# taz.de -- Urteil im Lübcke-Mordprozess: Mutlos und bitter
       
       > Der Hauptangeklagte kommt lebenslänglich in Haft. Aber die Antwort auf
       > den rechtsextremen Mord kann nicht allein von der Justiz kommen.
       
 (IMG) Bild: Das Urteil ist gefällt: Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel (M) mit seinen Kollegen
       
       Es ist ein Urteil, das den Betroffenen wehtut. Im Prozess zum Mord an
       Walter Lübcke [1][verurteilt das Gericht den Todesschützen zwar zu
       lebenslanger Haft]. Für einen Messerangriff auf den Iraker Ahmed I. aber
       wird er freigesprochen. Und der Mitangeklagte, ebenso ein Rechtsextremist,
       kommt gänzlich mit einem Freispruch davon. Nur für einen Waffendelikt wird
       er auf Bewährung verurteilt; eine Lappalie.
       
       Die „volle Wahrheit“ und eine gerechte Strafe für die Täter hatten die
       Familie von Walter Lübcke und Ahmed I. zu Beginn des Prozess gefordert. Nun
       bekommen sie nur wenig davon. So funktioniert auch nicht der Rechtsstaat.
       Es geht nicht darum, das Leid der Opfer zu kompensieren. Sondern Straftaten
       der Angeklagten zu ahnden, die als zweifelsfrei erwiesen gelten. Und in
       diesem Prozess gab es viele Zweifel.
       
       Und dennoch ist das Urteil mutlos und bitter. Denn das Gericht hätte
       durchaus anders entscheiden können. Die Bundesanwaltschaft hatte den Weg
       aufgezeigt. Sie warf dem Mitangeklagten Markus H. Beihilfe zum Mord vor,
       forderte dafür knapp zehn Jahre Haft. Für Stephan Ernst wollte sie auch
       eine Verurteilung für den Angriff auf Ahmed I., benannte als Motiv klar
       Rassismus. Und die Ankläger unterlegten dies über Stunden mit Beweisen und
       Indizien.
       
       Das Gericht entschied anders. Damit trifft die harte Antwort des
       Rechtsstaats auf die Ermordung von Walter Lübcke, auf diese historische
       Tat, nur einen der Angeklagten. Der Mord war zwar keine Zäsur –
       rechtsextreme Tötungen gab es vorher wie nachher, vom Oktoberfestattentat
       über NSU, [2][Halle], [3][Hanau] bis zu den mehr als 180 Todesopfern
       rechter Gewalt. Aber mit Lübcke wurde erstmals in der Bundesrepublik ein
       Politiker durch einen Rechtsextremen erschossen. Ein Fanal.
       
       Das Gericht fand dazu keine Worte, ordnete die Tat nicht gesellschaftlich
       ein. Auch das ist befremdlich. Dafür verurteilt es nun einen Einzeltäter.
       Einer, der allerdings so allein nicht war, sondern im Internet, an
       AfD-Stammtischen oder auf einem Aufmarsch in Chemnitz in seinem Hass
       bestärkt wurde. Und es spaziert, wie einst im NSU-Prozess, ein
       mitangeklagter Neonazi, der im Gerichtssaal nichts tat außer schweigen und
       grinsen, fröhlich in die Freiheit. Das dürfte für höhnisches Feixen in der
       rechtsextremen Szene sorgen: Für sie ist dieses Urteil kein Schlag, sondern
       Auftrieb.
       
       ## Weiter offene Fragen
       
       Klar ist auch: Die Antwort auf den Lübcke-Mord kann nicht allein von der
       Justiz kommen. Aber wo ist sie sonst? Nach dem Mord gab es keine
       bundesweiten Demonstrationen, keinen Besuch der Kanzlerin auf der
       Trauerfeier. Es hätte die Politik ins Mark treffen müssen, dass einer der
       Ihren erschossen wurde. Ja, es gab Entsetzen und später auch [4][ein
       Maßnahmenpaket]. Heute aber wirkt die Betroffenheit verblasst. Es ist
       deshalb ein Verdienst, dass CDU-Neuchef Armin Laschet den Fall Lübcke
       zuletzt noch einmal wachrief.
       
       Denn die Fragen, die der Mord aufwirft, sind weiter akut. Wie konnte es
       sein, dass zwei bekannte Neonazis ungestört mit Waffen trainierten? Dass
       sie der Verfassungsschutz aus dem Blick verlor, obwohl sie weiter offen
       Aufmärsche besuchten? Und gab es nicht doch weitere Eingeweihte?
       
       Es sind Fragen, die jenseits dessen lagen, was das Gericht klären konnte.
       Daher ist es richtig und wichtig, dass dies nun ein Untersuchungsausschuss
       in Hessen tut. Aber auch dort werden nicht alle Fragen beantwortet werden
       können. Warum trat niemand dem rechten Hass entgegen, der sich im Internet
       gegen Walter Lübcke aufbaute? Warum stellte sich fast niemand an seine
       Seite? Und warum hatte der Mörder das Gefühl, er handele im Sinne der
       Mehrheit?
       
       Diese Fragen richten sich an die Politik, an die Gesellschaft, an uns alle.
       Und zwar dringlich. Denn dahinter steht eine größere Frage: Könnte diese
       Tat noch einmal geschehen? Die traurige Antwort lautet momentan: ja.
       
       28 Jan 2021
       
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