# taz.de -- Pflegerin über Pflegenotstand und Corona: „Der Markt wird es nicht richten“
       
       > Silvia Habekost arbeitet als Pflegerin in der Anästhesie. Sie kämpft für
       > mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Ein Gespräch zum „Tag der
       > Pflege“.
       
 (IMG) Bild: „Wir können nur aus einer Position der Stärke Druck ausüben“, sagt Silvia Habekost
       
       taz: Frau Habekost, Sie haben vor einem Jahr einen Beitrag in der Analyse &
       Kritik, einer Zeitschrift für Sozialtheorie, geschrieben „[1][Uns wird und
       wurde nicht zugehört]“. Hat sich das geändert?
       
       Silvia Habekost: Eigentlich nicht. Ich merke das auch bei Presseanfragen:
       Da erwartet man, dass wir schildern, wie schrecklich unsere Situation ist,
       dass Patienten gefährdet werden, dass Patienten sterben. Aber der Bericht
       darüber, wie wir uns organisieren und dass wir in dem Fall schon auch
       handelnde Personen sind und aktiv gegen diese ganzen Zustände ankämpfen …
       Kann zwar sein, dass wir das erzählen, aber das senden sie dann nicht.
       
       Sie meinen, dass das zu sehr Opferinszenierung ist? 
       
       Ja, genau. Es gab und gibt viele Aktionen wie „Pflege am Boden“. Wenn wir
       gewerkschaftlich kämpfen und sagen: Hey, Leute, tretet in die Gewerkschaft
       ein, organisiert euch, kommt das in einigen Bereichen nicht so gut an.
       
       In welchen? 
       
       Vor allem bei so manchen Arbeitgebern. Es gibt sicherlich bessere und gute
       Beispiele, aber die Erfahrung, die ich mache, da wird das nicht so gerne
       gesehen.
       
       Können Sie das bitte etwas genauer beschreiben? 
       
       Als wenn die Angst vor uns hätten. Kolleg:innen von mir haben auch
       tatsächlich Angst. Aber da muss ich auch sagen: Tja, Leute, wir müssen uns
       unserer Stärke bewusst sein.
       
       Es ist ja ein Recht, das man hat, sich gewerkschaftlich zu organisieren. 
       
       Ja, natürlich. Aber es wird uns teilweise abgesprochen. Auch die
       Meinungsäußerung. Ich habe doch das Recht, mich gewerkschaftlich zu
       organisieren. Auch im Betrieb. Reden kann ich auch während meiner
       Arbeitszeit. Aber ich kann natürlich auch hinterher meine Kolleg:innen
       ansprechen oder in der Pause. Ich lass mir doch nicht den Mund verbieten!
       Jetzt habe ich den Punkt vergessen, den ich nennen wollte …
       
       … viele haben Angst. 
       
       Genau, viele haben Angst. Aber wir werden gebraucht! Eigentlich müssten wir
       doch die Bedingungen diktieren können. Aber da wird nicht drauf gehört. Da
       habe ich so ein Gefühl, Leute, ihr habt den Schuss nicht gehört. Da redet
       sich die Politik raus.
       
       Inwiefern? 
       
       Leasing im Pflegebereich ist anders als in anderen Bereichen, es ist
       richtig teuer. Aber die Kolleg:innen, die das machen, die schaffen sich
       ihre Bedingungen, die sie haben wollen.
       
       Was bedeutet das, „sich Vorteile zu schaffen durch Leasing“? 
       
       Sie suchen sich die Schichten aus, machen dann frei, wann sie frei haben
       wollen. Und verdienen meistens noch mehr.
       
       Und das führt zur Abwehrhaltung. 
       
       Von der Politik wird es verteufelt, es wird von den Krankenhausleitungen
       und von den Geschäftsführungen verteufelt, weil es halt teuer ist. Dann
       wollen sie es am liebsten verbieten. Dann würden sie die Möglichkeit
       verbieten, sich bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Leasing ist ein
       Teufelskreis: Wenn keine Leasingkräfte mehr bestellt werden und
       gleichzeitig keine Betten gesperrt, keine Operationen abgesagt werden,
       verschlimmern sich die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft noch mehr.
       Und das treibt noch mehr ins Leasing.
       
       Verständlich. 
       
