# taz.de -- Mangel an Pflegekräften behebbar: Nur Pflegen ist schöner
       
       > Laut einer Studie ließen sich allein in Bremen 1.500 Pflegekräfte in den
       > Beruf zurückholen, wenn die Arbeitsbedingungen nur besser wären.
       
 (IMG) Bild: Zu oft unter Stress: Pflegerin am Krankenbett
       
       Bremen taz | Deutschlandweit gibt es ein ungehobenes Potenzial von
       mindestens 90.000 Pflegekräften. Das hat die
       Arbeitnehmer*innenkammer Bremen gemeinsam mit dem Forschungszentrum
       für Sozialpolitik der Uni Bremen (Socium) aufgrund einer Befragung von
       ausgestiegenen Pfleger*innen und solchen, die in Teilzeit arbeiten,
       ausgerechnet.
       
       Dass dieses große Potenzial im Moment nicht abgerufen wird, liegt nach
       Einschätzung der Studienautor*innen an den schlechten Bedingungen der
       Arbeit. Mehr als die Hälfte der Teilzeitkräfte würden Stunden erhöhen.
       
       Bei den ausgestiegenen Kräften sind es sogar knapp 60 Prozent, die den
       Beruf wieder ergreifen würden, wenn die Bezahlung oder wenigstens die
       Umstände der Arbeit besser wären. Rund ein Fünftel der Befragten hält es
       sogar für sehr wahrscheinlich Stunden aufzustocken oder in den Beruf
       zurückzukehren – sofern die Bedingungen denn stimmen.
       
       Daraus errechnen die Studienmacher*innen optimistisch ein ungenutztes
       Potenzial von 1.500 Vollzeitäquivalenten allein für Bremen. Daraus würden
       sich für Deutschland Zahlen von zwischen 90.000 und 170.00
       Vollzeitäquivalenten ergeben: „Wie wir finden ein enorm großes Potenzial“,
       sagte Studienleiterin Jennie Auffenberg bei der Vorstellung des Reports.
       
       ## Teufelskreis des Mangels
       
       Das ist es vor allem angesichts des seit Jahren beklagten
       [1][Pflegemangels], der sich nach Einschätzung Auffenbergs selbst
       verstärkt: „Wir brauchen mehr Pflegekräfte, um Pflegekräfte zu gewinnen“,
       so die Sozialwissenschaftlerin. Denn wenn mehr Personal eingesetzt ist,
       dann können Pflegekräfte ihren eigenen Anspruch an qualitativ hochwertige
       Pflege erfüllen, sind zufriedener und steigen seltener aus. Nach
       derzeitigem Stand wird beispielsweise für Bremen bis 2035 eine
       Versorgungslücke von rund 3.000 Pflegekräften erwartet.
       
       Die Probleme für Beschäftige in der Pflege lassen sich klar benennen und
       ließen sich vielfach auch leicht beheben. So rangieren unter den zehn
       wichtigsten Bedingungen der Befragung zufolge eine höhere Wertschätzung,
       mehr Zeit für qualitativ hochwertige Pflege und mehr menschliche Zuwendung.
       Außerdem tue eine Tarifbindung not, eine höhere Bezahlung sowie die
       Garantie, an freien Tagen nicht arbeiten zu müssen.
       
       Überhaupt: verlässlichere Arbeitszeiten. Dabei sind eine höhere Bezahlung
       und Wertschätzung allerdings auch nicht vollständig voneinander zu trennen:
       Denn vom Balkon Beifall gespendet zu bekommen, ist vielleicht mal schön,
       weil es die hohe Verantwortung der Pflegejobs honoriert. Auf Dauer werde
       das Gefühl der Anerkennung aber eher verletzt, „wenn der Lebensunterhalt
       nur knapp mit dem Gehalt bestritten werden kann“, so die Studie.
       
       Entsprechend hatten sich die Pflegekräfte in Hamburg verschaukelt gefühlt,
       als 2019 der Senat eine [2][Imagekampagne] für den Pflegeberuf aufgelegt
       hatte, anstatt Probleme wie Unterbezahlung und miese Arbeitsbedingungen
       anzugehen.
       
       Die Bedeutung fairer Bezahlung bestätigt auch eine Intensivpflegerin aus
       Oldenburg gegenüber der taz. Vor zwei Jahren war sie kurz davor, ihren
       Beruf aufzugeben: „Ich war des Jobs müde. Ich war auch nicht mehr gut. Ich
       war frustriert.“ Nach 25 Jahren im Berufsleben ließ sie sich von einer
       Zeitarbeitsfirma anstellen, die sie nun an Kliniken entsendet.
       
