# taz.de -- Nicht infiziert, aber trotzdem krank: Der Coronajunkie
       
       > Jedesmal, wenn ich die Zeitung aufschlage oder den Fernseher anmache,
       > fühle ich mich krank. Nun hat mich mein Arzt auf Medienentzug gesetzt.
       
 (IMG) Bild: Ab in den Keller, sonst wird es zu viel: Corona auf allen Kanälen
       
       Seit der Erfindung des Covid-19, besser gesagt, seit die chinesische
       Laborantin Tsching Pi diese Geißel auf die Menschheit – insbesondere auf
       mich – losgelassen hat, bin ich ständig krank.
       
       Selbst wenn ich mal an einem Morgen ausnahmsweise und wider Erwarten nicht
       ganz so krank aus dem Bett steigen sollte, dann aber den Fehler mache, die
       Zeitung aufzuschlagen, oder den Fernseher einzuschalten, spätestens dann
       liege ich wieder flach.
       
       Jeden Tag aufs Neue werden mir durch die Medien die Ansteckungszahlen, die
       Inzidenzzahlen, die Todeszahlen, aus Deutschland, aus Frankreich, aus
       England, aus Italien, aus Amerika, aus Indien, aus China, aus der ganzen
       Welt, unerbittlich gegen meinen Willen eingetrichtert. Selbstverständlich
       immer in Großbuchstaben und richtig fettschwarz!
       
       Und Deutschland ist nicht bloß Deutschland. Die Ansteckungszahlen, die
       Inzidenzzahlen, die Todeszahlen und die allerneuesten Lockdowns aus Berlin,
       aus Hamburg, aus München, aus Duisburg, aus Hamm, aus Castrop-Rauxel und
       und und. Und natürlich nicht zu vergessen: die dazugehörigen jeweiligen
       Stadtteile.
       
       Glücklicherweise war ich bisher noch nicht an Corona erkrankt, aber dafür
       andauernd krank vor Sorge wegen Corona – und das seit über einem Jahr! Wenn
       ich mich mit Covid-19 angesteckt hätte, hätte ich es längst überstanden. So
       oder so! Aber so – keine Chance auf Genesung.
       
       ## Zu viele Drogen
       
       Mein Arzt Doktor Gutdünken hat bereits kapituliert. Er sagt, er kann mir
       nicht helfen, solange ich Drogen nehme. Ich soll die Zeitung, das Radio und
       den Fernseher aus meinem Leben verbannen. Nicht mal die Sportseiten oder
       die Fußballsendungen darf ich mir reinziehen! Das ist echt hart! Die
       Ersatzdroge Methadon bekomme ich aber auch nicht.
       
       Drogenentzug klappt am besten durch einen radikalen Schnitt, sagt er. Ein
       Coronajunkie muss in den sauren Apfel beißen, die Zeitung abbestellen und
       den Fernseher sofort in den Keller stellen!
       
       Aber dadurch werde ich sie ja doch nicht los. Die Drogen lauern überall und
       werden mir täglich auf dem Silbertablett serviert. Selbst wenn ich
       frühmorgens total verschlafen und nichtsahnend Brötchen holen gehe,
       springen mich von sämtlichen Schlagzeilen mindestens 19 blutrünstige Covids
       an. Ich lande verzweifelt im Bett und die leckeren Brötchen landen im
       Mülleimer.
       
       Gestern, als die 19 blutrünstigen Covids mich wieder total hinterhältig,
       wie sie sind, aus den Schlagzeilen ansprangen, gab ich kontra und sprang
       meinerseits das Zeitungsregal an.
       
       Für fünf Brötchen hatte ich noch nie 235 Euro bezahlt. Nicht mal essen
       konnte ich sie. Die blieben mir wie ’n Felsbrocken im Halse stecken. Dass
       ich den Fernseher in den Keller verbannt habe, war eigentlich auch nicht
       unbedingt hilfreich. Jetzt wohne ich seit zwei Wochen im Keller.
       
       14 Apr 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Osman Engin
       
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