       Sie schaffen es nicht, in den Betrieben die Arbeitsbedingungen zu schaffen,
       wo man Leasing nicht mehr braucht. Die sagen zwar, die wollen sie in den
       Betrieb zurückholen. Aber schaffen keine Anreize dafür, dass die auch
       wieder zurückkommen. Sondern verteufeln uns dafür, dass wir das wirklich
       ändern wollen. Und das verstehen sie nicht. Die Arbeitsbedingungen müssen
       sich ändern.
       
       Wie reagieren Politiker:innen auf Ihre Forderungen? 
       
       Frau Kalayci hat uns letztes Jahr, als wir in Verhandlungen zum
       Corona-Krankenhauspakt waren, gefragt und auch vorgeworfen, warum wir das
       denn nur für Vivantes und die Charité machen. Das muss man sich mal
       vorstellen. Sie macht nichts. Sie lehnt unseren Volksentscheid ab, wo wir
       es für alle Krankenhäuser in Berlin regeln wollten, und fragt uns, wieso
       wir das denn nur für Vivantes und Charité machen.
       
       Wie haben Sie reagiert? 
       
       So was macht mich echt sprachlos. Das sind so Ausflüchte, nichts zu machen.
       
       Sie haben es gerade erwähnt, mit dem Volksentscheid Gesunde Krankenhäuser
       sind Sie gescheitert. Nun ist daraus das Bündnis „Gesundheit statt Profite“
       entstanden. Was ist diesmal anders? 
       
       Auf der juristischen Ebene sind wir gescheitert. Aber mit dem
       Volksentscheid sind wir auch breiter geworden. Man sammelt nicht 50.000
       Unterschriften einfach mal eben so.
       
       Am 12. Mai wollen Sie mit Ihrer „[2][Berliner Krankenhausbewegung]“ am
       Roten Rathaus eine Petition übergeben, in der Sie einen Tarifvertrag
       „Entlastung“, also eine Entlastung per Tarifvertrag, und den Tarifvertrag
       für den öffentlichen Dienst (TVöD) fordern. Was kann man sich darunter
       vorstellen?
       
       Das ist unser Plan to win. Die Petition ist von den Kolleg:innen von
       Charité und Vivantes und Töchter, die machen so ein bisschen mehr als 40
       Prozent der Krankenhausversorgung in dieser Stadt aus. Die Beschäftigten in
       der Pflege und die drumherum arbeiten, sind 12.000 Beschäftigte. Nicht alle
       werden gleich bezahlt. Ich bin schon lange Verdi-Mitglied und habe
       gemeinsam mit anderen diese Bewegung initiiert. Wir wollen einen
       Tarifvertrag für die Entlastung aller Krankenhausangestellten und TVöD für
       die Töchter für Vivantes.
       
       Was bedeutet das genau? 
       
       Das Ziel „Tarifvertrag Entlastung“ fordert verbindliche Vorgaben zur
       Personalbesetzung. Und es braucht Konsequenzen: Wenn diese Vorgaben nicht
       eingehalten werden, gibt es einen Tag frei. Das heißt, das Interesse vom
       Arbeitgeber sinkt, weil er dann freie Tage vergeben muss. Und der TVöD für
       die Töchter von Vivantes.
       
       Also Tochterunternehmen, die eigentlich zum Krankenhaus gehören. 
       
       Genau. Angestellte, die in der Reinigung, der Wäscherei, der
       Essensversorgung arbeiten. Diese ganzen Tätigkeiten haben sie halt entweder
       fremdvergeben oder Tochterfirmen gegründet. Das macht dann eben auch die
       gewerkschaftliche Organisierung von den Kolleg:innen schwieriger. Die
       CFM, die Tochter der Charité, hat jetzt einen Tarifvertrag.
       
       Warum TVöD? 
       
       Das ist halt ein Tarifwerk, was für ganz ganz viele Beschäftigte gilt.
       Urlaubstage, Zulagen, Eingruppierung, das alles in einem extra Tarifvertrag
       zu erarbeiten, das ist wirklich viel Arbeit. Deswegen kann man TVöD nehmen.
       Das ist eine Leitwährung, an der sich viele Tarife orientieren.
       
       Der Tarifvertrag Entlastung fordert auch einen anderen Personalschlüssel.
       Also mehr Pfleger:innen, die weniger Patient:innen versorgen. 
       
       Im Krankenhaus kommt es zu Belastungssituationen, wenn wir nicht genügend
       Leute sind. Und darauf wird keine Rücksicht genommen wird. Wenn im
       Kreißsaal ein Notfall ist und man dringend Unterstützung braucht und
       niemand mehr da ist – da geht es um zwei Menschenleben. Solche Situationen
       kann man nicht zu oft machen.
       
