# taz.de -- Nachruf auf eine Freundin: Ungebrochene Reiselust
       
       > Etwas ausprobieren, was man vorher so nie gemacht hat. Bewegungsfreiheit
       > und intensive Körperlichkeit. Das ist das Versprechen, dem wir
       > nachreisen.
       
 (IMG) Bild: Sehnsucht nach den Palmen in Indonesien als Synonym für ihre Lebenslust
       
       Ein Fichtenbaum steht einsam 
       
       Im Norden auf kahler Höh’. 
       
       Ihn schläfert; mit weißer Decke 
       
       Umhüllen ihn Eis und Schnee. 
       
       Er träumt von einer Palme, 
       
       Die, fern im Morgenland, 
       
       Einsam und schweigend trauert 
       
       Auf brennender Felsenwand. 
       
       (Heinrich Heine, „Buch der Lieder“)
       
       Als meine Freundin Uschi starb, blieben ihr zwei Wünsche offen:
       
       Sie hätte noch gern weitergelebt, mindestens bis zu ihrem 70sten, und sie
       wäre gern noch einmal nach Indonesien gefahren. Sie liebte das Reisen.
       Nicht um die Ziele dieser Welt abzuklappern, um dort gewesen zu sein,
       sondern aus Lust, zur Belebung der Sinne, zur Entdeckung neuer Genüsse. Und
       Indonesien war für sie die Explosion der Sinne. Die Natur, das Klima, die
       Wärme, die Märkte, die Gewürze,das Essen, die Menschen – sie reiste nicht
       irgendwelchen Vorstellungen oder Klischees hinterher, sondern ließ sich
       emphatisch auf das ein, was sie vorfand, sich leisten konnte. Sie reiste
       mit „leibhaftiger Vernunft“.
       
       Andere Gesellschaften, kulturelle Zusammenhänge erschlossen sich ihr über
       das sinnlich Wahrgenommene, das leibliche Empfinden. Reisen als
       Lebenselexier, Körpererfahrung, Erweiterung, Bereicherung. Überrascht
       werden. Unerwartetes Vergnügen. Etwas ausprobieren, was man vorher so nie
       gemacht hat. Bewegungsfreiheit und intensive Körperlichkeit. Das ist gutes
       Reisen und das Versprechen, dem wir nachreisen.
       
       Die körperliche Erfahrung des Reisens wird im Schneller – Weiter – Öfter
       des überreizten Tourismus immer weniger wahrgenommen und in den
       konsumfreundlichen Angebotshäppchen immer weiter verdünnt. Das Reisen
       verliert seine Libido. Und auch das leibliche Befinden, der Genuss wird
       seiner Geltung beraubt, indem er in touristischer Hochglanzwerbung
       marktschreierisch ausgepriesen wird. Damit droht eine schleichende
       Entleerung der Welt von allem, was sinnlich ansprechen, gefühlsmäßig
       ergreifen und persönlich betreffen kann.
       
       Wenn das Bewusstsein vom Körper abhanden kommt, das ist der schleichende
       Tod, denn ohne Körper gibt es auch kein Bewusstsein. Für Uschi war das
       Reisen ein kraftvoller Akt der Lebendigkeit. Die Sehnsucht nach den Palmen
       Indonesien ein Synonym für ihre Lebenslust.
       
       Der Tod, das ist die kühle Nacht, 
       
       Das Leben ist der schwüle Tag. 
       
       Es dunkelt schon, mich schläfert, 
       
       Der Tag hat mich müd’ gemacht.
       
       Über mein Bett erhebt sich ein Baum, 
       
       Drin singt die junge Nachtigall; 
       
       Sie singt von lauter Liebe, 
       
       ich hör’ es sogar im Traum.
       
       (Heinrich Heine)
       
       17 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Edith Kresta
       
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