# taz.de -- Parteitag der Grünen: Comeback des Grundeinkommens
       
       > Die Grünen beschließen auf einem digitalen Parteitag ihr neues
       > Grundsatzprogramm. Bekennen sie sich zu einem bedingungslosen
       > Grundeinkommen?
       
 (IMG) Bild: Setzen lieber auf Märkte statt auf Revolution: Robert Habeck und Annalena Baerbock
       
       Berlin taz | Die Grünen werden auf ihrem Parteitag am Wochenende ein neues
       Grundsatzprogramm beschließen – und damit ihre wichtigsten Leitideen für
       die nächsten Jahre. Eine entscheidende Debatte steht in der Sozialpolitik
       an: Bekennt sich die Ökopartei zu einem bedingungslosen Grundeinkommen,
       kurz: BGE – oder nicht?
       
       Der Bundesvorstand um Annalena Baerbock und Robert Habeck hat sich bereits
       klar dagegen positioniert. Er wirbt in seinem Vorschlag fürs Programm für
       eine sanktionsfreie Grundsicherung, die Hartz IV ersetzen soll. „Mit der
       Garantiesicherung überwinden wir Hartz IV“, heißt es im Vorstandsentwurf.
       Sie schaffe die Möglichkeit zu sozialer und kultureller Teilhabe. Dieser
       Weg gibt den bisherigen Stand der grünen Programmatik wieder.
       
       Für ihn hat sich Parteichef Habeck persönlich starkgemacht. Im November
       2018 skizzierte er in einem Papier die Eckpunkte für eine grüne
       Garantiesicherung, die gänzlich anders aussähe als Hartz IV: Die Sanktionen
       für säumige Arbeitslose würden abgeschafft, der Regelsatz für Erwachsene
       von 432 auf 603 Euro im Monat steigen. Arbeitslose dürften mehr von ihrem
       Vermögen behalten als bisher und auch mehr Geld dazuverdienen.
       
       Das grüne Konzept setzt also auf Anreize statt auf Bestrafung. Der Bedarf
       der Garantiesicherung würde von den Ämtern allerdings wie bisher geprüft,
       nur arme Menschen und Arbeitslose bekämen sie ausgezahlt.
       
       ## Weg vom Zwang der Lohnarbeit
       
       Teile der Grünen möchten nun einen Schritt weitergehen. Mehrere Anträge für
       den Parteitag fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen. „Es braucht ein
       neues Sicherheitsversprechen, das nachhaltig gerecht ist und sozialen
       Ausgleich schafft“, argumentierte etwa das Basismitglied Baukje
       Dobberstein. „Dies soll über ein Grundeinkommen für alle erreicht werden.“
       Jenes solle ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Gegenleistung ausgezahlt
       werden, müsse existenzsichernd sein und gesellschaftliche Teilhabe
       ermöglichen.
       
       Seine Fans versprechen sich viel vom Grundeinkommen. Es könne das komplexe
       System der deutschen Sozialleistungen ersetzen, gebe allen Menschen
       Sicherheit und ermögliche Selbstverwirklichung frei vom Zwang der
       Lohnarbeit. Wer genug hat von seinem Job, könnte sich zum Beispiel erst mal
       ein Sabbatical nehmen – um dann etwas Neues zu lernen.
       
       Bei den Grünen wird seit Längerem über diese schöne Vision gestritten.
       Schon 2007 diskutierten Delegierte eines Parteitags in Nürnberg die Idee –
       und verwarfen sie mit knapper Mehrheit. Aber bis heute gibt es eine starke
       innerparteiliche Strömung, die das Konzept befürwortet.
       
       Auch Parteichef Habeck hegt Sympathien für ein Grundeinkommen. Schon 2010
       dachte er in seinem Buch „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“ über ein
       Grundeinkommen nach, das nur an eine einzige Bedingung geknüpft ist: sich
       weiterzubilden. Dass er diese Idee nicht mehr offensiv vertritt, ist auch
       seiner Rolle als Vorsitzender geschuldet, in der er für die ganze Partei
       sprechen muss.
       
       ## Verein verlost Grundeinkommen
       
       Die Coronapandemie verschaffte der Debatte Rückenwind. Vielen Menschen
       wurde in den vergangenen Monaten bewusst, wie zerbrechlich vermeintliche
       Sicherheit sein kann.
       
       Eine [1][Petition] für ein Grundeinkommen in der Coronakrise wurde von fast
       500.000 Menschen unterzeichnet. Der [2][Verein „Mein Grundeinkommen“]
       lobbyiert seit Längerem für die Idee – und sammelt per Crowdfunding Geld.
       Wenn 12.000 Euro zusammengekommen sind, wird ein Grundeinkommen von 1.000
       Euro monatlich für ein Jahr verlost. Das Projekt ist erfolgreich: Gerade
       sammelt der Verein Geld für die 690. Verlosung.
       
