# taz.de -- 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg: Die Rosa-Renaissance
       
       > Eine neue Generation von Aktivist:innen in Lateinamerika entdeckt
       > Rosa Luxemburg für sich. Ihr Geburtstag wird dort mit Theater und Rap
       > gefeiert.
       
 (IMG) Bild: „Rosa ist unsere Komplizin“, sagt Rapperin Karen Pastrana
       
       Am Freitag öffnet das Teatro Calibán, eine feste Größe der linken
       Theaterszene in Buenos Aires, wieder seine Tore. Das strenge
       Coronaprotokoll lässt nur 20 Zuschauer:innen mit Mundschutz zu statt gut
       60 wie zuletzt Ende 2019. An ihrem 150. Geburtstag am 5. März betritt Rosa
       Luxemburg wieder die Bretter, die die Welt bedeuten: Die polnisch-jüdische
       Revolutionärin streitet mit dem argentinischen Antiimperialisten Manuel
       Ugarte.
       
       Die beiden, so viel ist belegt, haben an den internationalen
       Sozialistenkongressen 1904 in Amsterdam und 1907 in Stuttgart teilgenommen.
       Ihre Begegnungen imaginiert und inszeniert der Theaterschauspieler Norman
       Briski, 83, der für sein Polittheater bekannt ist. Seine Frau Eliana
       Wassermann, 43, im Hauptberuf Menschenrechtsanwältin, spielt die Luxemburg.
       Lítero, ein junger Frager und Zweifler des 21. Jahrhunderts mit gelber
       Plastik-Pickelhaube, kommentiert den interkulturellen Austausch mit
       Monologen, die den Gesprächen der beiden Revolutionäre an poetischer und
       politischer Schärfe in nichts nachstehen. „Das Verhalten der Vögel“, so
       heißt das Stück, geht in seine 3. Saison – wenn es die Pandemie erlaubt,
       jeden Freitagabend bis Ende April.
       
       „Rosa legt die Latte sehr hoch, sie denkt die Revolution im Alltag“, sagt
       Eliana Wassermann. „Sie hat sich nicht mit dem Kapitalismus abgefunden. Sie
       ist hochaktuell und nötiger denn je, heute wäre sie sicher Veganerin.
       Entweder siegt Rosa oder der Planet explodiert.“ In Lateinamerika ist Rosa
       Luxemburg so präsent wie nirgendwo sonst auf der Welt. Der Kunstkritiker
       Mario Pedrosa, im Trotzkismus großgeworden und 1980 Mitglied Nummer eins
       von Lula da Silvas unorthodoxer Arbeiterpartei, entdeckte sie bereits nach
       dem Zweiten Weltkrieg für Brasilien.
       
       Im Gefolge der Studierendenbewegungen 1968 ff. wurde Rosas Werk vielfach
       ins Spanische übersetzt. Heute findet man in den Buchläden von Mexiko, São
       Paulo oder Buenos Aires unendlich mehr Luxemburg-Ausgaben als in jeder
       Hauptstadt Europas, Berlin eingeschlossen. Die südamerikanischen Ausgaben
       der Graphic Biography „Red Rosa“ von Kate Evans erschienen früher als die
       deutsche.
       
       ## Die Natur bei Luxemburg
       
       Die jüngste Rosa-Renaissance hängt eng mit dem Erstarken der neuesten
       sozialen Bewegungen zusammen. Im Tagungszentrum Florestan Fernandes [1][der
       Landlosenbewegung MST bei São Paulo] ist der größte Saal nach ihr benannt.
       In ihren Organisationsprinzipien steht die MST zwar Lenin näher als
       Luxemburg, doch so verbohrt wie der preußische Kommunismus war der
       brasilianische nie.
       
       Eine von der MST nach einer Vorlage aus Quito produzierte Radionovela über
       das Leben Rosas, von den Träumen ihrer Kindheit im südostpolnischen Zamość
       bis zu ihrem blutigen Ende im revolutionären Berlin machte vor Jahren in
       ganz Brasilien Furore. In der Kaderschmiede der Landlosen, einem Mekka
       vieler junger Latino-Linker, ist die rote Rosa fester Bestandteil der
       marxistischen Grundausbildung – Querdenker wie der Austrobrasilianer,
       Luxemburgist und Ökosozialist Michael Löwy oder Isabel Loureiro aus São
       Paulo dozieren dort regelmäßig.
       
