# taz.de -- „Seapunks“ über Seenotrettung: „Punk bedeutet selber machen“
       
       > Drei Brüder nennen sich Sea Punks und wollen mit einem Schiff Geflüchtete
       > im Mittelmeer retten. Sie sprechen über Ungerechtigkeit, Aktivismus – und
       > Punk.
       
 (IMG) Bild: Die Seapunks vor ihrem Schiff: v.l.n.r Gerson, Raphael, Benjamin Reschke
       
       taz: Bad Kreuznach ist weit weg vom Meer. Nur einer von Ihnen hat beruflich
       mit Schiffen zu tun. Dennoch haben Sie sich dazu entschlossen, mit einem
       Schiff Menschen aus dem Mittelmeer zu retten. Wie kam es dazu? 
       
       Benjamin: Die Idee kam super spontan. Vor circa einem Jahr haben wir mit
       unserem Vater einen Kurztrip mit dem Wohnmobil gemacht. Abends, nach ein
       paar Bier, hat Raphael erzählt, dass er ein Schiff gefunden hat. Er meinte,
       das Schiff sieht aus wie ein Seenotrettungstanker, nur etwas kleiner und
       älter. Dann haben wir über Seenotrettung gesprochen.
       
       Wir sind alle drei politisch aktiv und kamen dann auf die Schnapsidee, den
       alten Kahn zum Seenotrettungsschiff umzubauen. Am nächsten Tag war die Idee
       immer noch da und hörte sich auch noch immer gut an. Wir wollten die Idee
       nicht einfach liegen lassen. Wenn das jeder macht, passiert ja nichts.
       
       Das Schiff trägt den Namen „Rise Above“. Was hat es damit auf sich? 
       
       Gerson: So lautet der Titel eines Songs der Punkband Black Flag. Darin geht
       es um die Unterdrückung von Schwächeren und darum, sich darüber
       hinwegzusetzen. Es sind nämlich die Schwächeren, die unter Unterdrückung,
       gesellschaftlich wie kapitalistisch, leiden und deshalb fliehen müssen. Es
       geht um die, die keine andere Wahl haben, weil das System so ist, wie es
       ist.
       
       Sie verknüpfen Musik mit politischem Aktivismus. Benjamin spielt in einer
       Punkband, sie nennen sich Sea Punks. Welchen Einfluss hat Punk auf Sie und
       Ihre Arbeit? 
       
       Gerson: Punk ist für mich eine Lebenseinstellung, auf politischer und
       gesellschaftlicher Ebene. Es schwingt immer mit, wie man Dinge angeht. Punk
       bedeutet auch ein Stück weit, etwas selbst zu machen.
       
       Benjamin: Gerade Punk verkörpert dieses Lautwerden, seine Meinung laut zu
       äußern. Man darf auch mal wütend auf die Gegebenheiten sein. Für uns hatte
       das ganze Projekt von vorne rein einen musikalischen Aspekt. Wir hatten
       schon immer Lust, Soliveranstaltungen zu organisieren und Leute damit
       abzuholen. Wir wollen zeigen: Hey, du kannst etwas machen – mit oder ohne
       Kohle.
       
       Während Sie das Schiff umbauen, sterben weiter Menschen im Mittelmeer.
       Gleichzeitig wird die zivile Seenotrettung behindert. Was löst das in Ihnen
       aus? 
       
       Benjamin: Wut, aber auch Motivation und Mut. Da bleibt die Punkattitüde,
       sich dagegen zu stellen und zu sagen „Jetzt erst recht.“ Je mehr Leute dich
       scheiße finden, umso mehr hat man selbst Bock. Wie es bei Feine Sahne
       Fischfilet heißt: „Wenn wir sehen, dass ihr kotzt, geht es uns gut.“ Aber
       andererseits löst das auch Verzweiflung aus. Gerade das Thema Moria geht
       uns sehr nahe. Da sitzt du daheim, [1][das Lager fackelt ab], und du weißt
       einfach nicht mehr, was du dazu sagen sollst. Da fällt dir nichts mehr ein.
       
       Verkehrsminister Andreas Scheuer behindert zivile
       Seenotrettungsorganisationen und blockierte mit der Reform der
       Schiffssicherheitsverordnung Anfang März das Auslaufen vieler Schiffe. Wie
       sind Sie mit den Auflagen umgegangen? 
       
