# taz.de -- Der Hausbesuch: Der letzte Kämpfer
       
       > Als Eckardt Heukamp nach Lützerath zog, war ihm klar, dass er nicht lange
       > bleiben kann. Wegen der Kohle unter seinem Hof wird er von RWE
       > vertrieben.
       
 (IMG) Bild: Die Bagger sind schon bedrohlich nah: Eckardt Heukamp vor seinem alten Hof
       
       Wer wissen will, wie das ist mit der Macht der großen Konzerne und der
       Ohnmacht der Menschen, der kann Eckardt Heukamp in Lützerath fragen.
       
       Draußen: Das kleine Dorf [1][Lützerath] besteht aus Backsteinhäusern. Kaum
       eines ist mehr bewohnt. Die Fenster und Türen gegenüber von Eckardt
       Heukamps Hof sind mit Brettern zugenagelt. Er lebt in einem Geisterdorf.
       „FCK RWE“ steht auf den Scheiben einer Bushaltestelle, die nicht mehr
       bedient wird. Am Ortsausgang Karottenfelder. Ein gigantischer
       Braunkohlebagger frisst sich durch die Landschaft.
       
       Drinnen: Wer auf Heukamps Hof will, muss mit einem eisernen Türklopfer
       klopfen. Er hängt an einem grünen Hoftor, dessen Farbe sich langsam löst.
       Der „Wachtmeisterhof“ ist alt. Zwischen 1265 und 1802 war er ein Klosterhof
       von Zisterzienserinnen. Das heutige Wohngebäude stammt von 1763. Als
       Haustür dient heute noch eine geteilte Tür, eine „Klöntür“.
       
       Gehen oder bleiben: Lützerath soll dem Tagebau weichen. „Im September 2021
       sollen die letzten hier raus sein. Dann fangen sie an, die Bäume
       auszureißen und die Häuser abzutragen.“ Ursprünglich sei die bergbauliche
       Inanspruchnahme 2019 geplant gewesen, so habe es in einem Antrag gestanden,
       den RWE ihm zukommen ließ. „Das verschiebt sich immer weiter.“ Hoffnung
       habe Heukamp wenig. Gerade im Dunkeln, wenn die Scheinwerfer in die Nacht
       hineinleuchten, sei zu sehen, wie bedrohlich nah der Bagger ist.
       
       Der letzte Kämpfer: Alle anderen im Dorf haben mit RWE verhandelt, sind
       schon weg oder werden noch gehen. Heukamp ist der Einzige, der sich
       weigert, sich mit RWE zu einigen und zu verkaufen. „Ich bin der Letzte, der
       noch nicht unterschrieben hat“, sagt Heukamp. Obgleich er weiß, dass er
       sonst vermutlich geräumt wird. Schließlich würde man wohl nicht um ihn
       herumbaggern, sagt er. Wahrscheinlich würden ihn Polizisten aus dem Haus
       tragen. „Der Staat hat die Macht“, sagt Heukamp.
       
       Bergrecht: Der Abriss macht ihm Angst. „Die Juristen haben mir gesagt, ich
       hätte keine Chance. Ich kann nicht mehr klagen, weil ich ein
       Enteignungsverfahren habe. Der Zeitraum sei zu kurz.“ Das Bergrecht habe
       eben einen hohen politischen Stellenwert. „Es darf den Eigentümer
       enteignen, wenn das für die Allgemeinheit notwendig ist.“ Dabei sei genau
       das angesichts erneuerbarer Energien fragwürdig. „Wir brauchen die
       Braunkohle eigentlich nicht mehr.“
       
       Tag X: Auf Tag X bereitet Heukamp sich nicht vor, noch nicht. Er schlafe
       schlecht und überlege, ob er doch noch auf RWE eingehen soll, wie ihm
       Freunde und Bekannte raten. Je früher man unterschreibe, desto mehr Geld
       erhalte man von RWE für die Grundstücke, darum seien die meisten
       verhandlungsbereit. Das, was er vom Staat im Falle der Enteignung bekäme,
       sei deutlich weniger als die Entschädigung von RWE. Ein Argument, um sich
       zu fügen, ist das für Heukamp nicht.
       
       Alternativen? Er könnte in ein Neubaugebiet ziehen so wie andere
       Dorfbewohner, die bereits umgesiedelt wurden. Aber Heukamp sagt: „Da fehlt
       der Charakter der alten Ortschaften.“ Einen Hof in Brandenburg habe RWE ihm
       angeboten. Dort habe es ihm aber nicht gefallen. Manchmal überlege er
       jedoch schon, die Gegend zu verlassen. „Man hat das hier immer vor sich:
       die Gruben, die immer weiterwachsen.“ Aber lieber würde er irgendwann
       wieder in seinem alten Elternhaus wohnen, das unweit des Hofes liegt. Doch
       das soll ebenfalls weg.
       
       Aufwachsen: 1964 geboren, lebte Heukamp bis zu seinem dritten Lebensjahr in
       [2][Keyenberg], einem Nachbarort, das wie Lützerath zu Erkelenz gehört und
       das ebenfalls abgerissen werden soll. Heukamps Eltern zogen nach Lützerath
       und bauten dort ein Haus, das umringt ist von Wiesen mit alten Bäumen.
       Derzeit kommen dort Aktivistinnen und Aktivisten unter. Der Hof, auf dem
       Heukamp heute lebt, ist schon seit Generationen in Familienbesitz. Er hat
       ihn von seinem Vater übernommen, der ebenfalls Landwirt war.
       
