# taz.de -- Frauen in der Öffentlichkeit: Mein Körper und ich sind schon da
       
       > Eine Frau wird jeden Sommer daran erinnert, dass sie einen Körper hat.
       > Als würde sie sich nicht selbst daran erinnern, ständig.
       
 (IMG) Bild: Beim sogenannten Frauenkörper ist es egal, wie viel oder was er anhat, er wird bewertet
       
       Zu fett, zu muskulös, zu groß, zu klein, zu nackt, zu bedeckt, zu haarig,
       zu geschminkt, zu verschwitzt, zu unsicher, zu laut. Eine Frau wird jeden
       Sommer daran erinnert, dass sie einen Körper hat. Als würde sie sich nicht
       selbst daran erinnern, ständig. Als könnte sie ihrem Körper aus dem Weg
       gehen, wenn er sich monatlich verkrampft und blutet, wenn ihm an den
       empfindlichsten Stellen Haare ausgerissen werden, wenn sich auf Fotos der
       Bauch nach innen zieht.
       
       Die Männer auf der Straße bilden ein Spalier, machen Geräusche, als wollten
       sie einen Hund anlocken, und wenn ein sogenannter Frauenkörper
       hindurchgeht, ist es egal, wie viel er anhat, er wird immer noch ein
       bisschen mehr ausgezogen. Der sogenannte Frauenkörper passt sich an die
       Begebenheiten an.
       
       Er kann stehenbleiben und schimpfen, oder doch lieber Kopfhörer auf und
       Blick aufs Handy, oder die Straßenseite wechseln, oder lächeln und hoffen,
       dass nichts passiert, oder zu Hause schon überlegen, an welchem Outfit die
       Blicke am elegantesten abperlen. Sie hat doch die Wahl, sie ist doch frei,
       der sogenannte Frauenkörper ist schließlich kein Opfer, richtig?
       
       Ich kenne keine Frau, die sich nicht in regelmäßigen Abständen selbst
       verletzt, mit eigenen Worten, mit eigenen Händen, in Gedanken. Wir haben
       das lange geübt, [1][zuerst an den anderen]: Die da zeigt zu viel Haut,
       also ist sie leicht zu haben. Die da zeigt zu wenig Haut, also ist sie
       verklemmt. Die da hat ganz schön zugelegt, also ist sie faul. Die da könnte
       mal ihre Akne abdecken. Dann betrachten wir unseren eigenen Körper in
       allem, was er spiegelt, und plötzlich sind wir jede die da, dabei wollten
       wir doch der sweet spot genau zwischen ihnen sein.
       
       Sie sagt „Ich kann nicht schwimmen gehen, sieh mich an“, obwohl das
       Internet sagt [2][„every body is a bikini body“]. Sie sagt, „ich kann das
       nicht tragen, sieh mich an“, obwohl das Internet sagt, „zieh an, was du
       willst“. Sie sagen, „sieh mich an“, aber am liebsten wollen sie nicht
       angesehen werden, diese Dinge liegen außerhalb der Reichweite von
       reichweitenstarken Sharepics.
       
       Sie haben fast alle Krieg gegen ihren Körper geführt: Rennen bis in die
       Ohnmacht, eine Zahnbürste im Rachen. Sie haben solche Angst, zu viel zu
       sein, dass genug unerreichbar wurde. Sie sind jetzt selbstbewusste Frauen
       und googeln trotzdem „how to lose weight fast“. Keine wird plötzlich sanft,
       wenn der Krieg vorbei ist.
       
       Muss sie das noch schreiben, im Jahr 2021, schon wieder, wo doch jetzt alle
       Körper empowert werden? So viele Hashtags, [3][so viel Befreiung]. Trotzdem
       entscheidet sie sich für die Kopfhörer, trotzdem rät die World Health
       Organisation Frauen „im gebärfähigen Alter“ von Alkohol ab, trotzdem werden
       Abtreibungen verboten und Vergewaltigungen geduldet – es kommt sogar vor,
       dass sie gefeiert werden –, trotzdem steht vor beinahe jedem Adjektiv, das
       sie beschreibt, ein „zu“. Trotzdem soll sie sich schämen für ihren
       Frauenkörper, immer. Sogar dann, wenn sie ihn endlich mag.
       
       24 Jun 2021
       
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