       Dass sich die Fans des Grundeinkommens auf dem Parteitag durchsetzen, ist
       dennoch eher unwahrscheinlich. Ihr Sieg würde den grünen Kurs der
       vergangenen Jahre konterkarieren, der auf die Weiterentwicklung der
       Grundsicherung setzt. Außerdem wäre der Bundesvorstand brüskiert. Es ist
       schwer vorstellbar, dass die Delegierten dies kurz vor dem
       Bundestagswahlkampf in Kauf nehmen.
       
       Chancenreicher ist ein Antrag, den Sven Lehmann formuliert hat, der
       sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Lehmann wirbt wie der
       Bundesvorstand für die grüne Garantiesicherung, will sich aber an der
       „Leitidee eines bedingungslosen Grundeinkommens“ orientieren. Sein Antrag
       schlage eine Brücke zwischen dem Vorstand und den BGE-Befürwortern, sagte
       Lehmann der taz. Mit Blick auf die gesellschaftliche Debatte fügte er
       hinzu: „Die Grünen sollten dieser Bewegung die Hand reichen.“ Lehmanns
       Linie wird von mehreren Bundestagsabgeordneten und über 170
       UnterzeichnerInnen unterstützt.
       
       ## Was geht mit Schwarz-Grün?
       
       Dass die Grünen ihre Ideen zu einer weitreichenden Hartz-IV-Reform in einer
       schwarz-grünen Bundesregierung ab 2021 verwirklichen, ist unwahrscheinlich.
       Die Union hält eisern an den Sanktionen für Arbeitslose fest – und lehnt
       auch große Regelsatz-Erhöhungen ab. „Wir schreiben unser Grundsatzprogramm
       nicht, um der CDU zu gefallen“, betonte Lehmann. „Es geht um unsere grünen
       Leitideen für die nächsten zwanzig Jahre.“
       
       Auf dem Grünen-Parteitag, der von Freitag bis Sonntag tagt, wird nicht nur
       über das Grundeinkommen gestritten. Bei diversen Themen wird es
       Entscheidungen geben. Immer geht es auch um die Frage, wie radikal die
       Grünen sein wollen, etwa beim Umgang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen.
       
       Der Bundesvorstand will an der Leitlinie von Paris festhalten, die
       Erderhitzung auf „deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad, zu
       begrenzen“. Diese Formulierung lässt einen gewissen Spielraum. Die
       Bundesarbeitsgemeinschaft Energie fordert einen härteren Kurs: Die Partei
       möge sich an dem Ziel orientieren, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu
       begrenzen, heißt es in ihrem Antrag. Das wäre eine Festlegung, die radikale
       Umsteuerungen nötig macht.
       
       Auch kapitalismuskritische Töne finden sich. Mehrere Anträge fordern, den
       Begriff „Marktwirtschaft“ im Grundsatzprogramm zu streichen – und zum
       Beispiel durch „sozial-ökologisches Wirtschaften“ zu ersetzen. Auch die
       Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum wird infrage gestellt.
       
       ## Revolutionäre Töne von der Jugend
       
       Die Grüne Jugend fordert etwa ein Wirtschafts- und Finanzsystem, „das
       planetare Grenzen (...) in den Mittelpunkt des Wirtschaftens stellt.“
       Bundessprecher Georg Kurz sagte der taz, dass selbst in einer globalen
       Pandemie lieber Unternehmen gerettet würden als Menschen. Dies sei kein
       Zufall, sondern folge den marktwirtschaftlichen Zwängen von Wachstum und
       Profitmaximierung. „Wir müssen unsere Produktionsweise vom Kopf auf die
       Füße stellen und Stück für Stück mit Marktlogiken brechen.“
       
       Es darf bezweifelt werden, dass sich dieser revolutionäre Sound durchsetzt.
       Baerbock und Habeck setzen lieber auf die Kreativität der Märkte, auf
       Technologieoffenheit und grünes Wachstum.
       
       Bundesgeschäftsführer Michael Kellner verwies am Mittwoch darauf, dass es
       1.300 Änderungsanträge gegeben habe. Der dreitägige Parteitag wird wegen
       der Coronapandemie komplett digital organisiert. „Das wird der größte
       Parteitag der grünen Geschichte“, sagte Kellner. Es sollten auch Menschen
       erreicht werden, die sonst nicht zu Parteitagen der Grünen kämen.
       
       19 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.change.org/p/finanzminister-olaf-scholz-und-wirtschaftsminister-peter-altmaier-mit-dem-bedingungslosen-grundeinkommen-durch-die-coronakrise-coronavirusde-olafscholz-peteraltmaier-bmas-bund-hubertus-heil?redirect=false
 (DIR) [2] https://www.mein-grundeinkommen.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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