       Sie arbeiten in der Anästhesie. Was für ein Personalschlüssel ist Ihre
       Wunschvorstellung? 
       
       Meine Wunschvorstellung, ja … Es gibt in diesem Sinne keine
       Patientenschlüssel. Eigentlich ein Patient pro Pflegekraft. Du leitest die
       Narkosen in der Einleitung ein, fährst mit den Patienten in den Saal, dann
       ist die Operation, dann machen wir ihn wieder wach und fahren ihn raus.
       Teilweise fangen wir schon an mit der Einleitung, wenn die OP im Saal noch
       gar nicht fertig ist. Dann betreust du aber beide.
       
       Wie kommen Sie damit zurecht? 
       
       Das sind die belastenden Situationen. Ich kann nur einen Patienten
       versorgen. Und wenn es niemand anderes gibt, der das machen kann, liegt es
       in der Verantwortung der Ärzte. Gerade die Situation des Einleitens und des
       Ausleitens ist so ähnlich wie Start und Landung bei Flugzeugen (macht
       Gleitbewegung mit den Armen). Flugzeuge fliegen auch nicht ohne Co-Piloten.
       Das sind die wichtigsten und die gefährlichsten Aspekte in der Anästhesie.
       Es kann halt einfach ganz viel passieren.
       
       Wie wollen Sie ihr Ziel erreichen? 
       
       Der erste Stärketest ist, dass die Mehrheiten der Stationen und Bereichen
       die Petition unterschreiben. Ich zeig ihnen das gleich (Habekost zieht
       einen Schnellhefter aus ihrem Rucksack, darin sind Zettel mit Namen, neben
       denen teilweise grüne Punkte kleben). Die Punkte sind die Unterschriften.
       Es ist eine einzige, die bisher nicht unterschrieben hat. Die gelb
       Markierten sind die Verdi-Mitglieder.
       
       Warum ist es für die Bewegung wichtig, dass Ihre Kolleg:innen bei Verdi
       eintreten? 
       
       Damit wir ernstgenommen werden. Da müssen die Hälfte aller Kolleg:innen
       bei Verdi organisiert sein. Wir können nur aus einer Position der Stärke
       Druck ausüben.
       
       Das ist ein großes Ziel dafür, dass Gewerkschaften heute nicht mehr so
       wichtig sind. 
       
       Wir zeigen, dass Gewerkschaften wichtig sind. Ohne unsere eigene
       gewerkschaftliche Organisierung schaffen wir das nicht.
       
       Wie viele sind in Ihrem Team bei Verdi? 
       
       Na ja, bei uns sind es ungefähr 40 Prozent.
       
       Das war noch nicht immer so? 
       
       Ja, doch. Aber ich arbeite dran. Ob mein Team die 100 Prozent schafft, weiß
       ich nicht, aber von 50 Prozent sind wir nicht so weit weg.
       
       Warum ist Ihnen die gewerkschaftliche Arbeit so wichtig? 
       
       Viele Dinge – wie Arbeitszeit, Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
       erscheinen uns heute so selbstverständlich. Die sind aber alle erkämpft
       worden. Und gerade in den letzten Jahren gibt es Angriffe auf unsere
       Rechte. Ich will aber auch keine Privilegien, sondern ich will, dass wir
       solidarisch miteinander umgehen. Dafür steht Gewerkschaft und dafür steht
       unsere Bewegung – in der Pflege und anderen Bereichen kämpfen wir für
       Besetzungsregeln und in den Tochterfirmen für faire Löhne – im Endeffekt
       soll es keine Tochterfirmen mehr geben – Arbeit im Krankenhaus funktioniert
       nur im Team.
       
       Was ich mich auch frage: Sie schreiben, dass der Markt nichts regelt. Man
       könnte eigentlich meinen, dass eine linke Politik da gut gegensteuern
       könnte. Jetzt haben wir einen rot-rot-grünen Senat. Würden Sie sagen, der
       hat versagt? 
       
       Natürlich können sie auf Landesebene, gerade wenn es kommunale
       Krankenhäuser sind, auch etwas anderes regeln. SPD und Grüne haben ja
       letztendlich diese Krankenhausfinanzierung auf Bundesebene durchgesetzt.
       Was heißt denn linke Politik? Und es gibt aber halt auch bisher, wenn man
       die Bundesebene anguckt, nicht ein richtiges Umdenken in die Richtung. Ich
       erwarte das nicht von der CDU. Aber es könnte wenigstens mal ein paar mehr
       Stimmen von SPD und Grünen geben, die da mal klarer werden.
       
