# taz.de -- Hackerangriffe nehmen weltweit zu: Unsichtbarer Krieg in den Servern
       
       > Pipelines und Krankenhäuser: Cyberangriffe treffen oft sensible Ziele –
       > und die Zahl der Fälle steigt, vor allem wegen der Sicherheitslücken.
       
 (IMG) Bild: Digitaler Angriff, analoge Auswirkungen: Tankstellen-Kund:innen nach Hack auf US-Pipeline Colonial
       
       Die Zahl der [1][Cyberangriffe ist in den letzten Jahren] stetig
       angestiegen. Allein in den vergangenen Monaten war das Thema
       allgegenwärtig: Es gab Benzinengpässe nach Hackerattacken im Norden der USA
       auf die größte US-Pipeline Colonial, der weltgrößte Fleischkonzern JBS
       wurde lahmgelegt, und die Coronapandemie eröffnet neue Ziele für Hacker.
       
       2020 stieg die Zahl der Angriffe in Deutschland um 7,9 Prozent auf 108.500
       registrierte Fälle. Laut BKA nahm die Bedrohung auch qualitativ zu, weil
       die Digitalisierung voranschreitet und „Täter aus der globalen
       Cybercrime-Industrie immer professioneller werden“. Hauptziele seien
       Unternehmen und öffentliche Einrichtungen, da hier die höchsten kriminellen
       Gewinne zu erzielen seien. Die größte Bedrohung stellten laut BKA nach wie
       vor Angriffe mit sogenannter Ransomware dar. Mit dieser Software war auch
       die erwähnte Pipeline Colonial Anfang Mai angegriffen worden.
       
       Bei einer Ransomware-Attacke dringen die Hacker durch Sicherheitslücken in
       die IT-Systeme von Unternehmen ein und verschlüsseln wichtige Daten. Für
       die Herausgabe des Schlüssels verlangen sie ein Lösegeld, das in der Regel
       in der Kryptowährung Bitcoin zu entrichten ist. Oftmals drohen die Täter
       auch mit der Veröffentlichung sensibler Daten.
       
       Die Pipeline verbindet hauptsächlich an der Küste am Golf von Mexiko
       liegende Raffinerien mit dem Süden und Osten der USA. Transportiert werden
       unter anderem Benzin, Dieselkraftstoff und Heizöl, pro Tag 2,5 Millionen
       Barrel (rund 397 Millionen Liter). Das Unternehmen transportiere etwa 45
       Prozent aller an der Ostküste verbrauchten Kraftstoffe und beliefert mehr
       als 50 Millionen Amerikaner.
       
       Immer mehr Menschen begannen, Treibstoff zu horten, an den Tankstellen
       spielten sich turbulente Szenen ab, und der Preis stieg um 4 Prozent auf
       ein Dreijahreshoch von 2,217 Dollar je Gallone (rund 3,8 Liter). Die
       US-Regierung hatte nach dem Hackerangriff einen regionalen Notstand
       ausgerufen.
       
       ## Darkside im Darknet
       
       Aus Verunsicherung [2][bezahlte das Unternehmen das geforderte Lösegeld]
       von 3,6 Millionen Euro. Colinia-Chef Joseph Blount räumte damit erstmals
       öffentlich eine millionenschwere Lösegeldzahlung ein. „Es ist mir nicht
       leichtgefallen“, sagte er dem Wall Street Journal. „Ich weiß, dass es eine
       hochkontroverse Entscheidung war.“ Auch der Fleischkonzern JBS entschied
       sich für eine Zahlung, umgerechnet 11 Millionen Dollar in Bitcoins. Um eine
       weitere Störung zu verhindern und den reibungslosen Betrieb der betroffenen
       Standorte wiederherstellen zu können, hätten sie sich für eine Zahlung
       entschieden, erklärte das in Dallas ansässige Unternehmen.
       
