# taz.de -- Migrationsexpertin zum Brand in Moria: „Organisiert verantwortungslos“
       
       > Ramona Lenz von Medico International glaubt nicht daran, dass die
       > Katastrophe zum Umdenken der EU führt. Sie fordert eine Koalition der
       > Willigen.
       
 (IMG) Bild: Das durch ein Feuer zerstörte Lager Moria am 9. September
       
       taz: Frau Lenz, Sie haben viel Kontakt zu medico-Projektpartner*innen in
       Moria. Wie stellt sich aus Ihrer Sicht die Lage gerade dar? 
       
       Ramona Lenz: Auch heute Nacht hatte ich Kontakt zu Leuten im Lager. Sie
       haben zeitweilig um ihr Leben gefürchtet. Sie waren umschlossen von Feuer,
       es gab ja verschiedene Brandherde. Einige von ihnen sind lange geblieben
       und haben sich in Gefahr gebracht, um Bilder und Informationen schicken zu
       können. Es konnte ja von außen nicht ohne weiteres jemand hinein, deswegen
       haben sie versucht, so Öffentlichkeit herzustellen. Zwischenzeitig haben
       sie geschrieben: „We are dying“, sie hatten wirklich Angst um ihr Leben.
       Heute Morgen, nachdem die Feuer soweit gelöscht waren, haben sie sich einen
       Überblick verschafft. Es scheint so, dass nicht das gesamte Lager herunter
       gebrannt ist, aber doch ein großer Teil, und vor allem auch der innere Teil
       des Lagers, in dem die Asylbehörde ist.
       
       Es hieß eine Zeitlang, alle 12.600 Bewohner*innen seien irgendwo außerhalb
       unterwegs. Heute Morgen sah man auf Bildern allerdings Menschen, die durch
       das verbrannte Lager liefen. Leben jetzt schon wieder Menschen dort? 
       
       Meines Wissens sind nicht alle geflohen, sondern etwa die Hälfte der
       Menschen sind geblieben. Andere haben versucht, sich in die umliegenden
       Hügel zu retten oder in die Hauptstadt Mytilini zu kommen, was nur begrenzt
       gelungen ist, weil die Inselbewohner*innen das aus Angst vor der
       aufgebrachten Menge von Menschen blockiert haben.
       
       Es gibt eine Debatte darüber, wer die Feuer nun eigentlich gelegt hat. Von
       Rechten war auf Social Media zu lesen, die Bewohner*innen hätten die Feuer
       selbst gelegt, um einen „Freifahrtschein nach Deutschland“ zu erzwingen.
       Medico schreibt in der Presseerklärung, die aufgestaute Wut insbesondere
       nach den Coronaquarantänemaßnahmen habe zu der Situation geführt. Gehen Sie
       also auch davon aus, dass die Feuer selbst gelegt sind? 
       
       Wir wissen es nicht. [1][Es gab durchaus schon Brandstiftungen] von
       Inselbewohner*innen und von anderen flüchtlingsfeindlichen Rechtsradikalen.
       Aber ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass die Menschen im Lager es
       in ihrer großen Verzweiflung selbst getan haben, als letzte Möglichkeit, um
       nochmal Aufmerksamkeit für ihre furchtbare Situation herzustellen. Ihnen
       bleibt nur das nackte Leben, sonst haben sie wenig zu verlieren. Deshalb
       würde es mich nicht völlig überraschen, wenn es Menschen aus dem Lager
       selbst waren, die durch die Brände ihren Protest zum Ausdruck bringen
       wollten.
       
       Kann das Lager denn unter diesen Umständen jetzt weiter betrieben werden? 
       
       Es wurde schon zuvor unter katastrophalen Umständen betrieben. Wir haben ja
       vorher schon so oft gesagt, dass es ja wohl nicht wahr sein kann, dass man
       so einen Zustand über Jahre hinweg aufrecht erhält. Die Menschen leben dort
       wirklich in Dreck und Elend. Ich weiß nicht, ob ein Brand reicht, um dem
       endlich ein Ende zu setzen.
       
       Was wäre die unmittelbare Alternative? Jetzt, sofort? 
       
       Es gibt ja gottseidank die [2][Angebote der Kommunen in Deutschland,
       Menschen aufzunehmen. Diese Angebote müssen jetzt angenommen werden,] es
       müssen Menschen da rausgeholt werden. Langfristig brauchen wir eine ganz
       andere Politik, die nicht auf eine Lagerunterbringung an den
       EU-Außengrenzen setzt. Das muss das Fanal sein, was aus Moria kommt.
       
       Nun war die Position von Bundesinnenminister Horst Seehofer angesichts der
       Aufnahmeangebote aus Kommunen und Bundesländern stets eine europäische
       Lösung, Deutschland könne und wolle das nicht alleine machen. Die
       europäische Lösung hat es aber nie gegeben. Sehen Sie die jetzt näher
       gerückt? 
       
       Das wäre wunderbar. Aber ich fürchte, dass das nicht der Fall ist. Man wird
       sich wieder die Verantwortung gegenseitig zuschieben, genau wie wir es seit
       Jahren beobachten. Es ist eine organisierte Verantwortungslosigkeit, und es
       würde mich sehr wundern, wenn sich daran nun etwas ändern würde.
       
       Wenn das nicht passiert, wäre es dann politisch klug, wenn Deutschland
       einfach den Slogan der Kampagne „Wir haben Platz“ aufgreifen und alle
       aufnehmen würde? 
       
       Nicht nur in Deutschland gibt es aufnahmebereite Städte und Gemeinden. Es
       gibt mehrere EU-Länder, die einzelne Menschen aus Moria aufgenommen haben.
       Und es geht ja auch nicht nur um Moria, auch auf anderen Inseln sitzen
       Menschen fest. Es muss eine Koalition der Willigen geben, die jetzt
       vorangehen.
       
       9 Sep 2020
       
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