# taz.de -- Selbstständige in der Pandemie: Die Delle im Portemonnaie
       
       > Den langen Lockdown bezahlen neben dem Staat vor allem Selbstständige.
       > Diese ungleiche Verteilung ließe sich beenden: durch einen Pandemie-Soli.
       
 (IMG) Bild: Freiberufler und Selbstständige haben überwiegend starke bis drastische Einkommensverluste erlitten
       
       Eine repräsentative Umfrage des MDR vom Februar zeigt: 78 Prozent der
       Befragten befinden sich in der gleichen oder sogar in einer besseren
       finanziellen Situation wie 2019. Besonders Beamte, Beschäftigte im
       öffentlichen Dienst, Rentner:innen und viele Festangestellte spüren die
       Krise in finanzieller Hinsicht kaum oder gar nicht.
       
       Aufgrund der zahlreichen Einschränkungen, keine Reisen und Schließungen von
       Restaurants, Theatern, Kinos und Konzerthäusern, bleibt bei dieser Gruppe
       am Monatsende sogar mehr übrig. Ein ganz anderes Bild zeigt sich bei
       freiberuflich Tätigen und Selbstständigen, die überwiegend starke bis
       drastische Einkommensverluste erlitten haben, wie das Vermögensbarometer
       bestätigte.
       
       Waren im ersten Lockdown noch weite Bevölkerungsschichten gleichermaßen von
       Einkommenskürzungen betroffen – im April 2020 bezogen über 6 Millionen
       Kurzarbeitergeld –, so änderte sich die Situation ab November
       grundsätzlich. Im Januar 2021 waren nur noch gut 2 Millionen Menschen in
       Kurzarbeit von insgesamt gut 40 Millionen Erwerbstätigen.
       
       Bei den freien Berufen und Selbstständigen veränderte sich die Lage nach
       fast einem halben Jahr Lockdown in die andere Richtung. In der MDR-Umfrage
       gaben 15 Prozent der Befragten an, ihnen ginge es durch die Coronamaßnahmen
       der Regierung schlechter als im Jahr zuvor. 15 Prozent sind genau der
       Anteil von Selbstständigen und Freiberuflern in Deutschland, etwa 6,5
       Millionen Menschen.
       
       ## Hilfen nur Tropfen auf dem heißen Stein
       
       Diese Gleichsetzung ist stark vergröbert. Unbestritten gibt es auch
       Pandemiegewinner:innen unter den Selbstständigen. Und die immer
       noch über 2 Millionen Angestellten in Kurzarbeit haben mehrheitlich
       Einkommensverluste hinnehmen müssen. Aber von diesen abgesehen, rekrutieren
       sich die finanziellen Verlierer der Pandemie größtenteils aus der Gruppe
       derer ohne Angestelltenverhältnis. Sie tragen neben dem Staat die Hauptlast
       der Kosten des Lockdowns.
       
       Die von der Regierung und dem SPD-geführten Finanzministerium immer wieder
       mit Superlativen versehenen Hilfsmaßnahmen sind nicht selten nur ein
       Tropfen auf dem heißen Stein. Selbst wer diese Hilfen bekommt, muss größere
       Einkommensverluste hinnehmen; [1][Solo-Selbstständige] und Menschen mit
       einer Selbstständigkeit im Nebenerwerb sind oft gar nicht
       anspruchsberechtigt. So muss der von den Pandemiemaßnahmen betroffene
       Erwerbsbereich zuvor mindestens 51 Prozent des Einkommens ausgemacht haben,
       um überhaupt einen Antrag stellen zu können.
       
       Das bedeutet beispielsweise für einen unabhängigen Filmregisseur, der sein
       unregelmäßiges Haupteinkommen mit freier Vortragsarbeit zum großen, aber
       eben nicht hauptsächlichen Teil aufgebessert hat, einen drastischen
       Einkommensverlust, der von keinem Hilfsprogramm aufgefangen wird. Die
       Überbrückungs- und Soforthilfen sind deshalb auch noch nicht einmal zur
       Hälfte abgerufen worden.
       
