# taz.de -- Die Wahrheit: Nesttäuscher mit geheimer Identität
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (123): Der Kuckuck hat
       > nicht wenig mit dem Geheimagenten James Bond zu tun.
       
 (IMG) Bild: Besiedelt weite Teile der Alten und Neuen Welt: der Kuckuck – Vogel des Jahres 2008
       
       Jetzt ist er wieder da. Man hört ihn, sehen tut man ihn jedoch so gut wie
       nie: den Kuckuck. In England wird die Ankunft der Kuckucke (Cuckoos) von
       den Zeitungen gemeldet. Es sind einzelgängerische „Langstreckenzieher“, die
       allerdings überwiegend nachts fliegen. Ihr Winterquartier liegt in Afrika.
       Alt- und Jungvögel fliegen im August los und kehren im Mai zurück. Nach
       einer 7.100 Kilometer langen Reise mit Zwischenstopps überwintern sie im
       Kongo und starten im Februar zurück in ihre Brutgebiete. Ihre Zugrouten
       werden seit einigen Jahren mit Satellitentelemetrie verfolgt.
       
       Die englische Historikerin und Falknerin Helen Macdonald berichtet in ihrem
       Buch „Abendflüge“ (2021), dass unter anderem der British Trust for
       Ornithology (BTO) Kuckucke mit dieser Technik ausrüstet. Wenn sie erfährt,
       dass BTO-Kuckucke als „verschollen“ gelten, denkt sie an „Kriege in
       Übersee“ und fragt sich, „wie diese Kuckucke in unsere überwachungshungrige
       Welt und in die digitalisierten Träume vom netzwerkzentrierten Krieg
       passen“. Es kam in den letzten Jahren wiederholt vor, „dass mit Sendern
       versehene Vögel als Spione gefangen genommen wurden – als lebende Drohnen“.
       
       In Europa gibt es neben dem Gemeinen Kuckuck nur noch den Häherkuckuck in
       Spanien. Der hiesige legt seine Eier in die Nester von Teichrohrsängern,
       Bachstelzen oder Heckenbraunellen, wobei er sie denen der Wirtsvogeleier
       anähnelt. Die Kuckuckskinder schlüpfen schnell und schmeißen als erstes die
       Eier ihrer Wirte aus dem Nest. Umgekehrt weigern sich diese aber oft, das
       fremde Ei auszubrüten – oder sie füttern nur ein paar Tage.
       
       Andererseits hat man beobachtet, dass ein junger Kuckuck, der gerade das
       Nest verlassen hatte, auch noch von verschiedenen Vögeln, die vorbeiflogen,
       gefüttert wurde.
       
       ## Übel riechendes Sekret
       
       Der Häherkuckuck legt seine Eier in die Nester von Rabenvögeln, seine
       Jungen werfen die Eier der Wirtsvögel nicht aus dem Nest, sie beschützen
       das Gelege sogar, wie spanische Forscher 2014 in Science berichteten, indem
       sie bei Annäherung etwa eines Raubvogels ein übel riechendes Sekret
       absondern, und das hilft – statistisch gesehen.
       
       Der Biologe Cord Riechelmann schreibt in seinem Buch „Vögel: Vom Singen,
       Balzen und Fliegen“ (2021), dass die Häherkuckuckseltern die Wirtsvögel
       zunächst täuschen müssen: Das Männchen greift deren Nest zum Schein an und
       lockt sie auf diese Weise davon weg, während das Weibchen blitzschnell ein
       Ei reinlegt. Noch unglaublicher: Die beiden Kuckucke beobachten fürderhin
       „das Gedeihen ihrer Brut und Jungen im fremden Nest und reagieren im Falle
       der Vernachlässigung durch die Wirtseltern heftig“. Woraufhin diese sich
       fürderhin mehr Mühe geben. Beide Elternpaare kannten sich offenbar schon
       länger, so Riechelmann.
       
       Helen Macdonalds Kapitel „Ein Kuckuck im Haus“ handelt von einem Kuckuck
       namens Goo, den der Mitgründer des Inlandsgeheimdienstes MI5, Maxwell
       Knight, zu Hause aufzog. Der später frei fliegende Vogel erwiderte seine
       Zuneigung, flog dann aber schließlich doch in den Süden. Maxwell Knight
       (1900–1968) wurde Vorbild für die Darstellung des Führungsoffiziers „M.“
       von Ian Flemings „James Bond“. Knight war ein Tierliebhaber und schrieb
       viele Tierbücher – das über den „Kuckuck im Haus“ las Helen Macdonald als
       Kind. Nach Ausscheiden aus dem Dienst 1956 wurde er Redakteur für mehrere
       Tiersendungen der BBC.
       
