# taz.de -- Festivalmacherin über ihre Arbeit: „Ich bin Schnelldenkerin“
       
       > Tina Heine erfand das Hamburger Elbjazz-Festival und leitet das Festival
       > Jazz & The City in Salzburg. Ein Gespräch über Improvisation und
       > Zuversicht.
       
 (IMG) Bild: Vermisst es manchmal, bei Regen in Gummistiefeln Bühnen aufzubauen: Tina Heine
       
       taz: Frau Heine, Sie haben als Teenager begonnen, das Saxophonspiel zu
       lernen. War das der Beginn Ihrer Jazz-Leidenschaft? 
       
       Tina Heine: Als großer Jazzfan hat mich mein Vater zu Konzerten
       mitgeschleppt. Ich dachte: Das will ich auch. Ein paar Jahre habe ich in
       einer Bigband gespielt, aber ich war echt nicht gut. Und Soli waren nicht
       mein Ding. Ich konnte es schnell spielen, aber um es schön zu spielen, muss
       man viel üben. Dazu hatte ich keine Lust, ich habe es immer runtergenudelt.
       Ich bin sehr ungeduldig.
       
       Muss es bei Ihnen immer schnell gehen? 
       
       Mittlerweile weiß ich, dass gewisse Dinge Zeit brauchen. Aber ich bin
       Schnelldenkerin und Schnellumsetzerin. In Team- Gesprächen merke ich
       manchmal, dass ich es nicht schaffe, alle mitzunehmen. Zuweilen mache ich
       etwas und denke erst hinterher darüber nach. Das ist nicht immer gut.
       
       Als Jugendliche waren Sie Mitglied einer Jazzinitiative in Celle, die
       Konzerte veranstaltet hat. Wen haben Sie da so erlebt? 
       
       Mit meiner Bigband waren wir die Vorgruppe des Trompeters Dizzy Gillespie.
       Schon als Jugendliche bin ich mit solchen Leuten in Kontakt gekommen, ich
       war früh in dieser Erwachsenenwelt. Schon da habe ich es genossen, hinter
       den Kulissen zu sein. Wobei mich Wichtigtuer in VIP-Logen nie interessiert
       haben. Ich will keine Leute treffen, die die Türen geschlossen haben; ich
       mochte diese unprätentiösen Jazzer, die mit ihrem Instrument zur Tür
       reinkamen und mit jedem geschnackt haben.
       
       Sie wurden zum Jazz-Aficionado? 
       
       Ich bin kein passionierter Fan gewesen, der sich Hunderte Jazz-Platten
       gekauft hat. Ich habe auch U2 und George Michael gehört. Mir ging es nie
       ums Auskennen, ich wollte in der Nähe der Musik sein, in der Nähe der
       Kreativität. Da hat es Parallelen zu meinem Leben gegeben.
       
       Inwiefern? 
       
       Das war immer von Unsicherheiten geprägt, ich hatte oft finanziell
       schwierige Situationen, habe mich aber immer durchgewurschtelt.
       
       Das Stichwort ist Improvisation. Zu dem Thema haben Sie schon Vorträge
       gehalten. 
       
       Der Satz „Das Wesen der Improvisation ist Zuversicht“ hing lange bei mir im
       Büro an der Wand. Improvisieren bedeutet für viele: „Wir haben es gerade so
       eben noch hinbekommen.“ Aber Improvisation ist nicht Rumdaddeln!
       
       Sondern? 
       
       Die Merkmale der Improvisation sind Kompetenz, Neugierde, Vertrauen und
       Zuversicht. Letztere ist für mich der Wesenskern – nach vorne schauen. Und
       wenn etwas nicht funktioniert, so hat man es immerhin versucht. Für mich
       ist es eine Kraft und eine tolle Form der Zusammenarbeit. Ich gelte bei
       manchen als Chaotin, dabei könnte ich gar nicht improvisieren, wenn ich
       keine Struktur hätte. Als ich nach Salzburg kam, gab es dort kaum
       Excel-Tabellen zur Projektplanung und Analyse der Besucherströme. Nachdem
       ich die eingeführt hatte, hieß es gleich, ich würde preußische Strukturen
       mitbringen. Dass man so etwas einem Last-Minute-Menschen wie mir vorwirft!
       