       Zwischendurch weg: Mit seiner damaligen Lebensgefährtin wohnte Heukamp 15
       Jahre in dem Erkelenzer Stadtteil Borschemich, 2000 bis 2015. Dort suchte
       er Ruhe. „Ich wollte mit meiner Mutter nicht den Krach haben. Die kam immer
       auf den Hof und störte mich.“ Doch auch in dem heute zerstörten Borschemich
       hatte er ein Enteignungsverfahren wegen der Kohle. Auch hier war er unter
       den Letzten, die unterschrieben haben.
       
       Ein Pragmatiker: Heukamp entschied pragmatisch. Er wusste, dass er in
       Lützerath noch ein paar Jahre wohnen könnte. Also kam er wieder. In einem
       kleinen Zimmer stehen noch die Umzugskartons. Alles im Haus wirkt
       provisorisch, zusammengewürfelt.
       
       Schmerz: Der „Sterbeprozess einer Ortschaft“ ist etwas Schmerzhaftes. „Es
       hat mich emotional sehr mitgenommen, aus Borschemich wegzugehen, fünfzehn
       Jahre sind ja schon was.“ Jetzt sei es noch schlimmer. „Das ist hier noch
       mal intensiver geworden, weil man hier ja auch aufgewachsen ist.“
       
       Jugend: Heukamp besuchte in Keyenberg die Grundschule, die Realschule in
       Erkelenz. „In den 70ern war hier in dem Ort noch viel Leben. Da waren auch
       viele Jugendliche hier“, sagt er über Lützerath. Damals lebten dort noch
       knapp hundert Menschen. „Dann hat sich das ausgedünnt.“ Viele junge Leute
       seien woanders hingezogen, sahen für sich keine Zukunft in der
       Landwirtschaft. Andere gingen wegen der Braunkohle. „Die Umsiedlung ist
       seit fünfzehn Jahren im Gange.“
       
       Glück: Heukamp geht es vor allem um die Natur. Er hängt an den alten
       Bäumen. „Und die Tiere werden auch verdrängt.“ Wenn er bei schönem Wetter
       draußen sitzen kann und die Vögel hört, sei er glücklich. „Das sind Dinge,
       die sind unbezahlbar.“
       
       Aktivismus: „Ich finde das gut“, sagt er zu dem Engagement von
       Aktivistinnen und Aktivisten, die aus verschiedenen Teilen Deutschlands
       kommen, um sich mit Anwohnern zu engagieren. Vor dem Ortseingang gibt es
       eine Mahnwache mit regelmäßigen Veranstaltungen. „Ich bin mitgegangen, wenn
       die hier ihre Märsche machen, und habe hier eine Rede gehalten.“ Auch die
       Aktionen von [3][„Ende Gelände“] befürworte er, weil sie
       öffentlichkeitswirksam seien. Rund 3.000 Teilnehmer kamen bei der letzten
       Aktion zusammen. „Nur die sind natürlich nicht immer da“, sagt Heukamp. „Es
       wird durch Corona auch immer schwieriger, die Menschen hierher zu holen.“
       
       Familie: Die Familie ist schon gegangen. Die Mutter, 92, lebt wieder in
       Niedersachsen, wo sie herkommt, bei dem Bruder. Für sie als Zugezogene sei
       der Umzug nicht so schlimm. Auch seine Geschwister hätten sich bereits „von
       zu Hause abgewurzelt“. Der Vater ist 1996 verstorben.
       
       Der nächste Tag: Heukamp ist Realist. Doch ganz loslassen kann er nicht.
       Etwas hält ihn davon ab, sich mit der Situation abzufinden. Ist da doch
       noch Hoffnung? Ein innerer Kampf gegen die Resignation? Er sagt, er habe
       schlicht keine Zeit zum Nachdenken. Als Landwirt denkt er immer nur an den
       nächsten Tag. Einen neuen Beruf erlernen könne er nicht. „Was kann man mit
       Mitte 50 noch machen?“
       
       Neu anfangen: Ihm ist vor allem wichtig, an geeignete Ackerflächen zu
       kommen. Den Boden, den er hier hat, kann er woanders kaum finden. „Altland
       bieten die mir nicht an.“ Von RWE könne er nur „Neuland“ pachten. Er hat
       eine Parzelle in Jüchen. Das Land dort sei rekultiviert. „Wenn die Grube
       leer ist, wird die wiederaufgefüllt.“ Die Neulandböden seien zwar
       ertragreich, sagt Heukamp, „aber schwieriger zu bewirtschaften“. Sie hätten
       sehr wenig Humus. Die Böden, die hier weggebaggert werden, seien besonders
       gut, „Bördeböden“. Die gehörten zu den besten Böden in Deutschland.
       
       Landwirtschaft: Mit sechzehn Jahren hat Heukamp beschlossen, Landwirt zu
       werden. Weil der Beruf abwechslungsreich sei, „wegen der Witterung“. Er
       machte eine Lehre. „Bin danach zum Bund gegangen, hab da meine Wehrpflicht
       abgezogen, dann die Höhere Landbauschule in Düren, die gibt’s auch nicht
       mehr“, kein Nachwuchs. Die Landwirtschaft würde immer schwieriger werden.
       „Drei trockene Jahre hintereinander, das hat es früher nicht gegeben“, sagt
       Heukamp.
       
       Bis zum bitteren Ende: Auf dem Hof stehen mehrere Traktoren, ein
       Mähdrescher. „Ich habe gestern noch bis Viertel vor zehn gearbeitet und
       eine Zwischenfrucht gesät“, sagt Heukamp und fügt hinzu: „Das mache ich
       hier noch ein Jahr weiter.“ Wenigstens diese Entscheidung hat er gefällt:
       Er arbeitet hier bis zum Schluss. Am Ende des Gesprächs beginnt es zu
       regnen. „Für die Wiesen ist das gut“, sagt Heukamp. Solange sie bleiben,
       können sie den Regen noch gebrauchen.
       
       25 Oct 2020
       
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