       Loureiro lernte Deutsch, um über Luxemburg promovieren zu können. Über 30
       Jahre lang hat sie unermüdlich und kreativ das Werk ihres intellektuellen
       Vorbilds propagiert, Hunderte Youtube-Videos zeugen davon. Luxemburg als
       Ökosozialistin avant la lettre zu bezeichnen, sei nicht übertrieben, meint
       Loureiro: „Ihre Verbindung mit der Natur in den Gefängnisbriefen ist ein
       wirklich konstitutiver Charakterzug, ohne den kann man sie nicht
       verstehen.“ Heute stünde sie auf der Seite all jener, „die das harmonische
       Zusammenleben zwischen Mensch und Natur verteidigen, jener, die die
       Vorstellung ablehnen, dass der Mensch das Recht hat, die Natur als
       Ressource um des Profits willen auszubeuten.“
       
       Eine Feministin im heutigen Wortsinn war Luxemburg allerdings nicht, ganz
       im Gegensatz zu ihrer Freundin Clara Zetkin. Über bürgerliche
       Frauenrechtlerinnen machte sie sich lustig, Klassengegensätze überstrahlten
       für die widerborstige Marxistin alles andere. Doch ihre unabhängige
       Lebensführung und ihre Diskussionen auf Augenhöhe mit den Patriarchen des
       europäischen Sozialismus vor dem Ersten Weltkrieg werden auch in
       Lateinamerika bewundert.
       
       ## Ein neuer Feminismus
       
       Am Río de la Plata oder auf den Straßen Santiagos, dem Epizentrum einer
       ausdauernden Revolte gegen Chiles Neoliberalismus samt Pinochet-Verfassung,
       ist Rosa Luxemburg lebendiger denn je. Ihre Überlegungen zu „Massenstreik,
       Partei und Gewerkschaften“ (1906) lesen sich im Kontext der jüngsten
       Massendemonstrationen erstaunlich aktuell, ebenso ihre weit über Marx
       hinausweisenden und daher von ihren Genossen scharf kritisierten
       Imperialismus-Analysen in „Die Akkumulation des Kapitals“ (1913) oder
       „Antikritik“ (1915). Dort finden sich neben spröden volkswirtschaftlichen
       Kapiteln sehr plastische Passagen über die Ausplünderung des kolonialen
       Südens und der Vernichtung traditioneller Gemeinschaften.
       
       Die Einführung „Rosa Luxemburg und die Neuerfindung der Politik. Ein Blick
       aus Lateinamerika“ von Hernán Ouviña erscheint nun in einer Neuauflage, in
       Mexiko, Kolumbien und Chile wurde das Buch auch schon gedruckt. Der
       argentinische Politologe liest Luxemburg als Vorläuferin der
       undogmatischen, antikolonialen und antipatriarchalen Linken von heute, ihre
       Ermordung durch präfaschistische Paramilitärs bringt er mit der tödlichen,
       alltäglichen Gewalt gegen Frauen und Aktivist:innen in Verbindung.
       
       An diesem Samstag hat Rosa ihren großen Tag auf dem Internationalen
       Theaterfestival Von Buenos Aires. Im Garten des Sívori-Museums umrahmen
       fünf mit Luxemburg-Sentenzen modifizierte Songs der Rapperin Karen Pastrana
       mit ihrer Truppe Superpoderosas Crew eine dramatische Lesung von neu
       übersetzten Briefen an Freundinnen und vier Liebhaber: „Rosas
       Revolutionen“.
       
       „Rosa ist unsere Komplizin“, findet Pastrana, deren Eltern aus zwei
       Andenprovinzen stammen. „Mit ihren Freundinnen teilt sie ihre Ängste und
       Schmerzen, sie ist wie wir. Wir wissen, wie wichtig es ist,
       zusammenzustehen.“ Buenos Aires ist die Hochburg eines neuen, gender-,
       generations- und schichtenübergreifenden Feminismus. Eine sehr junge
       Massenbewegung hat jüngst [2][nach jahrelanger Mobilisierung endlich ein
       großzügiges Abtreibungsrecht erstritten].
       
       Claudia Korol, die sich den Doppelauftritt ausgedacht hat, organisiert seit
       Langem Luxemburg-Lesekreise. „Wir Feministinnen wissen: Das Private ist
       politisch“, betont die Volkspädagogin. „Ihre öffentlichen Texte hat Rosa so
       verfasst, dass sie die Arbeiter:innen verstehen konnten. Und in ihren
       sehr intimen Briefen knetet und formt sie Ideen, deren Synthese sich dann
       bisweilen in den präzise formulierten theoretischen Schriften
       wiederfindet.“
       
       Wo liegt bei all dem die Aktualität für die sozialen Kämpfe in
       Lateinamerika? „Wir können von Rosas Methode lernen“, sagt Korol. „Das
       Dilemma Sozialismus oder Barbarei hat sie im ganz konkreten Kontext ihrer
       Zeit entwickelt. Jetzt sind wir dran.“
       
       5 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
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