# taz.de -- Unser gestörtes Verhältnis zur Natur: Ein ganz normaler Nachbar
       
       > Einfach wahrzunehmen, dass eine Welt existiert, in der das Tier Homo
       > sapiens sapiens eine Spezies unter vielen ist, fällt uns wirklich schwer.
       
 (IMG) Bild: Ein Roter Milan nutzt die Erntearbeiten, um aufgeschreckte und freigelegte Nager zu jagen
       
       Die Sonne knallte vom wolkenlosen Himmel, der Wald strahlte in frischem
       Grün, und auf den Weiden brummten die Insekten und Traktoren. Wir
       schleppten für ein paar Tage unsere Rucksäcke über das „Grüne Band“ entlang
       der ehemaligen Staatsgrenze zwischen Bayern und Thüringen. Wie gut, wenn
       der Sohn Biologie studiert: „Das da ist ein Rotmilan!“, sagte unser
       Ältester. Einer? Gleich vier der großen Raubvögel kreisten über uns. Und
       mein Hirn formulierte ganz von selbst die Frage: So viele Rotmilane – wo
       sind denn hier die Windkraftanlagen?
       
       Es gab keine. Und ich war ein bisschen entsetzt über mein Gehirn. Es ist
       offenbar schon so professionell deformiert, dass es diese eleganten Jäger,
       die da so laut- und schwerelos auf uns herabsahen, nur in Verbindung mit
       Problemen denken kann. Rotmilan heißt Tod am [1][Windrad], heißt Gegner der
       Energiewende, heißt Problem, heißt interessante Geschichte. Zum Glück war
       es da zwischen Truckendorf und Görsdorf total langweilig.
       
       Seltsam ist es schon. Wir nehmen Tiere in der Natur und im Stall eigentlich
       nur wahr, [2][wenn sie ein Problem sind oder haben]. Regelmäßig berichten
       wir über die Rote Liste und tote Arten, über Tiere und Pflanzen, die kurz
       vor dem Aussterben stehen oder gerade ausgestorben sind. Bären werden in
       Käfigen missbraucht.
       
       Kühe werden im Leben schlecht behandelt und vor dem Tod gequält. Gefolterte
       Marderhunde und Fledermäuse übertragen Corona. Das alles sind nur Meldungen
       aus den letzten paar Tagen.
       
       ## Das Beste der Natur
       
       Dann nehmen wir die Umwelt noch wahr: wenn sie uns stört oder gefährlich
       wird. Borkenkäfer killen unsere Wälder. Heuschrecken fressen Ostafrika
       leer. Waldbrände töten Millionen von Tieren in Australien. Das Beste, was
       der Natur in unseren Nachrichten passieren kann, sind exotische
       Begebenheiten, etwa die Zikaden, die derzeit die US-Ostküste überfallen,
       nachdem sie 17 Jahre im Boden geschlafen haben.
       
       Einfach wahrzunehmen, dass da draußen und hier drinnen eine Welt existiert,
       in der das Tier Homo sapiens sapiens eine Spezies unter vielen ist, fällt
       uns wirklich schwer. Die Ameisen auf unserem Balkon, die meine Familie
       ausrotten will – gehören die da nicht einfach hin? Nicht, wenn sie über
       unsere Teller laufen, meint meine Familie.
       
       ## Gestörtes Verhältnis
       
       Die Mäuse im Schrebergarten, die Wildschweine an der Joggingstrecke im
       Wald, der Fuchs an den Mülltonnen – könnten wir die nicht einfach in Ruhe
       lassen? Ein gutes Verhältnis zu den Lebewesen um uns herum gibt es wohl
       erst, wenn wir sie weder ausrotten noch knuddeln wollen, sondern sie
       einfach als Nachbarn betrachten, mal nett, mal nervig, aber man muss mit
       ihnen auskommen.
       
       Das gab es natürlich auch auf unserer Tour. Die Frösche in der Pfütze, der
       Hase neben dem Kolonnenweg, die Schaf-Stampede, die uns am letzten Tag
       überflutete. Und dann war da noch dieser Kuckuck direkt über unserem Zelt.
       Morgens um fünf ging das los mit dem Geschrei und hörte gar nicht mehr auf.
       Ein ganz normaler blöder Nachbar.
       
       18 Jun 2021
       
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