# taz.de -- Die Wahrheit: Sich selbst was zu sagen haben
       
       > Das Schweigen hat ein Ende: In der heutigen
       > Selbstbespiegelungsgesellschaft wird das gute Selbstgespräch wieder
       > gepflegt.
       
 (IMG) Bild: Das narzisstische Paar unmittelbar vor der Selbstbespiegelung
       
       Wer in Zeiten des permanenten Dialogs mit dem Smartphone einmal innehält
       und sich fragt: „Mit wem spreche ich eigentlich am meisten?“ Der oder die
       wird eine erstaunliche Antwort bekommen – „mit mir selbst!“ Kein Wunder,
       denn wer ist uns am sympathischsten? Wir selbst sind es. Und wen mögen wir
       am liebsten? Uns selbst.
       
       Deshalb steht auch jeder in einem ständigen Dialog mit sich selbst, oder
       besser gesagt, einem Monolog mit sich selbst. Denn reden wir mit uns
       selbst, können wir uns angeblich sicher sein, dass wir beide dieselbe
       Meinung haben. Das nennen Kommunikationsforscher „Zwillingsphänomen“, da
       Zwillinge, heißt es, sich nie widersprechen, weil sie sich auch in ihren
       jeweiligen Meinungen gleichen wie ein Ei dem anderen.
       
       Einen kontroversen inneren Dialog führen dagegen Einzelkinder wie der
       innerlich zerrissene Gollum aus „Herr der Ringe“, was uns lehren sollte,
       dass so eine permanente innere Debatte auch den besten Hobbit zermürbt.
       
       Unter Menschen sind Frauen und Männer durchaus unterschiedlich, was
       Selbstgespräche angeht. Frauen machen sich häufiger Vorwürfe, dass sie zu
       wenig mit sich selbst reden, während der Mann gern schon mal das
       Selbstgespräch einstellt oder sich selbst sagt, jetzt sag ich (auch mir
       selbst) mal nichts.
       
       ## Äußern per äußerem Dialog
       
       Das ist so weit nicht weiter schlimm, solange das nicht daher rührt, dass
       man sich selbst nichts mehr zu sagen hat. In dem Fall jedoch sollte man
       umgehend zu einem Selbstgesprächstherapeuten gehen, wenn man denn einen
       Termin bekommt. Denn diese Dialogexperten sind leider auch meist
       hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und brauchen etwas richtig
       Überzeugendes, wie das Knistern von großen Geldscheinen, um aus sich selbst
       herauszukommen und in einen äußeren Dialog zu treten.
       
       Jeder neu abgeschlossene Gesprächsvertrag sagt dem
       Selbstgesprächstherapeuten, dass er ein wertvoller und besonderer Mensch
       ist, besonders wenn er auf den einträglichen Preis seiner Gruppensitzung
       blickt. Denn in der Selbstgesprächstherapie gibt es nur Gruppensitzungen,
       da zu einem guten Selbstgespräch bekanntlich immer zwei gehören, nämlich
       das Ich und das Selbst. So eine Gruppensitzung geht natürlich ins Geld –
       und der Klient fängt an, sich ganz viel zu sagen. Gut, wenn das der
       Therapeut nicht hören kann, denn Begriffe wie „Kurpfuscher“ und
       „Blutsauger“ hört kein Selbstgesprächstherapeut gerne. Für den Therapeuten
       außen ist das auch nicht zu hören, aber der Dialog innen ist umso lauter.
       Da die zwei innen sich dann gewöhnlich rasch einig sind, dauert eine
       Selbstgesprächstherapie meist nicht sehr lange, und es heißt „Wir kündigen
       Ihnen!“
       
       Die Selbstgespräche zu Hause sind natürlich wieder genauso redundant und
       langweilig wie vorher, das Selbst bleibt eben doch das alte. Doch es geht
       auch ohne Therapeuten, es heißt ja nicht umsonst „Selbst ist der Mann,
       selbst ist die Frau, wir machen’s selbst, genau!“ So ploppen überall
       Selbstgesprächskreise auf, in denen man lernt, sich selbst gut zu
       unterhalten. Wie angenehm so ein innerer Gesprächskreis ist, weiß nur
       derjenige zu schätzen, der so einen Salon einmal besucht hat. Die absolute
       Stille der Teilnehmer beeindruckt selbst das kritischste Selbst.
       
       Doch was lernt man und frau dort im stillen Kreis? Zunächst, dass sich ein
       gutes Selbstgespräch im Selbstgesprächskreis im Kreis drehen darf, aber
       eins darf es nie, nämlich langweilen. Man lernt in so einem Gesprächskreis
       auch, sich selbst nicht dauernd zu unterbrechen und sich selbst ausreden zu
       lassen. Sich selbst anzuschreien oder gar herumzuschubsen ist in diesen
       Gesprächskreisen selbstredend verpönt. Aber wem sage ich das eigentlich?
       Vermutlich mir selbst.
       
       23 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kriki
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Therapie
 (DIR) Narzissmus
 (DIR) Frosch
 (DIR) Ohren
 (DIR) Astrophysik
 (DIR) Echo
 (DIR) Homeoffice
 (DIR) Rhetorik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der letzte Angstschrei
       
       Wahre Tierkunde: Frösche und Fanfaren machen im Alarmzustand einen
       außerordentlich ohrenbetäubenden Lärm.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Besser segeln durch die Krise
       
       Unerhörtes über Außenohren, biegsame Knorpel und Lauscher im Gegenwind als
       Zeichen der besonderen Intelligenz.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Expedition mit Müll
       
       Suspekte Objekte, interstellare Fürze, gigantische Plasmawinde: Wozu
       schwarze Löcher im Weltraum wirklich gut sein könnten.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Schallallalie – überall Widerhall!
       
       Wenn das liebe Tal um mich dampft, von oben der Ruf nach Echo stampft: Das
       Spiel mit dem Schall wird einfach nie alt.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Liegen und liegen lassen
       
       Im Homeoffice zu Pandemiezeiten werden immer mehr Faulenzer zu
       leidenschaftlichen Bettanbetern und verlernen das Arbeiten ohne
       Schlafanzug.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Tohuwabohu unter Tautologen
       
       Großes Kuddelmuddel und Hopplahopp beim Internationalen Kongress der
       Doppelmoppler in Jokkmokk. Und zwar Ratzfatz.