# taz.de -- Impfen im Brennpunkt-Viertel: Schlange stehen für den Pieks
       
       > In Bremen-Gröpelingen werden diese Woche vorrangig Eltern kleiner Kinder
       > geimpft. Doch der Andrang ist riesig, auch andere Anwohner*innen
       > kommen.
       
 (IMG) Bild: Hauptsache Stoff: Wer nicht hat, der kriegt ihn noch
       
       Bremen taz | Als die beiden Jungs mit Basecap am Dienstag um zwölf [1][vor
       dem improvisierten Impfzentrum] gegenüber dem Waterfront-Einkaufszentrum
       ankommen, müssen sie sich in keine Schlange einreihen. Noch um halb zehn
       hätten sie lange angestanden, jetzt müssen sie nur ihre Mütter herbei
       telefonieren, denn sie sind erst 16 und brauchen eine erwachsene
       Begleitung.
       
       Ihr Lehrer habe per Whatsapp mitgeteilt, dass sich alle, die in Gröpelingen
       leben, diese Woche im Lichthaus impfen lassen können, erzählt einer der
       beiden. „Gesundheit geht vor“, sagt sein Kumpel, und dass Geimpfte mehr
       Rechte hätten. „Ich will im Sommer zur Familie nach Bulgarien.“
       
       Die beiden sind nicht die einzigen, die ohne offizielle Einladung gekommen
       sind. Die Gesundheitsbehörde hatte kurzfristig ab Donnerstag 2.000 Termine
       [2][über 20 Kindertagesstätten im Stadtteil] verteilen lassen. Auf diese
       Weise soll Menschen ein Impfangebot gemacht werden, „bei denen aufgrund
       ihrer Arbeits- oder Lebensumstände ein deutlich erhöhtes Risiko einer
       Infektion mit dem Coronavirus besteht“.
       
       So definiert die Liste des Robert-Koch-Instituts, welche Personengruppen
       bevorzugt geimpft werden sollen. Gröpelingen ist in Bremen der Stadtteil
       mit den höchsten Infektionsraten. Weil nicht genug Impfstoff für die rund
       37.000 Einwohner*innen da ist, wurden zunächst Eltern kleiner Kinder
       bevorzugt.
       
       Weil unklar war, wie gut das Angebot angenommen werden würde und einige
       Kindergärten zurückgemeldet hatten, dass nur wenige Eltern interessiert
       mitmachen, hatten die Organisator*innen dafür gesorgt, dass sich die
       Botschaft verteilte, es würden auch weitere Personen geimpft. Mit Erfolg.
       
       ## Am ersten Tag überrannt
       
       Am Montag seien sie „überrannt“ worden, erzählt Herwig Renkwitz vom
       Deutschen Roten Kreuz, der das provisorische Impfzentrum leitet. Um 7 Uhr –
       eine Stunde vor Öffnung – hätten die Leute Schlange gestanden, viele mit
       Terminen am Mittwoch oder Donnerstag. Dabei waren die Termine keine festen
       Uhrzeiten, sondern grobe Zeitslots.
       
       Auch am Dienstag – dem Tag, an dem Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard
       (Die Linke) das Projekt der Presse vorstellt – ist der Andrang groß. Die
       Rotkreuz-Mitarbeiter*innen haben zwei Schlangen organisiert. In der
       kürzeren stehen Eltern mit einem Termin der Kita. Nachdem diese
       abgearbeitet ist, kommen die dran, die ohne Einladung gekommen sind.
       Einzige Voraussetzung: Wohnsitz Gröpelingen.
       
       Den vier Männern in Werkskleidung, die offensichtlich von ihrem Chef
       geschickt wurden, teilt Herwig Renkwitz vom Deutschen Roten Kreuz mit, dass
       sie umsonst im strömenden Regen gewartet haben. Sie wohnen nicht einmal in
       Bremen, sondern im Umland.
       
       Über die Hälfte der 2.000 Impfdosen ist am Dienstag schon verimpft. Doch
       Lutz Liffers, behördlicher Koordinator der Bremer Kampagne sagt, auch am
       Freitag werde noch genug Impfstoff da sein. Dabei war bis Sonntagabend
       offen gewesen, ob überhaupt eine einzige Dosis zur Verfügung stehen würde.
       Ursprünglich sollte das Vakzin von Johnson & Johnson gespritzt werden, doch
       am Donnerstag erfuhr die Gesundheitsbehörde, dass dieser ab dieser Woche
       erst ab 60 Jahren empfohlen würde.
       