       ## Schmuggler
       
       Für den „Bird-Watcher“ (ein Slangausdruck des britischen Geheimdienstes für
       Spion) Maxwell Knight war die Spionage identisch mit Verhaltensforschung
       und die Kuckucke waren gefiederte Äquivalente des Leiters von
       Infiltrationsagenten: Sie „schmuggeln“ ihre „Chamäleoneier“ ins Nest der
       „Getäuschten“. Beim Aufziehen von Goo verwischten sich für ihn erstmalig
       die Grenzen zwischen Tier und Mensch. Knight hielt viele Wildtiere in
       seinem Haus. Seine Agentin und langjährige Gefährtin Joan Miller schrieb:
       „Maxwell war immer neugierig auf Tiere, aber er gewann sie nie lieb, von
       mir wurden sie dagegen immer aufrichtig geliebt.“
       
       Beim Beschreiben des Verhaltens seines Kuckucks Goo verwendete Knight
       „Begriffe und Kategorien aus seinem Geheimdienstleben: wie Freund, Fremder,
       Betreuer“, schreibt Helen Macdonald, „zudem war der Kuckuck ‚kompetent und
       skrupellos‘, seine geheime Identität nie gefährdet“. Knight war „entzückt,
       dass sich die anfängliche Aggression des flügge werdenden Vogels in
       Zahmheit und absolutes Vertrauen verwandelte … Seine ‚freundschaftlichen
       Avancen‘ dem Kuckuck gegenüber wurden ‚vollständig erwidert‘.“
       
       Er wurde darob unsicher, ob die „‚Kluft zwischen Menschen und anderen
       Tieren … so tief ist, wie manch einer denken mag‘.“ Auf alle Fälle war der
       Kuckuck „das faszinierendste gefiederte Haustier, das er je gehabt hatte“.
       Helen Macdonald ist dagegen in ihrem Kuckucks-Kapitel eher von Knights
       Übertragung der „Secret-Intelligence“ auf die Natur fasziniert als von Goo,
       dem Kuckuck.
       
       ## Sie besiedeln die Alte Welt
       
       Über einen quasi deutschen Vogel heißt es auf der [1][Kuckucks-Seite des
       Nabu]: „Die Familie der Kuckucke (Cuculidae) umfasst rund 130 Arten. Sie
       besiedeln weite Teile der Alten und Neuen Welt. ‚Unser‘ Kuckuck (Cuculus
       canorus) ist die einzige Art in Mitteleuropa. Nur in Spanien und vereinzelt
       auch in anderen Mittelmeerregionen gibt es einen weiteren Verwandten. In
       Deutschland ist der etwa taubengroße Vogel also unverwechselbar. Mit dem
       bekannten und weit zu hörenden Kuckucksruf markiert das Männchen sein
       Revier.“
       
       Ihre Zahl nimmt ab, wegen des Insektensterbens und der Verluste an
       Lebensraum, „möglicherweise kommt es auch auf den Zugwegen und in
       Überwinterungsgebieten zu größeren Nahrungsverlusten, zum Beispiel beim
       großflächigen Einsatz von Giften gegen Heuschreckenplagen“.
       
       Man meint festgestellt zu haben, dass infolge der Klimaerwärmung die
       Insekten immer früher schlüpfen, und auch die Vögel (unter anderem
       Teichrohrsänger, in deren Nester die Kuckucksweibchen gern ihre Eier
       legen), sind laut Bayerischer Rundfunk „längst da“. Die Kuckucke bleiben
       aber bei ihren Rückfluggewohnheiten. Nun wird befürchtet, dass sie zu spät
       kommen – und deswegen immer weniger Nachwuchs bekommen, sie gelten bereits
       als „gefährdet“. Auf der Nabu-Internetseite heißt es: „Der
       Langstreckenzieher kämpft mit den Folgen des Klimawandels.“
       
       Zwar nutzen die Kuckucke zwei Flugrouten in den Süden, aber ihre Wirtsvögel
       können ihnen diese nicht zeigen, die meisten sind sowieso keine Zugvögel.
       Die jungen Kuckucke müssen die Route also kennen bevor sie sie kennen
       lernen. Der BUND Hessen [2][vermerkt lapidar]: „Der Kuckuck legt seine Eier
       in fremde Nester. Den Grund dafür kennt bereits jedes Kind.“
       
       So wie der britische Geheimdienstler Maxwell Knight während des Kalten
       Krieges die jungen Tierliebhaber unter seinen Hörern enthusiastisch
       ermunterte, „Naturdetektive“ zu werden, gibt es jetzt auch hierzulande
       [3][eine Internetseite für „Naturdetektive“] – beim Bundesamt für
       Naturschutz (BfN): „Wenn die Kuckucks aus den Winterferien in Afrika
       zurückkommen, sollten manche Singvögel ihre Nester nicht mehr aus den Augen
       lassen. Denn die Kuckucks sind ein gerissenes Pärchen“, heißt es da.
       
       14 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/artenschutz/kuckuck/index.html
 (DIR) [2] https://www.bund-hessen.de/arten-entdecken/kuckuck/
 (DIR) [3] https://naturdetektive.bfn.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
       ## TAGS
       
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