       Gerson: Diese ganze Verordnung hat bei uns erst mal einen richtigen Schlag
       getan – moralisch wie auch finanziell. Das Budget musste von jetzt auf
       gleich verdoppelt werden. Wir konnten viele Teile nicht mehr selbst
       einbauen, und diverse Arbeiten mussten an externe, zertifizierte Firmen
       abgegeben werden. Außerdem brauchen wir Unmengen an Gutachten. Das hat uns
       finanziell so zwischen drei und fünf Monaten Einsatzzeit gekostet.
       
       Benjamin: Die Verordnung ist einfach absurd. Vorher sind alle Schiffe als
       Freizeitschiffe unterwegs gewesen, weil wir aus privater Initiative
       gehandelt haben. Auch da waren gewisse Sicherheitsbestimmungen
       vorgeschrieben. Jetzt kommt jemand daher und meint, die Sache sei gar nicht
       so privat. Wir müssen nun die Bestimmungen eines Kreuzfahrtschiffs oder
       Öltankers erfüllen. Wie eben jemand, der damit Geld verdient. Nur verdienen
       wir kein Geld.
       
       Kürzlich hat das Verwaltungsgericht Hamburg Scheuers Reform [2][für
       europarechtswidrig erklärt]. Waren die Umbauten nun alle überflüssig? 
       
       Gerson: Nein, das sicher nicht. Viele Umbauten sind noch im Gange, die
       müssen noch abgeschlossen werden. Wir wollen die auch noch umsetzen, damit
       wir auf der sicheren Seite sind. Wir dürften zwar sofort rausfahren, aber
       die Gefahr, in anderen Ländern festgesetzt zu werden, besteht immer noch.
       Deshalb brauchen wir das Schiffssicherheitszeugnis. Außerdem müssen wir
       aufpassen. Zwar hat „Mare Liberum“ (ein anderes Rettungsschiff; d. Red.) in
       erster Instanz einen Erfolg für uns erzielt, in Stein gemeißelt ist aber
       noch nichts.
       
       Mit Blick etwa auf die Lager in Griechenland: Haben Sie noch Vertrauen in
       die EU und deren Politik? 
       
       Gerson: Die Europäische Union ist an sich die einzig gute Lösung. Auch beim
       politischen Personal gibt es tolle Leute. In Brüssel sitzen Leute, die
       wichtige Arbeit leisten, wie etwa Erik Marquardt von den Grünen. Das große
       Problem ist nicht die EU, sondern der Kapitalismus. Ich würde gern in einem
       Europa leben, das nicht seinen ganzen Wohlstand auf der Ausbeutung des
       globalen Südens aufbaut. Wir müssen diesen Leuten ihren Anteil abgeben, den
       sie durch ihre Arbeit auch verdient haben.
       
       Mich kotzt es an, wenn von Hilfe vor Ort gesprochen wird und damit dann
       Entwicklungshilfe gemeint ist. Das ist völliger Unsinn. Entwicklungshilfe
       ist Teil eines immer noch praktizierten kolonialistischen Systems. Wir
       brauchen fairen Handel, faire Bedingungen für alle Teile der Welt. Dann
       würde die Flucht von vielen Menschen schon verhindert werden.
       
       Sie zeigen, wie politischer Aktivismus auch ohne Erfahrung laufen kann. Was
       können Menschen tun, die bislang noch nicht aktiv sind? 
       
       Benjamin: Am Ende das Gleiche wie wir. Sie können auch auf so eine
       verrückte Idee kommen und die dann umsetzen. Wenn wir das können, kann es
       jeder. Man braucht keine besonderen Fähigkeiten, man muss kein Profi oder
       Seemann sein. Klar ist so ein Projekt eine große Herausforderung, aber es
       ist keine große Kunst. Auch wer keine Kohle hat, kann etwas Sinnvolles
       machen. Am Ende ist es aber egal, was du machst. Ob es
       Integrationsarbeit hier vor der Haustür oder ob es das Veranstalten
       einer Demo ist. Wenn man eine gute Idee hat und sie umsetzen kann, muss man
       es einfach machen.
       
       19 Oct 2020
       
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