       Am Donnerstagabend, so erzählt es ein Sprecher der Gesundheitssenatorin,
       sei klar gewesen, dass man auf Moderna umsteigen könne. Nur um dann am
       Wochenende festzustellen, dass die ganze Lieferung fehlerhaft war und nicht
       verimpft werden konnte. Davon betroffen waren alle in dieser Woche
       geplanten Erst- und Zweitimpfungen mit Moderna.
       
       Grünes Licht gab es dann erst am Sonntagabend für den Impfstoff von
       Biontech. Es sollen jetzt sogar noch einmal zusätzliche 1.000 Dosen für die
       Gröpelinger zur Verfügung stehen. Dennoch, sagt der Impfkoordinator Lutz
       Liffers, würden ab Mittwoch nur noch Leute mit Einladung geimpft.
       
       ## „Viele Eltern haben Angst“
       
       Viele von ihnen haben die Einladung von Katharina Kamphoff bekommen. Die
       60-jährige Sozialpädagogin leitet seit 25 Jahren die evangelische
       Kindertagesstätte Seewenjestraße, anderthalb Kilometer vom Lichthaus
       entfernt.
       
       Sie hat am Montagmorgen die letzten 14 von 400 Terminen vergeben und hofft,
       dass sie jetzt noch ein paar mehr bekommt, denn es fragten immer noch
       Eltern nach. 126 Kinder gehen in die Einrichtung, 80 Prozent hätten Eltern
       oder Großeltern, die nicht in Deutschland geboren sind.
       
       Als Lutz Liffers sie am Dienstag gefragt habe, ob sie sich an der Aktion
       beteiligen würde, habe sie sofort zugesagt, erzählt sie. Ohne Rücksprache
       mit ihrem Vorgesetzten. Der hatte der taz noch am Donnerstagvormittag
       versichert, die Leiter*innen seien zu überlastet, das gehe nicht. „Ich
       finde das aber wichtig“, sagt Kamphoff. „Für mich war das gar keine Frage“.
       
       In ihrer Kita höre sie nahezu jede Woche von einem Kind, deren Eltern oder
       nahe Verwandte an Corona erkrankt seien. „Viele haben hier große Angst.“
       Zudem würden einige in Jobs arbeiten, in denen sie mit vielen Menschen in
       Kontakt kämen, an der Kasse im Baumarkt oder als DHL-Fahrer.
       
       Dennoch hätten anfangs nur wenige Eltern den Impftermin haben wollen. „Als
       es hieß, es gebe Moderna, kam Bewegung rein.“ Überredet habe sie niemand
       und auch keine Impfberatung gemacht: „Das ist nicht unsere Aufgabe.“
       Aufgefallen sei ihr, dass keine der zehn afrikanischen Familien das Angebot
       angenommen habe.
       
       Die Gesundheitsbehörde will jetzt die Erfahrungen dieser Woche auswerten.
       Ab Ende Mai, Anfang Juni sollen dann Aktionen in anderen ähnlich
       betroffenen Stadtteilen stattfinden, sagte die Gesundheitssenatorin.
       
       In einer früheren Fassung stand, dass Gröpelingen rund 10.000
       Einwohnerinnen hat. Das trifft auf den Orts- nicht aber auf den Stadtteil
       zu. Dieser ist im Text gemeint und hat 37.000 Einwohnerinnen. Wir bitten,
       den Fehler zu entschuldigen.
       
       12 May 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Corona-Schutz-fuer-sozial-Benachteiligte/!5765625
 (DIR) [2] /Impftermine-von-der-Kita/!5765587
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eiken Bruhn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Armut
 (DIR) Bremen
 (DIR) Impfstoff
 (DIR) Impfung
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Sozialer Brennpunkt
 (DIR) Hausarzt
 (DIR) Bremen-Gröpelingen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Corona-Impfkampagne: Bremen Deutscher Meister
       
       Kurze Wartezeiten und hohe Quoten: Der Stadtstaat Bremen zeigt, wie eine
       Gesundheitskampagne auch Menschen in ärmeren Stadtteilen erreicht.
       
 (DIR) Corona-Schutz für sozial Benachteiligte: Impftermine von der Erzieherin
       
       Da in ärmeren Vierteln das Coronarisiko höher ist, erhalten Bremer Eltern
       ein Impfangebot von der Kita. In Hamburg hält man davon nichts.
       
 (DIR) Impfen in Bremer Brennpunkt-Vierteln: Ärzte am Limit
       
       Hausärzt*innen in Bremens armen Quartieren sollen mehr Vakkzine
       bekommen. Doch die, die impfen, sind bereits am Limit.
       
 (DIR) Hausärztin über Corona im Brennpunkt: „Ich verliere den Kontakt“
       
       Heike Diederichs hat ihre Praxis in Bremen-Gröpelingen – einem armen
       Viertel, in dem die Infektionszahlen hoch sind. Warum? Ein Protokoll.