# taz.de -- Wissenschaftlerin über Uni-Lehrpläne: „Curriculum nicht divers genug“
       
       > Rassismuskritik ist die Aufgabe aller Fachrichtungen, sagt die
       > Bildungsforscherin Jennifer Danquah. Bisher hänge sie zu sehr an
       > engagierten Einzelpersonen.
       
 (IMG) Bild: Black-Lives-Matter-Demonstration in Hannover. Ist Rassismuskritik in den Uni-Lehrplänen angekommen?
       
       taz: Jennifer Danquah, mit dem Mord an George Floyd und den darauffolgenden
       Demonstrationen im vergangenen Sommer hat auch in Deutschland eine breitere
       Diskussion über Rassismus stattgefunden – zumindest für einige Monate.
       Kommen diese Debatten an den Universitäten an? 
       
       Jennifer Danquah: Das Thema ist an Universitäten nicht neu. An meiner
       Universität gibt es schon länger eine [1][BIPoC]-Hochschulgruppe und
       innerhalb der Studierendenvertretung ein Referat gegen Rassismus und
       gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Ich glaube, dass Universitäten durch
       Black Lives Matter und den öffentlichen Druck gemerkt haben, dass sie
       nachhaltige strukturelle Veränderungsprozesse einleiten müssen.
       
       Neben der institutionellen Ebene gibt es die der Curricula. Sie sind
       Pädagogin. Kommt Rassismuskritik im Pädagogikstudium vor? 
       
       Mit Blick auf die Bildungsphilosophie beobachte ich, dass das Curriculum
       [2][nicht divers genug aufgestellt] ist. Es werden immer wieder Autoren wie
       Immanuel Kant oder Wilhelm von Humboldt aufgegriffen, andere Theorien von
       nicht-weißen Personen wie die von Gayatri Chakravorty Spivak oder bell
       hooks eher selten. Dabei liefern sie zur Bildungsfrage einen essenziellen
       Input.
       
       Man müsste also vor allem die Literaturauswahl überdenken? 
       
       Rassismuskritik ist eine Praxis, die eingeübt werden muss, damit man sich
       und die eigene Positionierung in der Gesellschaft reflektieren kann. Diesen
       Prozess verstehe ich als eine fächerübergreifende Querschnittsaufgabe, es
       sind also alle Fachrichtungen betroffen, nicht nur die Pädagogik. Ein Weg,
       um Rassismuskritik zu üben, sind sicher Texte. Aber deren Auswahl hängt
       wiederum eng mit den Dozierenden zusammen.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Dozierende zeigen den Studierenden mit Themensetzung oder Literaturauswahl
       auf, was wichtig ist, was sichtbar sein sollte. Sie geben diesen sozusagen
       eine Daseinsberechtigung. Bisher ist es leider oft so, dass Rassismuskritik
       von einzelnen Personen abhängt, die besonders engagiert sind.
       
       Sollten sich auch Jura- oder Medizinstudierende mit Rassismus
       auseinandersetzen? 
       
       Es geht bei Rassismuskritik darum, zu verstehen, dass wir die Welt durch
       eine bestimmte Brille sehen. Dieses Bewusstsein ist für alle Fachrichtungen
       wichtig. Ein simples Beispiel aus dem Alltag: Wenn wir eine Tasse
       anschauen, sehen wir nicht einfach einen Behälter. Es entstehen
       Assoziationen wie Wärme, Gemütlichkeit, Kaffee oder Wachsein, die wir mit
       diesem Gegenstand verbinden. Unsere interpretative Sichtweise auf Dinge
       haben wir von klein auf gelernt. Übertragen wir das auf die Funktionsweise
       von Rassismus, wird deutlich, dass auch Schwarze Menschen aus einem sozial
       konstruierten und angelernten Blick gesehen werden. Wir haben
       beispielsweise gelernt, Schwarzsein und Deutschsein nicht zusammenzudenken
       und verorten Schwarze Menschen außerhalb des Deutschseins. Damit gehen
       rassistische Stereotypenreproduktionen und Ausgrenzungsmechanismen einher.
       
       Geht es nicht um mehr als einen Perspektivenwechsel? Also auch um Fragen
       von Gewalt, Dekolonisierung oder Reparation? 
       
       Es geht darum, den eigenen Blick interpretieren und analysieren zu lernen.
       Und ja, damit geht auch einher, kritisch auf gesellschaftliche Strukturen
       zu schauen, die Funktionsweise von Rassismus zu verstehen und
       Dekolonisierungsprozesse anzuregen.
       
       Wie würde sich die Gesellschaft ändern, wenn Rassismuskritik stärker an den
       Unis verankert wäre? 
       
       Rassismuskritik ist ein Prozess des Umlernens, der ermöglicht, Rassismus
       aufzuzeigen. Also beispielsweise zu erkennen: Hier wird hierarchisiert,
       hier wird homogenisiert und hier wird naturalisiert. Mit weiteren
       Bildungseinrichtungen bildet die Universität zukünftige
       Entscheidungsträger:innen aus. Wurde die Rassismusthematik während des
       Studiums behandelt und Rassismuskritik eingeübt, kann dieses Wissen im
       Beruf angewendet werden. Eine Lehrkraft, die sich in der Universität mit
       Rassismus reflexiv auseinandergesetzt hat, wird zum Beispiel
       Rassismuserfahrungen von Schüler:innen nicht banalisieren. Personal in
       der Erwachsenenbildung, mit der ich mich beschäftige, wird in der
       Programmplanung das Angebot so aufstellen, dass Mehrfachidentitäten
       zugelassen und rassistische Deutungsmuster dekonstruiert werden können.
       
       31 Dec 2020
       
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