       Schon kurz nach ihren ersten Ermittlungen vermuteten die
       FBI-Ermittler:innen, dass sich hinter den Angriffen eine Hackergruppe
       versteckt. Kurz darauf bekannte sich Darkside zu den Angriffen. Die
       Hackergruppe hat eine eigene Webseite im sogenannten Darknet, das nur mit
       speziellen Internetbrowsern zu erreichen ist und in dem Hosts und Nutzer
       von Webseiten nur sehr schwer ausfindig zu machen sind.
       
       Auf seiner Webseite bekennt sich Darkside zu mehreren Anschlägen, belegen
       lassen sich nicht alle: Viele Unternehmen schweigen über einen vergangenen
       Hackerangriff, um die Debatte über gezahltes Lösegeld zu umgehen und keinen
       Imageschaden zu riskieren.
       
       Darkside mit Sitz in Russland, wie von US-amerikanischen Behörden
       mittlerweile vermutet, erpresst nicht nur selbst, sondern leitet auch
       andere Kriminelle dazu an. Dazu bieten sie ein Paket namens „Darkside 2.0“
       an, das Daten enorm schnell verschlüsselt. Zudem gibt es eine eigene
       „Hotline“, unter der sie die potenziellen Opfer ihrer Kund:innen auf ihre
       wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überprüfen, um die Erpressungssumme
       anzupassen.
       
       Die Hackergruppe zieht zuvor eine genaue Bilanz: Wie viel Druck kann ein
       Hackerangriff auslösen, und wie viel Geld kann verlangt werden, damit es
       eine realistische Chance gibt, dass das Unternehmen schnell zahlt. Zudem
       verfügt die Hackergruppe über ein digitales „Pressezentrum“, in dem
       Mitteilungen über aktuelle Opfer veröffentlicht werden.
       
       ## Digitale Robin Hoods
       
       Die Gruppe sieht sich selbst nicht als kriminell und bescheinigt sich einen
       eigenen Kodex, als moderne Variante von Robin Hood: Ihre schädliche
       Software darf etwa nicht gegen Krankenhäuser, Schulen, Hospize,
       Regierungsbehörden oder gemeinnützige Organisationen verwendet werden.
       
       Außerdem will Darkside das Lösegeld in Teilen an gemeinnützige
       Organisationen spenden. Allerdings wurden solche Spendenangebote bisher
       immer abgelehnt. In einem Statement zur Attacke auf Colonial Pipeline
       distanzierte sich die Gruppe auch von einem politischen Hintergrund: „Wir
       sind unpolitisch, wir beteiligen uns nicht an Geopolitik“, heißt es.
       
       Niemand müsse nach einem Staat suchen, mit dem sich die Gruppe
       zusammengetan habe, um ihre Motivation herauszufinden. „Unser Ziel ist es,
       Geld zu machen, und nicht, der Gesellschaft Probleme zu bereiten.“
       
       Die Konsequenzen des Anschlags auf die Pipeline wären ihnen zuvor nicht
       bewusst gewesen. Um solche Fehler in Zukunft zu vermeiden, will die Gruppe
       nun eine „Moderation“ einführen und jede Firma überprüfen, die von ihren
       Partnern gehackt und erpresst werden soll, „um soziale Konsequenzen in
       Zukunft zu vermeiden“. Das Geld wollten sie aber nicht zurückgeben. Anfang
       Juni gelang es den US-Behörden allerdings, den Großteil einer
       Lösegeldzahlung aufzuspüren. Die FBI-Ermittler:innen konnten einen
       sogenannten Wallet, ein Bitcoin-Profil, der Täter:innen identifizieren
       und somit etwa 2,3 Millionen US-Dollar sicherstellen.
       
       Auch in Deutschland gab es schon Täter:innen mit einem „Gewissen“. Nach
       einer Attacke auf das Computersystem der Düsseldorfer Uniklinik konnte dort
       die Notaufnahme nicht mehr richtig arbeiten. Daten mussten mit Stift und
       Papier oder per USB-Stick übergeben werden. 13 Tage lang fiel ausgerechnet
       dieses wichtige Krankenhaus für die Notfallversorgung aus. Es gab ein
       Erpresserschreiben, das jedoch an die Universität Düsseldorf und nicht an
       die Klinik gerichtet war.
       