       Inwiefern? 
       
       Die reden wirklich immer viel, aber es tut sich halt wirklich nichts.
       Vivantes ist von der Rechtsform her eine GmbH und die sind genau den
       gleichen Finanzierungsvorgaben untergeordnet wie alle anderen Krankenhäuser
       dieser Rechtsform. Wenn sie Gewinne machen, müssen sie sie nicht abgeben.
       Man muss immer im Hinterkopf behalten: Das sind Krankenkassenbeiträge, die
       da in privaten Konzernen als Gewinne ausgeschüttet werden.
       
       Verwaltung statt Gesundheit. 
       
       Betriebswirtschaft statt Medizin. Der Markt wird es nicht richten. Und
       Profit kann nicht das Ziel von Gesundheitsunternehmen sein. Aber die
       Politik hat das halt so vorgegeben. Das ist der Punkt, der mich kämpfen
       lässt. Es geht hier nicht um den Menschen und die Gesundheit. Wie kann man
       jedes Handeln in diesen Krankenhäusern, nicht nur in den Krankenhäusern,
       aus dem finanziellen Aspekt betrachten? Das macht einen auf Dauer mürbe.
       
       Inwiefern? 
       
       Zum Beispiel: Von der Abrechnungslogik her bekommen die Krankenhäuser mehr
       Geld für den Kaiserschnitt als für eine „normale“ Entbindung. Aber eine
       Frau bei der Geburt zu begleiten, ist natürlich zeit- und
       personalintensiver. Aber das kann es doch nicht sein. Dass das eine Rolle
       spielt. Das spielt ganz oft eine Rolle. Das erlebe ich jeden Tag.
       
       Haben Sie ein Beispiel? Was hätte gestern nicht passieren dürfen, was
       passierte? 
       
       Ein konkretes Beispiel habe ich nicht, ich will ja meinen Job nicht
       verlieren. (lacht) Aber ein bisschen allgemeiner: Ich arbeite ja im OP, in
       der Anästhesie. Es ist ein kostenintensiver Bereich. Natürlich müssen wir
       sehen, dass wir nicht rumtrödeln. Aber man darf den Patienten nicht aus dem
       Blick verlieren. Es gibt ja auch genügend Gründe, so invasive Eingriffe
       durchzuführen. Aber da muss halt vom Patienten her draufgeguckt werden. Und
       nicht: Brauche ich da so und so viele Operationen, um nachher keine Miesen
       zu machen? Würden drei Wochen Physiotherapie vielleicht auch helfen? Aber
       das wird nicht finanziert.
       
       Was treibt Sie denn an, als Pflegerin zu arbeiten? Sie haben ja gerade
       schon erzählt, wie viele Kolleg:innen gehen oder reduzieren. 
       
       Ich mache diese Arbeit gerne. Die Arbeit mit Patient:innen und meine
       Leitungsfunktion. Ich bin stellvertretende Leiterin meiner Abteilung und
       organisiere einfach gerne. Da ist es im Grunde auch fast egal, ob ich das
       auf der Arbeit mache oder in der Freizeit. Da profitiere ich natürlich auch
       davon, wenn ich politische Arbeit mache. Das mache ich schon mein Leben
       lang. Ich war schon immer ein politischer Mensch, habe immer politische
       Arbeit gemacht.
       
       Sie sagen, Sie haben auch andere politische Arbeit gemacht. Welche? 
       
       Ich war nach meiner Ausbildung zwei Jahre in den USA mit Aktion
       Sühnezeichen/Friedensdienste und habe dort
       Zentralamerika-Solidaritätsarbeit gemacht. Als ich wieder in Berlin war,
       habe ich das weitergemacht.
       
       Wie sah diese Solidaritätsarbeit damals aus? 
       
       Na, das war ja in den achtziger Jahren. Wo die Revolution in Nicaragua
       passiert und dann in El Salvador und Guatemala Bürgerkrieg war – von den
       USA finanzierte Kämpfe gegen die Bevölkerung dort. Wir haben halt viel
       Unterstützungsarbeit für die revolutionären Bewegungen gemacht. In meiner
       Zeit in den USA haben wir die gegen die Politik dort mobilisiert und viel
       Aufklärungsarbeit gemacht. Hier war ich weiter aktiv in der
       Solidaritätsbewegung. Die taz war ja auch Teil davon mit der Kampagne
       „Waffen für El Salvador“.
       