       In Salzburg sind Sie seit 2016 Intendantin des Festivals Jazz & The City. 
       
       Ich nenne mich lieber Kuratorin. Das kommt von „Heilen“, sich um Dinge
       kümmern. Ich möchte Dienstleisterin sein: Was braucht eine Band? Ich möchte
       aber auch Teil des künstlerischen Prozesses werden. Wenn du von Anfang an
       bereit bist, Ideen zu teilen und andere mitdenken zu lassen, wächst etwas
       organisch weiter. Egal, ob es sich um ein Festival oder eine Bar handelt.
       
       Können Sie die Konzerte Ihrer Festivals richtig genießen? 
       
       Ich sitze ungern 60 Minuten in einem Konzert, ich bin viel zu nervös. Das
       hat sich noch dadurch verschlimmert, dass ich so viele Konzerte gesehen
       habe. Das hat nichts mit mangelndem Interesse zu tun. Aber eine Stunde lang
       auf einem Stuhl zu sitzen, ist für mich anstrengend.
       
       Angst, woanders etwas zu verpassen? 
       
       Nein. Aber diese Unruhe lässt mich nicht los, auch bei Theaterstücken. Ich
       würde schon behaupten, dass ich mich konzentrieren kann. Aber wenn ich das
       Gefühl habe, etwas zu kennen, frage ich mich: Was ist darüber hinaus
       möglich? Mich interessiert das Gespräch vorher und nachher eigentlich mehr.
       Gemeinsam mit Musiker*innen zu überlegen, was machbar ist. Das geht mir
       auch in meiner Bar so: Warum muss man alles nach einer Gastronomie-Logik
       machen? Zum Beispiel: Warum mixen sich die Leute die Drinks am Tresen nicht
       selbst?
       
       Ihre Bar ist das Hadleys im Hamburger Grindelviertel, das Sie Anfang 1996
       eröffnet haben. Ein Jahr später wurden Sie Mutter. Das klingt anstrengend. 
       
       Mir ging es super, ich habe bis zum Tag vor der Geburt gearbeitet und drei
       Wochen später stand ich wieder im Laden. Die Wohnung lag direkt über der
       Bar und ich hatte ein Babyfon mit Knopf im Ohr. Meine Kinder haben nicht so
       viel von ihrer Mutter gehabt wie andere, aber heute sagen sie, sie hätten
       es nicht anders haben wollen. Es war immer was los! Und sie sind mit vielen
       Ersatzvätern und Ersatzmüttern und eben nicht nur mit meiner Meinung
       aufgewachsen.
       
       Ihre Töchter sind inzwischen erwachsen. Sie pendeln zwischen Salzburg und
       Hamburg, leiten das Hadleys, ein eigenes Festival und kuratieren weitere
       wie das Supergau-Festival. Wie schaffen Sie das alles? 
       
       Nachdem ich einmal bei einem anderen Festival die Barleitung übernommen und
       nächtelang durchgearbeitet hatte, wurde ich gefragt: „Kokst du eigentlich?“
       Aber ich habe noch nie im Leben Drogen ausprobiert. Das sich selbst
       fütternde System Musik ist meine Droge. Wir machen so schöne Sachen – das
       ist unglaublich energetisierend. Gleichzeitig erschöpft mich nichts so sehr
       wie ein Mensch, der es nicht gut meint. Wenn ich Bauschmerzen dabei hätte,
       täglich ins Büro zu kommen, würde ich das Jazz & the City Festival sofort
       verlassen.
       
       2010 haben Sie das Hamburger Elbjazz-Festival gegründet und es dann nicht
       freiwillig verlassen. Ende 2015 wurden Sie als Geschäftsführerin des
       Festivals abberufen. 
       
