# taz.de -- Neues Album von The Chills: Straucheln und Berappeln
       
       > Die neuseeländische Gitarrenpopband The Chills trotzt persönlichen Krisen
       > – und bietet auf ihrem neuen Album „Scatterbrain“ außerirdisch schöne
       > Songs.
       
 (IMG) Bild: Sieht gediegen aus, ist aber kein reiner Herrenclub: The Chills und Martin Philipps am Tisch
       
       Für jemanden der sich über Jahrzehnte regelmäßig selbst ein Bein gestellt
       hat, läuft es gerade ziemlich rund bei Martin Phillipps. Nicht grandios.
       Das wäre gut 40 Jahre nach dem Start seiner Band The Chills in einer
       kleinen neuseeländischen Studentenstadt namens Dunedin auch ein bisschen
       viel verlangt.
       
       Aber allemal besser, als man nach schwerer Hepatitis-C-Erkrankung,
       jahrelanger Drogenabhängigkeit und ewigem Geheimtippstatus hätte meinen
       können. „Scatterbrain“, das dritte Album, nachdem die Chills vor ein paar
       Jahren überraschend wieder Fahrt aufgenommen haben, ist wieder ein gutes
       geworden, ein ausgezeichnetes sogar.
       
       Ruhiger, dunkler und nachdenklicher als man den keyboardlastigen Pop der
       Chills zuvor oft kannte, aber gleichzeitig so versponnen wie lange nicht
       mehr, klingen die neuen Songs. Dabei tauchte die Band genau so auf: düster
       und verwirrend. „Pink Frost“ feuerte mit gegenläufigen Gitarren- und
       Bassläufen, irritierenden Tempowechseln und seiner außerirdischen Schönheit
       eine interkontinental sichtbare Leuchtrakete ab.
       
       Seht her, sagte dieser extraordinäre Song 1984 dem Rest der Welt: In diesem
       Paradies der Schafzüchter:Innen und Backpacker:Innen kümmert man
       sich nicht um die lauten Gitarren Amerikas oder den dicken Kajalstrich
       Großbritanniens. In Neuseeland hören sie einfach immer weiter Velvet
       Underground und die Byrds und basteln daraus den tollsten Gitarren-Folk-Pop
       des Jahrzehnts.
       
       ## Goldener Junge des Dunedin Sounds
       
       Martin Phillipps war der goldene Junge dieses Dunedin Sounds um Bands wie
       The Clean, The Bats und The Verlaines, ja eigentlich des ganzen, die Szene
       dominierenden neuseeländischen Labels Flying Nun Records. Nur er durfte
       einen Song „Heavenly Pop Hit“ nennen, ohne als Fatzke zu gelten. Am Ende
       wurde es doch eine Achterbahnfahrt: Das US-Majorlabel Warner Brothers, das
       The Chills unter Vertrag nahm, sah nie die erhofften Verkaufszahlen und
       verlor schnell den Spaß an der Band; die Mitglieder wechselten fast so
       schnell wie bei The Fall und das Leben als Hoarder von Plastikspielzeug,
       Comics und Vinyl kann auch anstrengend sein.
       
       „Triumph & Tragedy of Martin Phillipps“ hieß dann auch der vor zwei Jahren
       erschienene sehenswerte [1][Chills-Dokumentarfilm]. Die Musik auf
       „Scatterbrain“ fällt nun eher unter Triumph. Den angenehm bescheidenen
       Triumph einer gestandenen Band. „We weathered the ages and we still stand“,
       heißt es gleich im Auftaktsong, dem kraftvoll vorantrabenden „Monolith“.
       Biografische Symbolik darf unterstellt werden. Folkig mystisch geht es
       weiter mit dem Memento mori „Hourglass“ und der Ode an Phillipps’
       verstorbene Mutter („Caught In My Eye“).
       
       Wie überhaupt Tod und Vergänglichkeit einiges an Raum einnehmen in den zehn
       Songs. Ausstaffiert mit den gewohnt breiten Keyboards und einer
       überraschenden Prog-Pop-Komplexität wie in „You’re Immortal“.
       Schwülstigkeit gerät dabei gelegentlich in Sichtweite, doch die Songs
       drehen vorher immer wieder ab. Martin Phillipps kennt heute seinen Platz:
       Nicht an der Spitze der Charts, aber im Herzen einer lange gewachsenen und
       sehr ansehnlichen Fanbasis.
       
       Die schätzt vor allem diese typischen Chills-Hits. Songs wie „Little
       Aliens“, „Destiny“ oder „Walls Beyond Abandon“ sind leicht, luftig und sehr
       süß. Ausgezeichnetes neuseeländisches Pop-Backwerk eben.
       
       Für den im September anstehenden 40. Geburtstag des Flying-Nun-Labels
       werden längst Ausstellungen konzipiert, Bücher geschrieben und
       Jubiläumskonzerte geplant. Obwohl die Chills schon lange auf anderen Labels
       veröffentlichten und ihr Sound heute weit glatter ist als in den
       Flying-Nun-Jahren, gebührt ihnen dabei ein Ehrenplatz. Kaum eine Band hat
       den eigenwilligen Pop Neuseelands schließlich in mehr Ohren getragen als
       Martin Phillipps und The Chills. „Scatterbrain“ ist das jüngste Beispiel.
       
       4 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=zRnG5rlcUNM
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gregor Kessler
       
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