# taz.de -- Neutronenaktivität in Tschernobyl: Bewegung unter den Trümmern
       
       > Sensoren messen eine steigende Neutronenzahl im einst havarierten Reaktor
       > von Tschernobyl. Was ist die Ursache dafür?
       
 (IMG) Bild: Irgendwo unter der Hülle des Sarkophags von Tschernobyl regt sich unerwartete Neutronentätigkeit
       
       Mönchengladbach taz | Es rumort im Inneren [1][des vor 35 Jahren
       havarierten vierten Reaktors von Tschernobyl]. Das meldet das US-Fachmedium
       Science auf seinem Portal [2][Sciencemag.org.] Dem Bericht zufolge haben
       Sensoren eine unerwartete, erhöhte Neutronenaktivität unter der 110 Meter
       hohen Schutzhülle gemessen. Wissenschaftler Maxim Saveliev vom ukrainischen
       Institut für Sicherheitsprobleme von Atomkraftwerken (ISPNPP) schließt
       einen weiteren Unfall in dem 1986 explodierten Reaktor nicht aus.
       
       [3][Eine Katastrophe wie damals] befüchtet Saveliev nicht. Es könne zwar zu
       einem Einsturz von instabilen Teilen des über den Trümmern errichteten
       Sarkophags kommen, [4][der offiziell seit 2016 von der zweiten Hülle
       überbaut ist, die tatsächlich erst seit 2018 funktionsfähig ist.] Doch dank
       des immer noch langsamen Anstiegs der Neutronenanzahl – sie soll sich laut
       dem Magazin in den vergangenen 4 Jahren in etwa verdoppelt haben – habe man
       ein paar Jahre Zeit.
       
       Derzeit befänden sich 170 Tonnen radioaktives Uran unter der Hülle, heißt
       es in dem Bericht. Bei der Havarie 1986 hatten sich Brennstäbe, Sand,
       Wasser und Beton zu einem lavaähnlichen Gemisch vereinigt, das in die
       Reaktorräume geflossen war, wo es im Lauf der Zeit zu einem sehr festen
       Stoff, Corium, verhärtete. Die AutorInnen des Berichts gehen aufgrund von
       ISPNPP-Versuchen davon aus, dass die Trockungsprozesse in diesem Corium für
       die erhöhte Neutronenaktivität verantwortlich sind.
       
       „Ohne genau zu wissen, was nun die Ursache für den Anstieg der
       Neutronenzahl ist, ist offensichtlich, dass auch die neue Hülle das Problem
       nicht löst“, sagt Olexi Pasyuk, Direktor der ukrainischen Sektion von Bank
       Watch Network. Sie sei nicht gebaut worden, um Unfälle zu verhindern – das
       könne sie auch nicht. Vielmehr soll sie ermöglichen, dass der havarierte
       Reaktor mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Umwelt rückgebaut
       werden kann.
       
       ## Einhüllen reicht nicht
       
       „Was mich an meisten beunruhigt, ist die Vorstellung, dass die
       Entscheidungsträger meinen könnten, mit der Hülle sei alles gut“, sagt
       Pasyuk. „Und dass sie sich deswegen nicht die Mühe machen, den Reaktor
       zerlegen zu lassen.“ Er hofft, dass die aktuellen Nachrichten noch einmal
       deutlich machen, wie notwendig der Rückbau und die Entsorgung des Reaktors
       sind.
       
       Für den russischen Atomphysiker und AKW-Gegner Andrei Oscharowski wirft der
       Artikel des Wissenschaftsmagazins mehr Fragen auf, als er beantwortet. So
       sei unklar, wie man den Anstieg der Neutronenzahl gemessen habe. Man müsse
       dem aber unbedingt nachgehen. „Die internationale Gemeinschaft muss den
       havarierten Reaktor und die gesamte Sperrzone von Tschernobyl sehr genau
       beobachten“, so Oscharowski.
       
       10 May 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /KGB-Dossier-zu-Tschernobyl/!5762591
 (DIR) [2] https://www.sciencemag.org/news/2021/05/nuclear-reactions-reawaken-chernobyl-reactor
 (DIR) [3] /35-Jahre-nach-Tschernobyl/!5768440
 (DIR) [4] /Verzoegerung-beim-Sarkophag-Neubau/!5497483
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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