       Die letzten Monate waren nicht schön. Ich habe mich lange bemüht,
       weiterzumachen. Aber kurz danach kam schon die Anfrage aus Salzburg. Dort
       wurde mir der rote Teppich ausgebreitet. Ich bin sehr herzlich begrüßt
       worden und war überhaupt nicht der blöde Piefke – ich war die, die den
       frischen Wind aus dem Norden brachte. In Hamburg wurde ich auf meinem
       freigeistigen Wege nicht so stark unterstützt. Oft kam die Frage vor dem
       Elbjazz: Was bringt das und wie viele Touristen werden kommen? Dabei
       generierten wir 60 Prozent der Einnahmen mit Ticketverkäufen, das war und
       ist sehr ungewöhnlich.
       
       Das erste Elbjazz veranstalteten Sie 2010. Wie kam es dazu?
       
       Das ist aus kleinen Jazz-Reihen entstanden, die ich im Hadleys gemacht
       habe. Ich hatte damals darüber nachgedacht, ein Festival zu machen, das so
       groß ist, dass es behauptet: Hamburg ist eine Jazzstadt. Und wenn man es
       gut macht, dann wird es auch zu einer. Es muss so viel Strahlkraft
       bekommen, dass es das Highlight eines ganzjährigen Jazzkalenders wird. Wir
       sind viele Kooperationen eingegangen und durch das Festival haben sich an
       der Hochschule für Musik und Theater eigens Bands gegründet, die unbedingt
       beim Elbjazz spielen wollten. Das Festival hat dem Jazz der Stadt
       Selbstbewusstsein zurückgegeben.
       
       Das Jazz & the City hätte in einem normalen Jahr in mehr als 20 Locations
       stattgefunden, beim Elbjazz waren es vor allem exotische Orte: Schiffe,
       Museen, Kirchen, aber auch das Werksgelände von Blohm+Voss. 
       
       In den ersten zwei Festival-Jahren existierte sogar noch der Freihafen, die
       Instrumente mussten bei Einfuhr verzollt werden. Irgendwann steckte einmal
       ein Kontrabass im Zoll fest und kam nicht wieder heraus – er war nicht
       eingecheckt worden. Und auf dem Blohm+Voss-Gelände mussten wir
       Stolperfallen mit Teer ausgießen, damit niemand fällt, schließlich sind das
       Arbeitsflächen.
       
       Wenn Sie noch einmal das Elbjazz leiten dürften, würden Sie es machen? 
       
       Eigentlich würde ich Nein sagen, weil ich mit dem Jazz & the City so viel
       zu tun habe. Aber in Salzburg, wo Konzerte vor allem drinnen stattfinden,
       fehlt mir manchmal der Rock ’n’ Roll; Bühnen im strömenden Regen aufbauen,
       mit Gummistiefeln und Schutzhelm. Frei von Wurstbuden und kommerziellen
       Zwängen wäre ich beim Elbjazz sofort dabei. Ich sehe in Hamburg noch viel
       Potential.
       
       Wie sehr haben Ihnen die Maßnahmen zur Corona-Einschränkungen zu schaffen
       gemacht? 
       
       Nichts geht mehr, wie es war – das ist eigentlich eine Situation, die ich
       liebe. Ich machte mir also Gedanken, was in einer stillgelegten Stadt
       möglich ist. Und dann kam eine neue Verordnung, und alle Ideen waren
       obsolet. Selbst damit könnte ich leben. Aber was mich fuchsig macht, ist,
       dass die Einschränkungen der Kultur in keinem Verhältnis zu den Maßnahmen
       in anderen Bereichen stehen. Im Flugzeug muss keiner den mittleren Platz
       freihalten! Regeln, die ich nicht nachvollziehen kann, machen mich
       verrückt. Ich habe leicht anarchistische Tendenzen und brauche meine
       Freiheit.
       
       21 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Paersch
       
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