# taz.de -- AfD-Vorsitz im Stadtrat Gera: Die völkische Premiere
       
       > Mit Reinhard Etzrodt wählte die Stadt erstmals bundesweit einen
       > AfD-Politiker zum Stadtratsvorsitzenden. Er steht an der Seite von Björn
       > Höcke.
       
 (IMG) Bild: Politisch bisher blass, aber ein Höcke-Getreuer: Geras AfD-Stadtratsvorsitzender Reinhard Etzrodt
       
       GERA taz | Reinhard Etzrodt sitzt inmitten der meterlangen Bühne im Zentrum
       des holzvertäfelten Saals des Kultur- und Kongresszentrums Gera und fällt
       trotzdem kaum auf. Ein kleiner Mann, gerader Rücken, grau-kariertes Jackett
       über weißem Hemd, eng gebundene gestreifte Krawatte, ernstes Gesicht. Nur
       wenig ist von dem lächelnden Mann zu sehen, den er auf Pressefotos
       darbietet, fast unscheinbar wirkt der 69-Jährige. Wüsste man nicht, dass er
       hier das Sagen hat, man würde es nicht vermuten.
       
       Es ist Donnerstag, der 8. Oktober, die erste Stadtratssitzung seit dem
       Triumph des AfD-Abgeordneten. Nur zwei Wochen zuvor wurde Etzrodt [1][mit
       23 Stimmen zum Vorsitzenden des Stadtrats] gewählt. Rein rechnerisch können
       nur 12 davon aus der eigenen Fraktion kommen, 11 Stimmen müssen aus anderen
       Fraktionen sein, mindestens 2 davon von den im Bundestag vertretenen
       Parteien. Doch alle bestreiten das: die Linken, die Grünen, die FDP, die
       CDU. Sogar CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dementierte, dass der
       AfD-Kandidat von der Fraktion im Stadtparlament unterstützt worden sei.
       
       Die Wahl Etzrodts hat Strahlkraft, sie ist vom Lokalpolitikum zum
       Bundesthema geworden. Denn sie ist ein bundesweites Novum: Zum ersten Mal
       wurde ein AfD-Abgeordneter in dieses Amt gewählt. Grundlage für die Wahl
       ist eine Formalität in der Hauptsatzung, die es nur der größten Fraktion im
       Stadtrat erlaubt, einen Kandidaten vorzuschlagen. Und das ist seit der
       Kommunalwahl 2019 mit 12 Sitzen im Stadtrat und knapp 30 Prozent der
       Stimmen die AfD. Schon bei der Bundestagswahl 2017 war die Partei mit nur
       0,2 Prozentpunkten weniger als die CDU zweitstärkste Kraft, bei der
       Landtagswahl 2019 sogar stärkste.
       
       ## Der parteilose Oberbürgermeister schweigt
       
       Fragt man den parteilosen Geraer Oberbürgermeister Julian Vonarb zur Wahl
       Etzrodts, wagt er kein Urteil, sondern beruft sich auf die Satzung. Gemäß
       dieser muss Etzrodt in seinem Amt neutral agieren, unabhängig von
       Fraktions- und Partikularinteressen. Nicht immer gelingt ihm das: Wenn in
       der Linksfraktion geflüstert wird, rügt er sie für ihre „Privatgespräche“.
       Wenn die AfD-Fraktion das Gleiche tut, schweigt er.
       
       Vonarb sagt, er habe nach der Wahl viele Zuschriften bekommen, nur wenige
       seien positiv gewesen. „Für Gera ist diese Wahl ein Reputationsschaden“,
       sagt der Mann, dessen erklärtes Ziel es ist, die Stadt „progressiv
       voranzutreiben“. Im April 2018 war er derjenige, der im zweiten Wahlgang
       verhinderte, dass das Amt des Oberbürgermeisters an die AfD geht.
       
       Nun dominiert die Partei den Stadtrat, hat mit Reinhard Etzrodt einen
       schwer greifbaren Mann in der Führungsposition. Er ist unscheinbar, sein
       Sprechen im Stadtrat wenig energisch. Kein Demagoge wie der AfD-Landeschef
       Björn Höcke, sondern einer, der Anordnungen abliest, eher leise als laut,
       eher technisch als populistisch. Als Gynäkologe hatte er in Gera einen
       guten Ruf, galt als freundlich und kompetent.
       
       ## Etzrodt gehört zum Höcke-Lager
       
       Nur einen Tag nach der Wahl sagte er im Deutschlandfunk, er bekenne sich zu
       Höcke und seiner Einstellung. Auf Facebook gratuliert dieser stolz zur Wahl
       Etzrodts: „Deutschlands erster AfD-Stadtratsvorsitz! Herzlichen Glückwunsch
       lieber Reinhard.“ Höcke und seine Landespartei gelten als rechts außen, der
       [2][Verfassungsschutz bezeichnet den Anführer als Rechtsextremisten]. Seine
       völkische Ideologie prägt die Parteilinie der AfD in Thüringen maßgeblich.
       Mit Erfolg: Im Landtag ist sie inzwischen zweitstärkste Kraft, in mehreren
       Stadtparlamenten stärkste. Auch in Gera.
       
