ein Krieger. Dazu müsse auch die dunkle Seite in ihm
       verarbeitet werden, jene Gedanken, die, auf Papier gebracht, immer gleich
       extrem aussehen, die aber trotzdem jeder in Momenten der Wut oder Trauer
       kenne, die so dramatisch dann gar nicht seien.
       
       Trotz allem politischen Pessimismus glaubt Goldhorn nämlich irgendwie an
       die Menschen. „Es gibt Werte, die sind nicht ideologisch, nicht rechts oder
       links, sondern die sind einfach da“, sagt er. Ihn faszinieren
       Anarchismustheorien, da das inhärente Menschenbild immer auf eine Art
       Idealmensch basiere. „Man geht einfach davon aus, dass der Mensch – wenn
       der Druck, die Unterdrückung von außen, wegfällt – kooperationswillig ist.
       Und daran halte ich mich.“
       
       Schriftsteller zu sein sei daher vielleicht gar nicht mal so unnütz:
       Literatur könne helfen, das Leben besser zu ertragen, Gleichgesinnte aus
       längst vergangenen Zeitaltern zu finden. „Literatur als Empathiebooster, so
       sehe ich das“, sagt Marius Goldhorn.
       
       27 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.spiegel.de/kultur/literatur/park-von-marius-goldhorn-die-entdeckung-der-gleichgueltigkeit-rezension-a-82cb5bf1-4a56-4c07-a8a1-f0853668d224
 (DIR) [2] /Ambient-Sounds-aus-Japan/!5778098
 (DIR) [3] /Hubert-Fichte-Reenactment-in-Berlin/!5340879
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Hubernagel
       
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