       Als die Polizei mit den Hackern Kontakt aufnahm und ihnen sagte, dass sie
       ein Krankenhaus getroffen hätten, gaben sie den Entschlüsselungscode für
       die Rechner kostenlos heraus. Während einer anhaltenden Pandemie sind
       solche Anschläge, trotz nicht bezahltem Lösegeld, beunruhigend. Die Arbeit
       im Homeoffice oder auch Homeschooling kommen als potenzielle
       Sicherheitslücken hinzu.
       
       ## Im Auftrag eines Geheimdienstes?
       
       Seit Sommer 2020 wurden laut BKA vermehrt Angriffe auf Unternehmen und
       öffentliche Einrichtungen registriert, die bei der Bekämpfung der
       Coronapandemie relevant sind. So waren Corona-Impfportale für eine
       Onlineterminbuchung betroffen. Im Dezember 2020 wurde die Europäische
       Arzneimittelagentur EMA mit Sitz in Amsterdam von Hackern angegriffen. Über
       den Computer eines EMA-Mitarbeiters, der zu diesem Zeitpunkt im Homeoffice
       arbeitete, hatten sich die Hacker Zugriff verschafft. Dabei wurde auf
       Dokumente im Zusammenhang mit dem Zulassungsantrag für den Corona-Impfstoff
       von Biontech und Pfizer zugegriffen.
       
       Die EMA hatte den Angriff gemeldet, daraufhin seien „umgehend umfassende
       Untersuchungen eingeleitet worden“. Details sind bis heute nicht
       öffentlich. Zwei Wochen nach dem Angriff teilten die niederländischen
       Sicherheitsbehörden mit, sie gingen davon aus, dass es sich bei den
       Angreifern um staatliche Akteure handelte; Hacker im Auftrag eines
       ausländischen Geheimdienstes oder Militärs. Die Vorgehensweise und die
       eingesetzte Schadsoftware ließen darauf schließen. Mehr ist bis heute nicht
       öffentlich.
       
       Laut Polizeistatistik wurde von den 2020 erfassten 108.500
       Cybercrime-Fällen etwas weniger als jeder dritte aufgeklärt. Die
       Aufklärungsquote blieb damit etwa auf dem Niveau des Vorjahrs. Die Fälle
       allerdings steigen stetig. Dabei erfasst die Statistik nur die der Polizei
       bekannten Fälle, die Dunkelziffer ist höher. Viele Firmen rüsten auf,
       versuchen sich zu schützen, vergrößern ihre IT-Abteilungen, rüsten mit
       Back-up-Servern nach. Doch die Lücken sind immer noch groß, vielen
       Unternehmen mangelt es an Geld für solche Investitionen. Gleichzeitig
       müssen die Systeme ständig aktualisiert werden, um auf dem neuesten Stand
       zu sein.
       
       Das Problem wird größer, solange Hacker:innen der Digitalisierung einen
       Schritt voraus sind. Die meisten Firmen und Institutionen sind nicht
       bereit, in Schutz zu investieren. Auch auf politischer Ebene läuft es
       schleppend. Obwohl die Schadensumme von Cyberangriffen über 100 Milliarden
       Euro pro Jahr beträgt. Das größte Problem: [3][unübersichtliche
       Behördenstrukturen.] 
       
       Über 100 zuständige Behörden gibt es auf europäischer und nationaler Ebene,
       die deutschen Bundesländer kommen noch dazu. Alle machen „irgendwas mit
       Cyber“, kaum jemand kommuniziert miteinander. In der Zwischenzeit vernetzt
       sich die Cybermafia international. Wenn das so weitergeht, werden die
       Sicherheits- und Wissenslücken irgendwann nicht mehr geschlossen werden
       können.
       
       24 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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