       Will man mehr über die ideologische Nähe der Geraer AfD zu Akteuren rechts
       außen wissen, muss man nicht lange suchen. Fotos zeigen Stadträte bei
       rechtsextremen Aufmärschen – auch Etzrodt und seine Frau, 2015 auf einer
       Veranstaltung der rechtsextremen Thügida-Bewegung, organisiert von
       NPD-Aktivisten und anderen Akteuren der extremen Rechten. Screenshots des
       „Antifa Rechercheportal Jena“ zeigen Facebook-Likes von Bettina Etzrodt
       Ende 2018 bei Pegida, der NPD, Björn Höckes „Flügel“ und Reichsbürgern. Vor
       ihrer AfD-Mitgliedschaft war die Ehefrau des Stadtratsvorsitzenden Mitglied
       in der rechtskonservativen DSU.
       
       Auch andere Mitglieder der Geraer AfD-Fraktion machen keinen Hehl aus
       Kontakten zu weit Rechten. Zum Beispiel Eike Voigtsberger, der im Februar
       dieses Jahres an einem der bundesweit größten Naziaufmärsche in Dresden
       teilnahm. Heute sitzt Voigtsberger im Stadtrat und beschwert sich in der
       Pause lautstark über Menschen „die in ihrem Leben noch nie richtig
       gearbeitet haben“.
       
       ## Die Demokrat:innen ebnen den Weg
       
       Die demokratischen Parteien sind nicht unbeteiligt an dem Aufstieg der
       Thüringer AfD. Erst im Mai war Gera wegen einer Anti-Corona-Demonstration
       in den Schlagzeilen. Seite an Seite liefen hier Verschwörungsideolog:innen,
       Reichsbürger:innen, Antisemit:innen – und die Geraer AfD nebst
       [3][FDP-Landeschef Thomas Kemmerich], der sich im Februar mit AfD-Stimmen
       zum Ministerpräsident hatte wählen lassen.
       
       Und vor wenigen Tagen war in Hildburghausen mit SPD-Stimmen ein Antrag der
       AfD durch den Stadtrat gegangen, mit dem ein Linken-Politiker abgewählt
       wurde. Im Nachgang sagte SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee, er distanziere
       sich „ausdrücklich“ vom Verhalten der Fraktion. „Politische Anliegen müssen
       ohne die AfD durchgesetzt werden.“
       
       Die Geraer SPD-Fraktionsvorsitzende Monika Hofmann beteuert, die drei
       SPD-Fraktionsmitglieder hätten Etzrodt „bestimmt nicht“ gewählt. Fragt man
       Hofmann oder den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, sagen diese unisono, man
       müsse sich ja nur das Abstimmungsverhältnis und die Grüppchenbildung in der
       Pause anzuschauen, dann wisse man, von wem die zusätzlichen Stimmen kommen.
       Rot-Rot-Grün hatte die Hauptsatzung ändern und eine:n Kandidat:in einer
       anderen Partei aufstellen wollen – die Mehrheit im Stadtrat verunmöglichte
       das jedoch.
       
       ## Zusammenarbeit mit der AfD „in Sachfragen“
       
       Tatsächlich stehen zu Bockwurst und Bier in der Sitzungspause die
       Abgeordneten der CDU und AfD zum Plausch nah beieinander, während andere
       Fraktionen Abstand wahren. Auch Anträge bringen beide Parteien im Stadtrat
       des Öfteren gemeinsam vor. CDU-Fraktionschef Klein beteuert jedoch, man
       stelle „keine Anträge mit der AfD alleine“. In Sachfragen verwehre man sich
       der Partei jedoch auch nicht.
       
       Am Donnerstagabend spielt es keine Rolle, welche Stadträte den AfD-Mann
       letztendlich mit ihren Stimmen ins Amt gehoben haben. Es geht vor allem um
       Bauanträge, die fast alle einstimmig entschieden werden. Auch in Zukunft
       wird Etzrodt insbesondere administrative Aufgaben übernehmen:
       Sitzungsleitung, Ordnungsrufe, Tagesordnungen führen, Protokolle
       unterzeichnen. An inhaltlichem Einfluss gewinnt die AfD dadurch letztlich
       kaum. Dennoch ist nun ein weiteres repräsentatives Amt in einem kommunalen
       Parlament in der Hand der völkischen Partei.
       
       11 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /AfD-Politiker-im-Stadtrat-in-Gera/!5714268
 (DIR) [2] /AfD-Fluegel-ist-rechtsextrem/!5667641
 (DIR) [3] /Nach-Anti-Coronademo-in-Gera/!5685603
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sarah Ulrich
       
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