       Neben dem Staat ist es also hauptsächlich eine Gruppe von Erwerbstätigen,
       die den anhaltenden Lockdown gewissermaßen für alle anderen mitfinanziert.
       Lockdowns schützen uns vor einer Ansteckung. Diesen wichtigen, aber auch
       teuren Schutz vor dem Virus bezahlt die Gesellschaft aber nicht zu
       weitgehend gleichen Teilen. Nur zur Erinnerung: Die Pandemiemaßnahmen sind
       ja keine Naturkatastrophe, sondern Politik, also eine im Konsens getroffene
       Entscheidung. Statt die Erwerbsgrundlage der Selbstständigen und
       Freiberufler zu entziehen, hätte es auch ein anderer Industriezweig sein
       können.
       
       ## Eines wird schlimmer sein als zuvor
       
       Die Pandemie wird enden. Das meiste wird sich wieder normalisieren. Eines
       wird aber schlimmer sein als zuvor. Viele werden ärmer sein und einige
       sogar reicher als zuvor. Diese sich anbahnende gesellschaftliche Teilung
       scheint gerade in der Politik niemanden wirklich zu interessieren.
       
       Eine Corona-Abgabe von Vermögenden lehnen Armin Laschet wie Markus Söder in
       seltener Einigkeit ab. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ist dagegen für
       eine Abgabe, doch viel mehr als der übliche Parteireflex gegenüber
       Vermögenden scheint auch bei der SPD nicht vorhanden zu sein. Hinzu bleibt
       bei einer Vermögensabgabe die Frage, ob das Geld der Reichen nicht nur
       ausschließlich zum Stopfen der Schuldenlöcher genutzt wird.
       
       Demokratischer und gerechter wäre es, wenn jede und jeder Erwerbstätige,
       egal ob Angestellte oder Selbstständiger, sich prozentual gleich an den
       Kosten der Pandemie beteiligen und einen niedrigen einstelligen Prozentsatz
       vom Einkommen abgeben würde. Dieser Pandemiebeitrag würde über die
       Steuererklärung abgerechnet. Wer starke Verluste während der Pandemie
       erlitten hat, zahlt einen geringen Prozentbetrag, bekäme aber aus dem
       gemeinsamen Topf einen größeren Anteil zurück, bis in einer Höhe von 90
       Prozent des Einkommens aus dem Jahr 2019 und bis zum Erreichen eines
       gewissen Gesamteinkommens.
       
       So würde verhindert, dass ein gering verdienender Angestellter eine sehr
       gut verdienende Selbstständige finanziert. Hinzu kommt, dass bei vielen ein
       falsches Vermögensbild von Selbstständigen existiert. Rund ein Viertel von
       ihnen verdient weniger als den gesetzlichen Mindestlohn und der
       durchschnittliche Nettoverdienst aller Selbstständigen liegt in etwa auf
       der Höhe der Angestellten. Denn Selbstständige sind auch Taxifahrerinnen,
       Friseure, Kosmetikerinnen und [2][Künstler].
       
       Natürlich sind auch andere Verteilungsmodelle vorstellbar. Es muss nur
       schnell gehandelt werden. Wenn eine ganze Bevölkerungsgruppe weiterhin
       einseitig für den Schutz einer Gesellschaft herangezogen wird und die
       Regierung nur bedingt Ausgleich schafft, dann wird nicht nur das
       Portemonnaie der Bürger sich unterschiedlich auswölben, auch das
       Gerechtigkeitsempfinden erfährt eine kräftige Delle. Eine gefährliche
       Situation. Denn es wartet bereits eine weitere große Krise, die Klimakrise,
       die von der Gesellschaft bewältigt werden muss.
       
       5 May 2021
       
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