       Und dann? 
       
       Dann war ich hier in einer autonomen Frauengruppe. Ich habe nebenher
       Nordamerikastudien und Politik studiert und viel in Richtung Feministische
       Theorie gemacht. Es ist ganz wichtig, Theorie zu haben. Das untermauert ja
       auch die Praxis. Feministisch, antirassistisch, das ist für mich ein Teil
       von dem, wie ich mich sehe. Dann eben auch eher in eine autonome Ecke und
       nicht in eine parteipolitische Ecke. Ich bin nicht in einer Partei und
       werde auch nicht in eine Partei eintreten.
       
       Die Revolution von damals tragen Sie also heute ins Krankenhaus? 
       
       Jetzt ist eindeutig die Phase der Gesundheitspolitik. Auf einer
       gewerkschaftlichen, aber auch auf einer theoretischen Ebene. Für die
       anderen Themen gehe ich halt mit anderen auf die Straße, auf Demos.
       
       Welche Demos? 
       
       Ich bin jetzt bei Unteilbar dabei. Halt solche Sachen.
       Gewerkschaftsgremien, betriebliche Organisierung, Vernetzungsarbeit. Und
       Theorie. Das braucht man einfach.
       
       Was machen Sie, wenn Lohn- und Gewerkschaftsarbeit vorbei ist? 
       
       Wenn es irgendwie geht, gehe ich wandern. Ich gehe gerne schwimmen, spiele
       auch Volleyball und jogge. Sport ist für mich ein wirklich wichtiger
       Ausgleich. Ich fahre auch gerne Fahrrad. Das mache ich gerne im Alltag und
       auch gerne im Urlaub, so Fahrradtouren. Was ich mir jetzt auch schon
       angewöhnt habe, dass ich mir irgendwelche Podcast anhöre und spazieren
       gehe. Also ausgedehnte Spaziergänge mache, um auch von diesem Bildschirm
       wegkomme, das ist ja auch immer ganz wichtig. Und diese Podcasts sind
       ziemlich gut.
       
       Können Sie einen empfehlen? 
       
       Ich höre auf jeden Fall immer dieses Corona-Update. Ich war aber auch schon
       in ein paar Podcasts drin. Hier habe ich auch ein Buch! Ich habe einen
       Flyer mitgebracht. (Habekost reicht einen Zettel, auf der ein Buch beworben
       wird.) So Tage könnten gerne mehr als 24 Stunden haben.
       
       Das klingt so. Ich habe eine Frage, die voyeuristisch klingt, wir hatten
       vorhin schon über die mediale Opferinszenierung der Pfleger:innen
       gesprochen. Aber ich fände es falsch, es nicht zu fragen: Wie sah in der
       Pandemie Ihr Alltag aus? 
       
       Zum einen war da natürlich auch sehr viel Verunsicherung. Im Grunde haben
       wir die Flucht nach vorne angetreten, indem wir es genutzt haben, uns zu
       organisieren. Dieser anfängliche Mangel an Schutzmaterial, das war schon
       belastend.
       
       Mit welchem Gefühl kommen Sie im Moment nach Hause? 
       
       Das ist ganz unterschiedlich. Das ist letztendlich das Reizvolle in diesem
       Beruf. Dass jeder Tag anders ist. Dass fast jede Stunde anders ist und dass
       vor allem jede Schicht anders ist. Manche sind halt total anstrengend.
       Teilweise weil wir zu wenig sind, teilweise weil es so viel Arbeit ist und
       so viele Notfälle sind. Langweilig ist mir echt selten. Eigentlich nie. Mir
       ist eh nie langweilig und auf der Arbeit natürlich gar nicht. Das gehört zu
       dem Beruf dazu. Natürlich gibt es Situationen, die dich dann nicht
       loslassen.
       
       Möchten Sie von so einer Situation erzählen? 
       
