# taz.de -- Tunesien verschärft Coronamaßnahmen: Abends greift der Lockdown
       
       > In Tunesien steigen die Neuinfektionen. Nun gilt in Tunis wieder eine
       > Ausgangssperre. Kritiker vermuten politische Motive hinter der Maßnahme.
       
 (IMG) Bild: Das öffentliche Leben wird wieder heruntergefahren, aber einkaufen bleibt erlaubt
       
       Tunis taz | In Tunesiens Hauptstadt Tunis gilt ab der Nacht auf Freitag, 9.
       Oktober, wieder eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 20 und 5 Uhr. Am
       Wochenende müssen die Bewohner bereits ab 18 Uhr zu Hause bleiben. Der
       Gouverneur der Stadt, Schadhli Bualak, kündigte an, Armee und Polizei
       würden die Maßnahme notfalls durchsetzen. Schon in der vergangenen Woche
       hatte Präsident Kais Saied 2.500 Soldaten in die Städte Sousse und Monastir
       entsandt, um den dort vorübergehend verhängten Lockdown zu überwachen.
       
       Das völlige Herunterfahren des öffentlichen Lebens und eine über mehrere
       Monate geltende Ausgangssperre hatte Tunesien im Frühjahr vor ähnlich hohen
       Infektionszahlen wie in den Nachbarländern bewahrt. Das
       10-Millionen-Einwohner-Land galt als weltweite Ausnahme. Doch seit Beginn
       der Urlaubssaison und nach der Öffnung der Landesgrenzen im Juli hielten
       sich nur noch wenige Tunesier an die Abstands- und Hygieneregeln – auch
       deshalb, weil zeitweise kein einziger [1][Covid-19]-Patient in den nur 250
       Betten fassenden Intensivstationen in Behandlung war.
       
       Wegen der nun steigenden Infektionszahlen hat das Auswärtige Amt in Berlin
       nun auch Tunesien als Risikogebiet eingestuft. Zwar bestand schon vorher
       für das nordafrikanische Tourismusziel eine Reisewarnung, doch aufgrund der
       lange Zeit niedrigen Infektionszahlen konnten Urlauber ohne Beschränkungen
       aus Tunesien nach Deutschland reisen. Dies ist nun nicht mehr der Fall:
       Zurück in Deutschland gilt die Quarantänepflicht. Wer andersherum als
       Pauschalurlauber aus Deutschland nach Tunesien reist, muss weiterhin weder
       einen PCR-Test machen noch in Quarantäne gehen.
       
       Eine Einstufung als Risikogebiet erfolgt, wenn ein Land oder eine Region
       den Grenzwert von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner überschreitet.
       Laut dem tunesischen Gesundheitsministerium kamen in den vergangenen sieben
       Tagen zu den bisher rund 25.000 Infektionen 8.360 Neuinfektionen hinzu,
       eine sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz von 70,7.
       
       364 Patienten sollen bislang in Tunesien an Covid-19 gestorben sein, doch
       die offiziellen Zahlen werden von vielen Ärzten bezweifelt. Mittlerweile
       mangelt es an den importierten Covid-19-Testkits. Wie zuvor in der
       südwestlichen Provinz werden nun auch in Tunis Erkrankte mit für Covid-19
       typischen Symptomen und leichten Krankheitsverläufen häufig nicht
       getestet, sondern in häusliche Quarantäne geschickt.
       
       ## Cafés wieder geschlossen
       
       In den Cafés der Hauptstadt, die ab Freitag wieder dichtmachen müssen, war
       in den vergangenen Tagen die Wirtschaftskrise Hauptthema. Laut Bechir
       Boujidi von dem Arbeitgeberverband Utica gingen allein während der ersten
       Coronawelle zwischen März und Juni [2][165.000 Arbeitsplätze verloren].
       „35 Prozent der tunesischen Kleinunternehmer befinden sich in einer
       Existenzkrise“, sagte Boujidi dem Radiosender Shems FM.
       
       Viele Vertreter der Zivilgesellschaft halten die nun verhängte nächtliche
       Ausgangssperre für eine Maßnahme gegen mögliche Sozialproteste. In der
       südtunesischen Stadt Kamur und Vororten von Tunis war es in den letzten
       Monaten zu gewaltsamen Protesten von arbeitslosen Jugendlichen gekommen.
       
       Am Donnerstag, 8. Oktober, demonstrierten rund 1.000 Menschen in Tunis
       gegen eine Gesetzesvorlage. Der bereits unter der Vorgängerregierung
       eingereichte Entwurf dient offiziell dem Schutz von Polizisten im Dienst,
       gewährt ihnen aus Sicht der Kritiker jedoch auch bei Vergehen weitgehende
       Straffreiheit. Folter und Gewalt sind bei Verhaftungen und Protesten in
       Tunesien Alltag. Schon jetzt können Verdächtige aufgrund des seit 2015
       geltenden Ausnahmezustands ohne Anklage über Monate festgehalten werden.
       
       8 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Mirco Keilberth
       
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