# taz.de -- Covid-Langzeitfolgen bei Fußballspielern: Not am Mann
       
       > Beim VfL Wolfsburg experimentiert man weiter mit Marin Pongračić nach
       > dessen Coronaerkrankung. Das ist unverantwortlich.
       
 (IMG) Bild: Mühseliger Kampf: Pongračić (r.), hier im Zweikampf mit Union-Profi Awoniyi, ist schnell außer Atem
       
       Kennen Sie das Experiment Pongračić? Nun, in der Wissenschaft ist das
       zugegebenermaßen noch kein stehender Begriff. Der Fußball-Bundesligist VfL
       Wolfsburg experimentiert derzeit auf eigene Faust mit seinen neun Spielern,
       die positiv auf Corona getestet wurden. Der Fall des kroatischen
       Innenverteidigers Marin Pongračić sticht dabei heraus. Einem weiteren Test
       am Samstag in dieser speziellen VfL-Versuchsreihe steht nichts mehr im
       Wege. [1][Das versicherte Trainer Oliver Glasner am Donnerstag.] Er wollte
       nicht ausschließen, dass Pongračić wieder in der Startelf gegen RB Leipzig
       steht.
       
       Das Forschungsinteresse an Coronapatienten speist sich beim
       Fußball-Bundesligisten natürlich nicht aus einer wissenschaftlichen
       Verantwortungsethik. Der leitende Experimentator Glasner hat sein Motiv
       kürzlich offen und pointiert auf den Punkt gebracht: „Wir haben Not am
       Mann.“ So musste Pongračić vergangene Woche bei Union Berlin fürs Erste die
       Startelf auffüllen. Nach 15 Minuten bereits, beobachtete Glasner, habe sein
       Verteidiger erschöpft die Arme auf den Knien gehabt wie es ausgepumpte
       Spieler sonst frühstens in der Verlängerung zu tun pflegen. Bis zum
       Pausenpfiff beließ er ihn trotzdem weiter auf dem Platz. Und nun, so
       Glasner, hätten die Ärzte nach einer Untersuchung „vom Zehnagel bis zu den
       Haarspitzen“ für die Partie gegen Leipzig grünes Licht gegeben.
       
       Das Experiment Pongračić wirft einige Fragen auf. Zugunsten des VfL
       Wolfsburg möchte man annehmen, dass man sich bereits vor der Partie in
       Berlin die Einsatzfähigkeit des Kroaten ärztlich hat attestieren lassen.
       Doch wie verantwortungsvoll handeln Ärzte in einer Branche, die ihre
       Qualifikation daran bemisst, wie schnell sie die Profis wieder auf die
       Beine bringen? Mediziner, die im Zweifelsfall nicht Heil-, sondern
       Schmerzmittel verschreiben und mit Trainern zu tun haben, die vom
       „Spielermaterial“ sprechen.
       
       Bislang waren die Folgekosten derartiger Behandlungen bekannt. Jetzt
       experimentiert man ins Ungewisse hinein. Wolfsburgs Trainer Glasner räumte
       ein: „Keiner von uns weiß, wie sich die Infektion über Monate hinweg
       auswirkt.“ Als Manchester City-Profi İlkay Gündoğan nach seiner
       Coronaerkrankung über Ermüdungserscheinungen beim Training klagte, wunderte
       sich der Kölner Kardiologe Dr. Thomas Schramm, wieso man ihn bei diesen
       Symptomen weiter trainieren und spielen lässt. Womöglich haben ihn auch
       dort die Ärzte einer Kopf-bis-Zeh-Untersuchung unterzogen und sich allein
       an deren Werten orientiert.
       
       ## DFL und DFB ist gefordert
       
       Dabei gibt es schon alarmierende Beispiele, in Wolfsburg sogar vor der
       Haustür. Der dortige Eishockeyprofi Janik Möser muss über mehrere Monate
       aussetzen, weil er sich in Folge einer Corona-Erkrankung eine
       Herzmuskelentzündung zugezogen hat. Bei ihm konnte sie zum Glück
       diagnostiziert werden. Leichte Herzmuskelentzündungen dagegen, sagt
       Kardiologe Schramm, könne man bei entsprechenden Fachuntersuchungen nicht
       unbedingt erkennen.
       
       [2][Die Gesundheit stehe an erster Stelle], hat der Wolfsburger Coach am
       Donnerstag gesagt. Er hätte sich nicht beschweren dürfen, wenn darüber
       herzlich gelacht worden wäre. In Wolfsburg ist das Problem der mutwilligen
       Gesundheitsgefährdung allerdings nicht zu lösen. Alle anderen Standorte
       sind ebenso anfällig dafür. Die Deutsche Fußball Liga muss Vorsorge leisten
       und Verantwortung übernehmen. Mit möglichen Spätfolgen von
       Coronaerkrankungen sollten Vereinsärzte nicht allein gelassen werden.
       
       Die DFL und der DFB haben eigenen Angaben zufolge Beträge in Millionenhöhe
       für Studien investiert, die erforschen, wie zahlende Zuschauer mit
       möglichst geringem Ansteckungsrisiko wieder in die Stadien zurückkehren
       können. Über ähnliche Ausgaben zur Erforschung von Spätfolgen bei
       coronaerkrankten Profifußballern hat man noch nichts gehört.
       
       Bis dahin sollte man das Experiment Pongračić einstellen. Ansonsten könnte
       die „Not am Mann“ auf ganz andere Weise ganz groß werden.
       
       15 Jan 2021
       
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