# taz.de -- Gaunerin in der Altenpflege: Wer ist hier der Teufel?
       
       > Eine Frau, die es den Mafiamännern mal so richtig zeigt! Das könnte
       > freuen in dem Film „I care a lot“. Wäre Marla nicht selbst so ein kaltes
       > Biest.
       
 (IMG) Bild: Ihre Gegner haben nichts zu lachen: Marla (Rosamund Pike) mit Feldstrom (Macon Blair)
       
       Ob Drogenhändler, Auftragsmörder oder Kannibalen – immer wieder hat das
       Kino Möglichkeiten erfunden, solche Figuren trotz ihres Tuns und
       Täterschaft irgendwie sympathisch erscheinen zu lassen. Aber was, wenn der
       Verbrecher kein humoriger alter Menschenfresser ist, der augenzwinkernd
       erklärt, er sehe „einen alten Freund zum Abendessen“, sondern eine kühle
       Blondine, die ihre Opfer noch nicht mal tötet, sondern einfach nur ihrer
       Selbstständigkeit beraubt und sich auf diese Weise Zugang zu ihrem Vermögen
       beschafft?
       
       Es muss die Nähe zur Realität sein, die die Art von Betrügerei, die Marla
       ([1][Rosamund Pike]) betreibt, so besonders verwerflich erscheinen lässt.
       Marla hat sich ein Netzwerk aus willfährigen Ärzten und ungeduldigen
       Richtern zusammengestellt, mithilfe dessen sie ältere Menschen zu
       Pflegefällen erklären lassen kann. Einmal zum Vormund bestellt, weist sie
       die Alten in eines ihrer firmeneigenen Heime ein und verkauft unter dem
       Vorwand, Geld für die Unterbringung erwirtschaften zu müssen, deren Hab und
       Gut.
       
       Nicht dass die Alten in ihren Heimen schlecht behandelt werden – es liegt
       in Marlas Interesse, dass sie so lange leben, wie sie noch Mittel haben,
       die sich Marla aneignen kann. Wenn eines ihres lukrativen Mündel stirbt,
       stellt das für Marla ein Ärgernis dar, denn das Erbe geht dann doch meist
       an andere. Überhaupt, das ist eine Lektion, die man aus „I Care a Lot“
       ziehen kann, müssen in den USA gerade die wohlhabenden Alten Angst davor
       haben, in die Fänge von Menschen wie Marla zu geraten.
       
       ## Einweisung beantragt
       
       Da gesteht zum Beispiel die an sich völlig rüstige Rentnerin Jennifer
       (Dianne Wiest) ihrer Hausärztin eine kleine Gedächtnisschwäche. Schon ruft
       die Ärztin bei Marla mit dem Tipp an, bei Jennifer handle es sich um eine
       allein lebende alte Frau mit großem Haus. Marla recherchiert selbst und
       stellt sicher, dass Jennifer keine nahen Verwandten, dafür aber ein
       erkleckliches Vermögen hat. Und schon wird sie beim Richter vorstellig, um
       eine Einweisung zu erwirken, bevor die arme Jennifer womöglich verunglückt.
       
       Eine tatsächlich vor Verblüffung völlig außer sich befindliche Jennifer
       wird daraufhin von Pflegekräften mit Polizeibegleitung abgeführt, während
       kurz darauf schon Marla deren Haus begeht, um das Inventar zu schätzen. Die
       Lebensnähe dieser Tat schockiert mindestens genauso wie deren Kälte. Ja, es
       hat ähnliche Fälle in den USA gegeben, und nein, „I Care a Lot“ beruht
       nicht auf wahren Ereignissen.
       
       Denn Jennifer, so muss Marla zu ihrem Leidwesen bald feststellen, ist doch
       nicht die alleinstehende rüstige Rentnerin, die sie zu sein vorgab. Ganz im
       Gegenteil; sie hat einen von Peter Dinklage gespielten Sohn, dessen
       geschäftliche Verbindungen von der Art sind, deren Angebote man nicht
       ablehnen kann. Üblicherweise ergreifen Filmhelden an dieser Stelle die
       Flucht, selbst wenn sie zum Typ Antiheld gehören. Nicht aber Marla, was
       ihre Figur erst so richtig interessant macht.
       
       ## Die Arroganz der Mafiosi
       
       Marla scheint die Arroganz der Mafiosi-Drohungen eher noch anzuspornen.
       Egal ob ungehobelte Schlägertypen oder wortgewandte Rechtsanwälte in
       Gestalt von Chris Messina ihr einen entsprechenden „Deal“ aufschwätzen
       wollen, sie will nicht nachgeben. Dass sie das eigene Geschäftsmodell nicht
       als Singlefrau, sondern an der Seite einer zu beschützenden Geliebten (Eiza
       González) verteidigt, verleiht ihr einen zusätzlichen feministischen Touch.
       
       Ein Frauenduo, das es der toxischen Mafia-Männlichkeit mal zeigt! Wäre da
       nicht die grausige Kälte ihres Verbrechens, hilflose alte Menschen zu
       betrügen und einzusperren, man würde auf jeden Fall auf ihrer Seite
       mitfiebern.
       
       Die Alten vor Augen, die Marla gekonnt vom Kontakt mit Angehörigen
       abschirmt, findet man sich als Zuschauer aber in der Lage wieder, dass man
       eher mit dem Mafioso sympathisiert. Zumal [2][Peter Dinklage seinem
       Boss-Typ] das nachvollziehbare Laster eines ausbrechenden Temperaments und
       überhaupt viel Gefühl verleiht. Das Wissen um die Brutalität seines
       Geschäfts hält der Film eher theoretisch, während die Gemeinheit von Marlas
       Tun umso mehr aufstößt, da sie die Gesetzeslage rund um Sozial- und
       Gesundheitsfürsorge ausnützt.
       
       Obwohl J Blakeson, verantwortlich für Regie und Drehbuch, sich eine Menge
       einfallen lässt, um das Duell zwischen dem kühlem Engelsgesicht Marla und
       dem empfindsam-aufbrausendem Mobster Roman spannend zu halten, findet die
       interessantere Auseinandersetzung zwischen den zwei Seelen in der Brust des
       Zuschauers statt: Wer ist hier der Teufel, der Mafia-Mann, der seine Mutter
       beschützt, oder die ehrgeizige Geschäftsfrau, die sich ihm so mutig in den
       Weg stellt? Wem soll man hier den Sieg gönnen?
       
       Dass der Film nach der Hälfte Dianne Wiests Jennifer in ihrem Altersheim
       ganz vergisst, macht die Entscheidung eher noch schwerer. „I Care a Lot“
       ist eine zwiespältige Kombination aus Thriller und schwarzer Komödie, aus
       Moralstück und absolut unmoralischem Genre-Spaß.
       
       19 Feb 2021
       
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