       Na, es gibt so Situationen, die einen ein Leben lang nicht mehr loslassen.
       Das hängt dann eher von den Dingen ab, die da passieren. Das ist halt auch
       das Belastende in einer Pandemie. Ich arbeite nicht auf einer
       Intensivstation. Das sind dann die Beschreibungen, die man inzwischen auch
       vermehrt sieht. Das ist aber eben unser Beruf. Aber wenn du an den Punkt
       kommst, wo du merkst: Du kannst diese Arbeit nicht so machen, wie du sie
       machen musst, um den Patient:innen gerecht zu werden, das sind dann die
       Punkte, die einen wirklich zweifeln lassen. Wo man nach einer Schicht
       merkt: Nee, so will ich eigentlich nicht mehr arbeiten.
       
       Was merken Sie in der Anästhesie davon? 
       
       Die Schichten, wo ich dann merke: Ich habe Sachen gemacht, von denen ich
       nicht weiß, wieso wir das mit dem Patienten so gemacht haben? Oder wo wir
       halt zu viele Patient:innen gleichzeitig hatten. Du rennst und rennst
       und kommst nicht dahin, wo du eigentlich hinwillst.
       
       Was ist besonders belastend? 
       
       Wenn man davon zu viele hat und wirklich in so Grenzsituationen kommt und
       merkt, der ist jetzt vielleicht nicht mehr geworden, weil zu wenig Hände da
       waren. Natürlich gibt es auch Sachen, wo man im Nachhinein merkt: Da hätte
       man nichts machen können. Aber so ein Gefühl zu haben, hier, ich hätte was
       machen können, wenn wir mehr Leute gewesen wären, das ist halt, was einen
       immer richtig beschäftigt. Und umtreibt. Was wir nicht haben wollen.
       
       Gibt es denn Tage, an denen Sie zweifeln? Es gibt ja sehr viele
       Pflegekräfte, die überlegen, nach der Pandemie den Job zu beenden. 
       
       Na, ich bin jetzt ja schon zu lange dabei. Ich will noch vier Jahre
       arbeiten, dann ist Schluss. Was mich aber auch dabei hält, ist der Versuch,
       gegen diese Bedingungen und gegen die Politik anzukämpfen. Ich will
       Bedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass es Nachwuchs gibt. Ich kämpfe
       jetzt im Grunde nicht mehr für mich, ich kämpfe jetzt für die anderen.
       
       9 May 2021
       
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 (DIR) Protest der Pflegenden: „Stärke sichtbar machen“
       
       Das Krankenhauspersonal von Vivantes und Charite protestiert. Am
       Freitagabend findet eine Forderungsdiskussion in der Alten Försterei statt.
       
 (DIR) Kritik an neuer Pflegereform: Dumping per Tarifvertrag
       
       Die Pflegereform sei missbrauchsanfällig, sagt Verdi und fordert
       Nachbesserungen. Gerade falsche Gewerkschaften müssten gebremst werden.
       
 (DIR) Tarifkampf in Berlins Kliniken: Pflegende, befreit die Chefetagen!
       
       Pflegekräfte fordern mehr Geld – das nützt dem gesamten Gesundheitssystem.
       Am Mittwoch trat die Berliner Krankenhausbewegung in den Tarifkampf ein.
       
 (DIR) Streik in Berliner Krankenhäusern: „Wir alle haben keinen Bock mehr“
       
       Das Ultimatum läuft: Bessert sich die Lage und Bezahlung in den Kliniken
       nicht, wollen die Beschäftigten streiken. Die Bereitschaft dafür ist groß.
       
 (DIR) Protest der Pflegebranche in Berlin: Keine Kraft mehr
       
       Zum Tag der Pflegenden haben Beschäftigte von Vivantes und Charité den
       Arbeitskampf organisiert. Sie fordern mehr Personal – und drohen mit
       Streik.
       
 (DIR) Soldat:innen-Einsatz in Pflegeheimen: Opa was vom Krieg erzählen
       
       Seit über einem Jahr leisten Soldat:innen „Amtshilfe“ bei der Betreuung
       von Pflegebedürftigen. In Bremen sind damit keineswegs alle glücklich.
       
 (DIR) Bremen spart bei Ärzten und Pflege: Die Kliniken sollen bluten
       
       Mit einer Petition bekämpfen Aktivist:innen den Stellenabbau bei den
       kommunalen Kliniken. Der Konflikt legt auch Streit in der Linkspartei
       offen.
       
 (DIR) Arbeiten im Krankenhaus: „Leiharbeitskräfte verdienen mehr“
       
       Viele Pflegende werden gerade in den Krankenhäusern gebraucht. Meike Jäger
       von Verdi spricht im Interview über die Zwei-Klassen-Systeme in der Pflege.