       Seitdem hat sie ein viel höheres Gehalt. Und ist deutlich zufriedener: „Ich
       erfahre endlich Wertschätzung von meinem Arbeitgeber“, sagt sie. Das habe
       sie in 25 Jahren Festanstellung niemals erlebt. Ein weiterer Grund für ihre
       Zufriedenheit sei ein selbstbestimmter Dienstplan und die Tatsache, dass
       sie – im Gegensatz zu ihren festangestellten Kolleg*innen – an freien
       Tagen nicht gezwungen ist, spontan einzuspringen.
       
       Verbesserungswünsche hat sie trotzdem. So gebe es etwa keinerlei
       Möglichkeiten, sich im Falle von sexistischer Diskriminierung zu
       beschweren: „Wissen Sie, was wir für Sprüchen ausgesetzt sind?“
       Diesbezüglich hat die Bremer Studie keine Werte ergeben. „Dazu haben wir
       ein oder zwei Antworten bekommen“, so Auffenberg. Man habe aber auch nicht
       gezielt danach gefragt.
       
       Tatsächlich ist der Pflegenotstand ein Dauerthema, nicht nur in
       Norddeutschlands Großstädten. In Hamburg und Bremen hatten schon im Jahr
       2019 Initiativen versucht, das Problem direktdemokratisch anzugehen. Die
       Idee: Den Bedarf am Patienten auszurichten, so die Begründung der
       Initiatorinnen eines Volksbegehrens gegen Pflegenotstand.
       
       Stattdessen waren vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
       Personaluntergrenzen für pflegeintensive Stationen festgelegt worden. Zwar
       hatten sowohl in Bremen als auch in Hamburg die Initiativen ausreichend
       Unterstützer*innen gefunden, konnten jedoch nicht umgesetzt werden.
       Die Landesverfassungsgerichte sahen die Gesetzgebungskompetenz
       ausschließlich beim Bund.
       
       ## Kritik am Entgeltsystem
       
       „Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege müssen sich
       umgehend und spürbar verbessern“, forderte der Hauptgeschäftsführer der
       Arbeitnehmer*innenkammer Ingo Schierenbeck nun. „Das setzt auch eine
       grundlegende Veränderung der Finanzierungsgrundlagen voraus.“ Hierfür wäre
       es laut Arbeitnehmer*innenkammer wichtig, zum abgeschafften
       Entgeltsystem für Krankenhausaufenthalte zurückzukehren: Früher wurden die
       tatsächlichen Kosten der Klinik-Pflegesätze übernommen.
       
       Das 2003 verpflichtend eingeführte System der Fallpauschalen habe sich
       nicht bewährt. Es verursache sogar Mehrkosten, da es Anreize für nicht
       notwendige Operationen biete. Eine weitere Maßnahme sehen Socium und
       [3][Arbeitnehmer*innenkammer] in der Einführung einer
       Bürgerversicherung, bei der alle Büger*innen einen bestimmten Prozentsatz
       aus der Summe ihrer Einkünfte inklusive Kapitalerträgen und Mieteinnahmen
       einzahlen würden.
       
       Zudem fordern Auffenberg und Schierenbeck eine Begrenzung des Eigenanteils
       in der Pflegeversicherung, sodass die erhöhten Kosten nicht auf
       Patient*innen abgewälzt werden.
       
       Die Intensivpflegerin aus Oldenburg ist stolz auf ihre Kompetenz. Sie
       betont, wie komplex und herausfordernd ihre tägliche Arbeit sei und wie
       wichtig es für sie sei, ihre Patient*innen optimal versorgen zu können.
       Seit sie bei der Zeitarbeitsfirma ist, brennt sie wieder für ihren Beruf:
       
       „Der Job ist super abwechslungsreich und spannend. Es gibt so viele
       Fachbereiche, in denen man arbeiten kann.“ So habe sie sogar schon überlegt
       sich auf den Weg in Abschlussklassen zu machen, um für die Pflegeausbildung
       zu werben. Und ist überzeugt: „Ich würde sicherlich einige Schüler*innen
       motivieren.“
       
       3 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gesundheitsoekonom-ueber-Coronakrise/!5745875
 (DIR) [2] /Fachkraeftemangel-im-Norden/!5651942
 (DIR) [3] https://www.arbeitnehmerkammer.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franziska Betz
       
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